REISE UND KULTUR: TIMISOARA, KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2023
Das alte Temesvar. Foto: Robert Quitta
Drei europäische Städte durften den Titel Kulturhauptstadt tragen: Veszprem (Ungarn), Elefsina (Griechenland) und Timisoara (Rumänien). Von den ersten beiden hat man eigentlich überhaupt nichts gehört, die scheinen ihre Jahrhundertchance komplett verschlafen zu haben, in Timisoara hingegen war das ganze Jahr über immer viel los: Theaterfestivals, Filmfestivals, Jazzfestivals, Pop-Up-Austellungen in zwischengenutzten historischen Gebäuden etc.etc.
Und man hat hier die zusätzlichen Geldmittel von der EU und dem Rumänischen Staat nicht nur für Events, sondern vor allem auch für die nachhaltige Renovierung der Altstadt so gut genutzt, dass ein Besuch daselbst auch für 2024 schwerstens zu empfehlen ist.
Ganz überraschend kommt diese Entwicklung nicht, denn Timisoara, auch Temeswar, Temeschwar Temeschburg, Temesvár, Temišvar oder Temeşvar genannt, war ja Teil Österreich-Ungarns, hat immer nach Norden und Europa geblickt (und nicht auf den Balkan) und ist sehr stolz auf seine industrielle Entwicklung und seine diesbezüglichen Primate (Erste Strassenbeleuchtung Europas ! etc.). In der Blütezeit sollen hier mindestens vierzehn Sprachen gesprochen worden sein (der jüdische Apotheker kannte sie alle, aber selbst analphabetische Bäuerinnen sprachen drei davon). Dann kamen die stumpfsinnigen Katastrophen des 20. Jahrhunderts, der Erste Weltkrieg, der Zweite Weltkrieg, die Vertreibungen und Aussiedelungen, der Nationalsozialismus, der Kommunismus…und mit ihnen der Niedergang, die Zerstörung, die Entrechtungen, die Verscheppungen, die Armut, das Elend…
Plata Uniri. Foto: Robert Quitta
Aber von Timisoara ging auch die rumänische Revolution aus, die ersten Aufstände, die ersten Toten gab es hier. Seither ist viel geschehen, die meistern zuvor heruntergekommenen Plätze erstrahlen wieder in den ursprünglichen bunten Farben (wie die Plata Uniri), und es gibt in der ganzen Innenstadt unendlich viele Cafés, kleine Geschäfte, Restaurants, Galerien, Pubs etc,,, Das Leben ist entspannt, die Einwohner sind freundlich, man fühlt sich wirklich wie zuhause, vielleicht nicht wie in „Klein-Wien“ (wie die Temeswarer behaupten), aber wie in „Klein-Graz“ auf alle Fälle.
Foto: Robert Quitta
Auf einem der Hauptplätze, der Plata Victoriei, stand sogar einmal ein waschechtes Fellner&Hellmer Theater, dem allerdings in späteren Jahren von einem Mussolini-affinen Architekten eine monumentale Marmorfassade samt Balkon (auf dem nur noch der Duce fehlt) vorgesetzt wurde, die eigentlich so gar nicht in die in der Substanz altösterreichische Stadt passt).
Das Nationaltheater. Foto: Robert Quitta
Dafür haben im Inneren gleich drei Theater ihre Heimstätte gefunden: das Rumänische Nationaltheater, das Ungarische Nationaltheater und das Deutsche Staatstheater (wenn man das Banatische, das hier gesprochen wird, als Deutsch bezeichnen kann) – letzte Reste der einstmals gelebten Multi – Ethnizität.
Die Synagoge. Foto: Robert Quitta
In unmittelbarer Nähe auch die prachtvolle Synagoge und die orthodoxe Kathedrale. Hier in diesem güldenen Tempel am Sonntag einem gesungenen Gottesdienst beiwohnen zu dürfen, beschert einem ein unvergleichliches mystisches Erlebnis.
Teil der „Unendlichen Säule“ von Brancusi. Foto: Robert Quitta
Auf der Plata Libertatii harren noch eine ehemalige Kaserne und ein wunderschönes Offziers-Casino ihrer Renovierung, auf der schon erwähnten Plata Uniri hingegen ist schon alles tip top. Ein absolutes Muss für jeden Timisoara-Besucher: das in einem barocken Palais untergebrachte Muzeul National de Arta mit seinen großartigen Sammlungen banatischer und europäischer Malerei. Hier fanden während des Kulturhauptstadtjahres (in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou) auch zwei epochale Gross-Ausstellungen statt: am Anfang des Jahres diejenige über den rumänischen Maler Victor Brauner, der aufgrund der Zeitläufte in schwindelerregender Weise Aufenthaltsorte, Nationalitäten, Parteibücher und Malstile wechselte (wechseln musste). Und zum Ende des Jahres, als krönenden Abschluss, die Hommage an den Bildhauer Constantin Brancusi (ausgesprochen: Brancusch), der es – wie soviele rumänische Künstler – erst in Paris zu Weltruhm gebracht, aber dennoch nie die Beziehung zur Heimat verloren hat. Ein „Homecoming“ als Triumph (Die Ausstellung wird – in stark erweiterter Form – ab März im Pariser Centre Pompidou – das den Grossteil seines Nachlasses besitzt – gezeigt ).
Werk von Victor Bauner. Foto: Robert Quitta
Wenn man den Bega – „Fluss“ (der ja eigentlich ein Kanal ist) entlangspaziert, gelangt man in die ärmlicheren Viertel und kommt dann an einem der merkwürdigsten Museen der Welt vorbei, dem sogenannten Transportmuseum, das hauptsächlich aus verrosteten und verrotteten Strassenbahngarnituren besteht (von denen eine einst sogar der GRÖTAZ – der größte Temeswarer aller Zeiten – nämlich Altaltstaatsoperndirektor Ioan Holender chauffiert haben soll). Schließlich landet man bei der Großen Markthalle, in der man noch Würste bekommt, die jede Fettobergrenze der EU bei weitem überschreiten, und alte Weiblein in tiefstem Schwarz die typisch rumänischen „Muraturi“ (eingelegtes Gemüse) und riesige Krauthappel für das legendäre rumänische Nationalgericht, die „Sarma“, verkaufen.
Das Transportmuseum. Foto: Robert Quitta
In gehobenster Qualität erhält man all diese Rumänischen Spezialitäten dann bereits gekocht im Restaurant Lloyd – direkt gegenüber dem Theater.
Restaurant Lloyd
Es ist eine Kreuzung aus Wiener Caféhaus und Restaurant und bietet sich aufgrund seiner großzügigen Anlage in idealer Weise als Zweitwohung und Zweitbüro für einen Timisoara-Aufenthalt an. Für das leibliche Wohl wird von früh bis spät gesorgt: mit Salata de Vinete (Melanzanipuree), Mamaliga (Polenta)), den Heiligen Sarmas (mit Fleisch und Reis gefüllte Krautwickel) und vielen anderen lokalen Spezialitäten wie dem Schweinenacken Gypsy Style etc. Runtergespült mit der autochthonen Weissweinsorte Feteasca Regala oder dem regionalen Schnaps Zuika.
Multumesc (Dankeschön) und Larivedere (Auf Wiedersehen), Timsoara (Temeswar)…!
Robert Quitta, Timisoara