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THE SESSIONS – WENN WORTE BERÜHREN

31.12.2012 | FILM/TV

Ab 4. Jänner 2013 in den österreichischen Kinos
THE SESSIONS – WENN WORTE BERÜHREN
The Sessions / USA / 2012
Drehbuch und Regie: Ben Lewin
Mit: John Hawkes, Helen Hunt, William H. Macy u.a.

Das ist ein starker Film, aber auch ein harter, den anzusehen gar nicht stets leicht fällt – obwohl man immer wieder eingeladen ist zu lächeln, ja zu lachen. Es ist auf jeden Fall eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden, und Drehbuchautor / Regisseur Ben Lewin bewältigt den Seiltanz bemerkenswert.

Vielleicht, weil die Geschichte des querschnittgelähmten Journalisten Mark O’Brien (es gab ihn wirklich) teilweise auch die seine ist: Auch Lewin erkrankte an Polio, hatte aber „noch Glück“, so dass er heute „nur“ auf Krücken geht („Gott bewahre mich vor die Sachen, die noch a Glück sind“, sagte Tante Jolesch von Friedrich Torbergs Gnaden). O’Brien hingegen verbrachte die meiste Zeit in der „eisernen Lunge“, und wenn er außer Haus „ging“, konnte er wegen der Muskelschwäche des ganzen Körpers nicht einmal im Rollstuhl sitzen, sondern musste auf einem fahrbaren Bett liegend transportiert werden…

John Hawkes spielt diesen „Krüppel“, der letztlich nur mit seinem Gesicht sprechen kann, mit den Augen und seinen mühevoll witzigen Kommentaren zu traurigen Tatsachen, mit solcher Überzeugungskraft, dass man sich fragt, ob er nicht „echt“ sei (mehr kann ein Schauspieler nicht erreichen). Er bettelt nie um billige Anteilnahme, bedient aber auch kein Tapferkeitsklischee. Er ist eine ganz wunderbare, tragische Figur – mit einem Problem, das auch nicht alltäglich ist…

Das alles hat sich in den neunziger Jahren in Berkeley, Kalifornien, begeben. Mark O’Brien war damals 38, und wir erleben ihn zu Beginn im mühevollen Alltag mit seinen diversen Betreuern, bis er eine sympathische Chinesin findet, die ihn herumschiebt (Moon Bloodgood). In ihre hübsche Vorgängerin war er regelrecht verliebt, aber als er mit seinem Anliegen an sie herantrat, ob sie nicht Sex miteinander haben könnten, hat sie das Weite gesucht…

Das Problem ist nicht lächerlich, sondern schwierig, aber es wird dem Zuschauer dadurch erleichtert, dass Mark, ein gläubiger Christ, bei seinem zuständigen Priester Zuflucht sucht. William H. Macy spielt den Father Brendan mit langen Locken, um dessen Fortschrittlichkeit zu beweisen. Doch der Schauspieler nimmt die Rolle nie heiter-billig, es ist ein Meisterstück, wie er die Sex-Probleme von Mark begleitet, immer mit Verständnis, obwohl vieles davon ihm natürlich seiner Eigenschaft als katholischer Priester ideologisch gänzlich zuwider läuft… und Macy mit kleinsten Nuancen sein Unbehagen klarmacht, aber gleichzeitig genug Intellekt und Gefühl hat, um hier nicht die Doktrin des Katholizismus, sondern die Güte Gottes ins Spiel zu bringen.

Auftritt jener Dame, die „Sexualtherapeutin“ ist, aber die Probleme nicht nur verbal behandelt – sondern ihren ganzen (nackten) Körper einsetzt, mit dem Endziel des beiderseitigen Orgasmus, also das volle Programm, aber nicht von einer Nutte vollbracht, sondern einer Fachfrau. Dass sie nicht immer so sachlich bleiben kann, wie es vorgesehen ist, mag passieren und geschieht in diesem Fall, weil Mark O’Brien eben ein so liebenswerter Mensch ist…

Dieser Film hängt nicht nur an der Darstellung von Mark, sondern auch von dieser Cheryl, und diese ist vielleicht noch erstaunlicher. Helen Hunt ist in Hollywood ein Fall für sich. Ein eher hartes Gesicht mit schmalem Mund (solcherart hat bisher nur Jodie Foster Karriere gemacht), aber eine gewinnende, vielseitige Persönlichkeit – vor rund zehn Jahren bekam sie einen „Oscar“, spielte mit Richard Gere, Mel Gibson, Tom Hanks, Woody Allen. Es sah nach großer Karriere aus, aber Hollywood ist unberechenbar, und Helen Hunt verschwand in der Versenkung. (Dass sie als Regisseurin einen eigenen Film gemacht hat, begab sich unter der Wahrnehmbarkeitsgrenze, das findet man nur im Internet.) Und nun ist sie wieder da mit einer Rolle, vor der andere vermutlich zurückgeschreckt sind, weil man nicht nur splitterfasernackt sein muss (was sie, demnächst 50, mit einem schier unglaublich ästhetischen Körper bewältigt), sondern auch die Sexanleitungen, die sie gibt, voll ausspielen muss. Da kann natürlich nicht nur der „Leib“ beteiligt sein, da hat auch gewissermaßen die Seele mitzuwirken – eine Frau, die dies beruflich macht, aber nicht mit kalter Routine, sondern mit echtem Einfühlungsvermögen auf individuelle Bedürfnisse, die zwar später ihre „ärztlichen“ Notizen zu dem Fall diktiert, aber dennoch als Mensch nicht unbeteiligt bleibt… wuff, da ist viel zu zeigen, ohne dass alles ausgesprochen wird, und Helen Hunt macht es schier unglaublich. (Für sie und John Hawkes gab es Golden Globe-Nominierungen.)

Schließlich hat es geklappt, jener Teil an Mark O’Brien, der gewissermaßen am besten funktioniert, bekam sein Stück „Leben“ dank der liebevollen Therapeutin und ihrem vollen Körper- und Geist-Einsatz, und am Ende, bei seinem Begräbnis, versammeln sich alle Frauen, die ihm etwas bedeutet haben, und man darf mit ihnen ergriffen sein. Ohne ein bisschen Sentimentalität geht es nicht…

Dennoch: Wer will, so fragt man sich, so etwas sehen? Tatsächlich wendet man, wenn man sensibel ist, nicht nur bei der Sex-Nachhilfe manchmal den Blick ab, weil man so intime Einblicke in das Leben der nächsten gar nicht mitnehmen möchte. Aber noch belastender ist es wahrscheinlich, dem Elend des Daliegenden zuzusehen, seinem Tasten nach dem Atemschlauch, seiner Hilflosigkeit, der Hoffnungslosigkeit seiner Existenz. Andererseits sind wir alle (wenn sich das Schicksal nicht rund um uns abspielt und uns zu persönlich Betroffenen macht) zu sehr geneigt, vor den Tragödien des Alltags die Augen zu verschließen. Und wenn wir hier erleben dürfen, wie ein Mensch angesichts seiner so gut wie totalen Behinderung das Menschsein mit all seinen Bedürfnissen nicht aufgegeben hat – dann sollten wir ja doch wohl hinsehen.

Renate Wagner

 

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