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VENEDIGS RENAISSANCE – September 2020

08.10.2020 | REISE und KULTUR

Venedig’s Renaissance

Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger


Das Monaco Grand Canal mit seiner traumhaften Terrasse. Foto: Andrea Matzker

Wer Venedig liebt, wird höchstwahrscheinlich nie mehr eine solche Chance erhalten wie jetzt. Anfang September kumulierten sich Festivals, Ausstellungen, Konzerte und andere kulturelle Events, sodass man die Qual der Wahl hatte, wenn man auch nur einige der hochqualifizierten Veranstaltungen besuchen wollte, da es allein an einem Tag mindestens zehn verschiedene, hochinteressante Events zur gleichen Zeit in der Stadt, am Lido und auf den Inseln der Lagune gab. Aber das Besondere daran war, dass all dies ohne Massentourismus und riesige, beängstigende Kreuzfahrtschiffe im Stadtpanorama stattfand. Und das Großartigste daran war wiederum, dass man sich absolut sicher fühlen konnte, da fast alles an der frischen Luft, unter freiem Himmel, immer bei einer wohltuenden Brise stattfand und in der ganzen Stadt penibelst auf die Maskenpflicht Acht gegeben wurde. Wenn ein Fahrgast die Maske nicht ordentlich trug oder womöglich gar keine tragen wollte, wurde er von den Vaporetti radikal nicht befördert. Diese und andere Maßnahmen, wie zum Beispiel die ständige Kontrolle der Körpertemperatur an jeglichen Eingängen zu irgendwelchen Veranstaltungen, haben sich bewährt, denn in Venedig gibt es nachweislich kaum oder sogar gar keine bekannten Corona-Fälle.

Die „77. Mostra internazionale d’arte cinematografica La Biennale di Venezia 2020“ fand als erstes Filmfestival nach dem Lockdown wieder tatsächlich statt. Unter strengen Schutzmaßnahmen wegen der Covid-19-Pandemie gab es auch wieder Premieren mit Publikum. Die Verantwortlichen aller anderen abgesagten großen Filmfestivals, wie Cannes oder Berlin, waren am Lido von Venedig zugegen. Zur Eröffnungsfeier dirigierte Andrea Morricone, der Sohn des kürzlich verstorbenen Ennio Morricone, das römische Orchester Sinfonietta mit Werken seines Vaters. Cate Blanchett war Präsidentin einer von Frauen dominierten Jury. Acht der vorgestellten 18 Filme wurden von Frauen gedreht. Die Regisseure Oliver Stone und Pedro Almodovar waren nur einige der angereisten Stars auf dem roten Teppich. Tilda Swinton bekam einen goldenen Löwen als Ehrenpreis für ihr Lebenswerk, und Pier Francesco Favino wurde als bester Darsteller im Film „Padrenostro“ mit der begehrten Coppa Volpi ausgezeichnet. Trotz des großen Echos stahlen, wenn auch ungewollt, jedoch zwei andere Berühmtheiten Italiens den großen prominenten Filmschaffenden die Show, zumindest in der Medienlandschaft Italiens.


Matteo Salvini, ausnahmsweise im Smoking. Foto: Andrea Matzker

Als Überraschungsbesuch kam der zur Zeit am meisten diskutierte Politiker Italiens, Matteo Salvini, in die Lagunenstadt, begleitet von seiner aktuellen Freundin Francesca Verdini, vor allem aber, wie die gesamte Presse bemerkte, ausnahmsweise in einem Smoking. Man kennt ihn ansonsten nur in sportlicher Kleidung, einem Smoking trägt er erst zweimal zuvor im Leben, nämlich in der Scala und im Quirinale. Er hatte sich ausnahmsweise drei Stunden Zeit genommen, um mit seiner Lebensgefährtin der Premiere des Films „Padrenostro“ beizuwohnen. Da dieser Besuch nicht angekündigt war, befürchtete man wegen der großen Beachtung seiner Person in der Stadt und auf dem roten Teppich, dass die Hauptdarsteller des Films nicht genügend gewürdigt würden. Er betonte daher auf Nachfragen, dass er ausschließlich aus privaten Gründen anwesend sei. Fotos und Artikel beschäftigten sich am Folgetag aber ausschließlich mit ihm, und nur in geringem prozentualem Anteil mit den darstellenden Künstlern und Regisseuren.


Vittorio Sgarbi in der Grande Scuole della Misericordia von Venedig. Foto: Andrea Matzker


La Grande Scuola della Misericordia di Venezia. Foto: Andrea Matzker

Ähnliches Aufsehen erregte der Auftritt des berühmten Kunsthistorikers Vittorio Sgarbi, der an der Premiere des Films seiner Schwester Elisabetta Sgarbi auf dem Lido teilnahm. Sie stellte ihren Film „Extraliscio, Punk da Balena“ vor. Zwei Tage zuvor hatte er an einer Diskussion mit Bernard-Henri Levy und Maurizio Molinari in der Grande Scuola della Misericordia in Venedig’s Stadtteil Cannaregio teilgenommen, nachdem dort der Film „Princesse Europe“ gezeigt worden war. Zu Beginn der Premiere seiner Schwester scheint es eine kleine Diskussion mit dem Aufsichtspersonal am Eingang gegeben zu haben, und die wiederum nahm mehr Platz in Anspruch in den Zeitungen und den Medien, als so manche Filmkritik. Ebenso wie der Politiker Salvini, ist Sgarbi, der auch politisch tätig ist, eine äußerst charismatische Persönlichkeit und nimmt kein Blatt vor den Mund. Dafür sind beide bekannt und stehen daher auch oft in der Kritik. Bei Auftritten, noch dazu, wenn sie überraschenderweise stattfinden, sind beiden die Schlagzeilen der Medien sicher.


„Regata storica“. Foto: Andrea Matzker


„Regata storica“. Foto: Andrea Matzker

Parallel zum Filmfestival fand neben vielen weiteren Ausstellungen und Konzerten der renommierte Literaturpreis Premio Campiello und The Venice Glass Week statt. Zusätzlich dazu feiern die Venezianer traditionsgemäß an jedem ersten Sonntag im September ihre „Regata storica“ (historische Regatta), die man vom Markus-Becken aus bis zum Rialto über den Canal Grande als Zuschauer verfolgen kann. Das farbenprächtige Bild mit den geschmückten Booten, ihren Ruderern in historischen Gewändern und der großartigen Stimmung mit den anfeuernden Rufen der Venezianer lässt erahnen, wie diese Tradition seit vielen Jahrhunderten gewachsen ist.

„Harrys Bar“, die wohl berühmteste Bar der Welt, zum ersten Mal geschlossen. Foto: Andrea Matzker


Harrys Bar:  Arrigo Cipriani am Tag der Wiedereröffnung. Foto: Andrea Matzker

Venezianer und auswärtige Stars waren gleichermaßen glücklich darüber, dass die wohl berühmteste Bar der Welt, nämlich Harry‘s Bar, ganz nah am Markusplatz, die zum allerersten Mal seit ihrem Bestehen coronabedingt geschlossen war, wieder öffnete, und man – wenn man Glück hatte – auch in Gegenwart ihres legendären Chefs Arrigo Cipriani einen Bellini trinken und den Abend standesgemäß ausklingen lassen konnte.

 

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