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Tim Theo Tinn‘s Einlassungen:  S. Morabito „Trash-Konsens “ oder TTT „Surreal – über der Realität“? TEIL 1 (es erscheinen drei Teile an drei aufeinander folgenden Tagen)

10.11.2020 | REVIEWS

Tim Theo Tinn‘s Einlassungen:  S. Morabito „Trash-Konsens “ oder TTT „Surreal – über der Realität“?

TEIL 1 (es erscheinen drei Teile an drei aufeinander folgenden Tagen)

Che tempi sono passati? Welche Zeiten sind vorbei?
Vortrag S. Morabito v. September d.J.: Welche Ordnung der Dinge?- Zum Repertoire der Opernbühnen des 17. und 18. Jahrhunderts, https://onlinemerker.com/welche-ordnung-der-dinge-zum-repertoire-der-opernbuehnen-des-17-und-18-jahrhunderts-i-mailwechsel-sergio-morabito-thomas-prochazka/

TTT’s Gegenwurf: „Plädoyer zur Kraft surrealer Inszenierungen“, erscheint in rd. 60 Auszügen aus Publikationen der letzten Jahre in loser Folge im OnlineMerker, dazu auch Abbildungen unter…


Pixabay.com

S.Morabito (Chefdramaturg der Wiener Staatsoper) bewegt sich formal in verschlüsselten Textbausteinen und Vokabeln wie Apparition, auktoriale Instanz, transitorisch, autoritativ usw. Die vorgegebene Historie des 17./18. Jahrhunderts wird völlig richtig zur ganzheitlichen Betrachtung erweitert.

An Thomas Prochazka, einem der profiliertesten und kenntnisreichsten Merker-Autoren:

Zitat: „Ich wage daher zu behaupten, dass Ihre Ausführungen ganz viel über Sie und Ihre Opernkonsum-Gewohnheiten erzählen mögen, aber demjenigen wenig weiterhelfen, der über Musiktheater nachdenken möchte. Es ist schwer möglich, mit jemandem zu diskutieren, den das Thema, über das man sich geäußert hat, gar nicht wirklich interessiert, sondern der sich letztlich lediglich verbittet, beim Gebrauch seines Taschentuchs gestört zu werden. … der von Ihnen populistisch geschwungenen kommerziellen Drohkeule auszuliefern. … darf ich Sie auf mein Buch Opernarbeit“…

Das Buch wurde von der Zeitschrift „Opernwelt“ als Veröffentlichung des Jahres prämiert. Tatsächlich ist diese Prämierung nicht repräsentativ, da diese i.d.R. durch weniger als 10 Stimmen vergeben werden (s. Frankfurt, Opernhaus des Jahres: 8 Stimmen).

Der OnlineMerker ist eine Präsenzpublikation. Im System seiner Themen ist er relevant, kein Lebenselixier wie Theater.

Systemrelevanz: Wichtigkeit für die Aufrechterhaltung eines Systems (für rd. 99 % der Weltbevölkerung ist fehlende deutsche Theaterdichte belanglos).                                                                                      
Lebenselixier: Dinge, die die Lebensfreude erhöhen, Regeneration fördern.

S.Morabito nennt Inszenierungen in seiner aktuellen Lesart szenische Neufindungen, die grundsätzlich in heutige Konsensrealitäten verlegt werden, TTT beschwört über Realität stehende Sichtungen. Plakativ: werkfremde Neufindung versus Werkimmanenz!

Konsensrealitäten (Wirklichkeit auf die Menschen sich einigten) werden oft in werkfremde Neukreationen gepackt, mit Yellow-Press, Trash-Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände von Ort, Zeit und Handlung.

In werkimmanenten Inszenierungen geht es um über der Realität stehende Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

S. Morabito erklärt wissenschaftliche Erkenntnis mit künstlerischer Freiheit, ästhetische Praxis mit analytischer Verbindlichkeit zu vermitteln. Seinen Arbeitgeber, die WSTO bezeichnet er als Institut, also als Lehr- und Forschungseinrichtung. Bisher sind dort keine Lehrveranstaltungen oder wissenschaftlichen Forschungsergebnisse publik geworden.

Unter ästhetischer Praxis verstehe ich seine Einlassungen zur Reduktion auf heutige Konsensrealitäten in szenischen Neufindungen, Yellow-Press-, Trash-Wirklichkeiten in Auflösung von werkbestimmendem Ort, Zeit und Handlung.

Über der Realität/Surreal nach TTT verlieren Ort und Zeit Immanenz (Parsifal: Zum Raum wird hier die Zeit!), Handlung bleibt unverrückbarer Wesenszug einer werkimmanenten Inszenierung.

Diese Möglichkeit wird im Vortrag nicht beachtet, Überlegungen werden auf pauschal abgelehnte Werktreue und favorisierte Werkfremdheit/Neuheit abgestellt.

S.Morabitos Intentionen lassen sich aus Inszenatoren – Engagements der WSTO von Tobias Kratzer und Kirill Serebrennikow erkennen, die in heutigen Trash-Konsensrealitäten inszenieren.

Kirill Serebrennikow versuchte sich über Jahre als Märtyrer und Opfer sowjetischer Machthaber zu inszenieren. Nun wurde er äußerst milde trotz Millionen-Schäden verurteilt, muss lediglich Geld zurückzahlen, bleibt aber von üblich rüden Strafmaßnahmen sowjetischer Machthaber verschont. Deutsche Intendanten wollen angeblich diese Millionen-Betrügereien bezahlen, bzw. dafür sammeln. Kann er seinen Märtyrer-Bonus halten?

Zu Tobias Kratzer’s Tannhäuser – Inszenierung in Bayreuth äußerte ich mich wie folgt: Verhunztes oder befeuerndes Theater? Trash-Spektakel quer durch digitale Aufbereitungen. War das Tannhäuser, war das Theater? … freie, trashige, in unseren Alltag gezogene Assoziation (tatsächliche Handlung nicht mal Erinnerungswert) ….  Horde Bankräuber (Clown, afroamerikanischen Dragqueen, kleinwüchsiger Gnom etc. fahren in ca. 60iger Jahre Kleinlaster, töten Polizisten usw. – ja, ja so, so.                                          

Besonders gelungenes und weitgehend bekanntes Beispiel einer über der Realität stehenden surrealen Inszenierung ist die „Traviata“ von 2005 aus Salzburg mit Netrebko etc. Auch die aktuelle „Gärtnerplatz“ Tosca, inszeniert von Steffano Poda, gehört zu diesen fantastischen (im Wortsinn) seltenen Ereignissen.

Es entstehen Fragen zur konträren Position des Chefdramaturgen zum aktuellen Programm der WSTO, da dies historisch noch weiter zurückgeht.

Dieses Experiment könnte eine interessante Innovation werden. Mit Beginn der neuen Ära wird Retro Programm, also kein heutiger verfremdeter Alltag gem. Morabito, sondern Inszenierungen aus weiter zurückliegendem aktuellem Kontext (bis zu 40 Jahre) geboten. Das kann funktionieren. Mit Onegin hat TTT eine seit Jahrzenten selten gute Personenregie gesehen, die Elektra hat außerordentlich hochwertige szenische Wucht.

Empfehlen kann ich hier unbedingt Meistersinger im Schneider – Siemssen – Bühnenbild. Vor Jahrzehnten habe ich in diesem großartig monumentalen Bühnenbild eine sechswöchige szenischen Einrichtung erarbeitet. Regieauszug gibt es. Das heißt übrigens auch, dass es durchaus Ereignisse im Theater geben darf, die Retro berechtigen. Man muss differenzieren. Zumal in dem Bühnenbild alles schlüssig und logisch ist, somit sehr gute Voraussetzungen für kurzfristige Neubesetzungen bestehen, da man ohne große Erklärungen zurechtkommen kann.

Mit behaupteter analytischer Verbindlichkeit kann S. Morabito nur Auswerten, Untersuchen, verbindlich bindende Berücksichtigung der werkrelevanten Unterlagen einer Oper meinen, also Partitur, Libretto, Sekundärliteratur, etc.

Das erscheint nach bisherigem Eindruck mit der vom Chefdramaturgen propagierten Stilistik nicht aufzugehen. Da werden Libretti nicht berücksichtigt, sondern „aufgehoben“, ignoriert (s. szenische Neufindung).

TTT: Inszenieren heißt Musik und Libretto fein lesen, austauschen mit aktuellem Hier und Jetzt sowie eigenen Empfindungswelten – daraus eine individuelle Synthese werkimmanenter Lesart mit Handwerk, Emphatik und publikumswirksamer Umsetzung kreieren.

 Es bleibt die Frage wo der Urgrund solcher Inszenierungen herkommt. Nach den Darlegungen wird bestehende Handlung eliminiert, neugeschöpft, hat der Komponist untergeordnete Relevanz, soll der Wichtigkeit neuer Regisseure weichen müssen – also auch Kahlschläger sollen über sorgsame musikalische Zeugen und Aufbereitung gem. Partitur dominieren?   

Im ersten Absatz behauptet S. Morabito die Möglichkeit Vergangenheit zu wandeln/ändern. Das ist unbekannt. Selbst in einer quantentechnischen Zeitreise bleibt die Vergangenheit unverrückbarer Fakt („Heute ist morgen schon gestern“). Auch Quantenenergien können die Vergangenheit nur auf einer Zeitschiene für mglw. neue alternative Zukunft nutzen, prägen, aber nicht ändern – in einer Parallelwelt, die wahr werden kann, da alles was je war, ist, sein wird, sein könnte im universalen Variantenraum niedergelegt ist, also auch Varianten möglicher Zukunft, aber keine der Vergangenheit. Es wäre auch nicht schlüssig.

Zukunft und Parallelwelten existieren in den Morabito Ausführungen nicht. Dabei liegt im Kosmos der Möglichkeiten in Parallelwelten der Schlüssel für zukünftiges Gedeihen alles Irdischen. So etwas gehört in den Auftragskanon theatraler Darstellung, somit also über der Realität stehender Inszenierungen.

 

Es wird „historische Besinnung“ in „Morabito-Inszenierungen“ behauptet, zu „Konstellationen unserer eigenen Epoche mit einer ganz bestimmten früheren …“ Da steht TTT verständnislos, gemessen z. B. am o.a. Tannhäuser: was kann mir dieses Trash-Gemurkse sagen? Fortsetzung folgt!

Haben Manche den Vortrag von S. Morabito nun falsch verstanden oder wurde verfehlt formuliert?

 Tim Theo Tinn – 16. Nov. 2020

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press (Revolverpresse), Trash – Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zuzulassen. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

 

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