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SCHLESWIG / Schleswig-Holsteinisches Landestheater: FISCHBRÖTCHENBLUES

Entgegen der derzeitigen allgemeinen Zurückhaltung beim Besuch von Veranstaltungen war das seit 2012 als Interimsspielstätte genutzte dänische Kulturzentrum Slesvighus bis auf den letzten Platz ausverkauft. 300 Zuschauer klatschten und sangen mit und spendeten am Ende unter Getrampel und mit Standing Ovations langanhaltenden Beifall. Bemerkenswert, denn es handelte sich um eine Repertoirevorstellung des Mitte Februar uraufgeführten „Heimatabends mit viel Musik“ von Peter Schanz und nicht etwa um eine Premiere.

Das unterhaltsame Stück handelt vom Für und Wider des Tourismus und nimmt dabei auf herrliche Weise augenzwinkernd zahlreiche norddeutsche Eigenheiten auf die Schippe. Ohne Touristen geht in der Region nichts, aber zu viele Touristen sind auch wieder nicht gut. Die Charaktere erfüllen sämtliche Klischees, bleiben dabei aber nicht oberflächlich, sondern werden vom Autor, der sich ebenfalls für die Regie verantwortlich zeigt, liebevoll und ganz individuell gezeichnet. Obwohl hier alles detailliert auf Schleswig-Holstein zugeschnitten ist, könnten ähnliche Typen mit leicht modifizierten Attributen auch in jeder anderen Region existieren. 

Die Kostüme reichen vom Schafsfell, über ein Piratenoutfit bis zum typischen gelben Regenmantel und die Bühne kommt im wesentlichen mit einigen beweglichen Strandkörben und der mit Piratenschiff bemaltem Verkleidung des Keyboards aus. Martin Apelt zeichnet sich für diese simple und gleichzeitig in allen Szenen atmosphärisch passende Ausstattung verantwortlich. 

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Reiner Schleberger, Kristin Heil, Steven Ricardo Scholz, Neele Frederike Maak (Foto: Henrik Matzen)

Die musikalische Leitung dieses mit unzähligen musikalischen Einlagen ausgestatteten Auftragswerks des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters liegt in den Händen von Fridtjof Bundel, der als Maik Sparow, dem traurigen Piraten am Keyboard, auch darstellerisch und gesanglich ins Geschehen eingreift. In einigen Songs wird der Keyboarder durch das musikalische Mitwirken seiner Schauspielerkollegen an der Trompete, am Saxofon und an der Gitarre unterstützt. 

Das Leitungsteam wird durch Kristin Heil komplettiert, die für die spritzigen Choreografien verantwortlich ist. Auf der Bühne verkörpert sie darüber hinaus eines der Schafe und die Social-Media-affine Umweltaktivistin Mia Sofie. Ihre Interpretation von Helene Fischers Song „Achterbahn“ gerät zu einem der Highlights des Abends. Während eines zur Farce geratenen Annäherungsversuch des Gutmenschen und Umweltaktivisten Finn-Ole (Steven Ricardo Scholz) im romantischen Mondschein von Sieseby leert Mia eine ganze Flasche Korn. Schließlich ist sie recht angesäuselt -ja, auch wir Norddeutschen reagieren irgendwann auf Alkohol-  und legt -stets in der Rolle der Betrunkenen bleibend- eine energiegeladene Performance aufs Parkett. „In meinem Kopf ist eine Achterbahn“ bekommt so eine ganz neue Bedeutung. 

Auch die zuvor von Checker (Christian Hellrigl) im Techno-Sound frei nach Scooter dargebotene Interpretation „How much is the Fischbrötchen“ steckt voller Power und Energie. Checker ist übermotiviert und frisch von der Fortbildung kommend im Auftrag der Bürgermeisterin (Katrin Schlomm) damit beschäftigt, dem touristischen Auftritt des Ortes ein frisches Angesicht zu verpassen. Die größte Innovation der Gästezimmer in Schleswig-Holstein sei in den vergangenen Jahrzehnten schließlich die Ausstattung mit fließend Wasser gewesen, so heißt es. Es ist auch seine Idee, die die Touristen verstörende Quellenplage in ein Markenzeichen umzuwandeln und Chantalle, die Qualle öffentlich für die Region werben zu lassen. Stimmlich großartig gerät dabei der musikalische Auftritt von Neele Frederike Maak, die im Laufe des Abends ebenfalls als Schaf und als Mutter Jensen zu sehen ist. Reiner Schleberger als stoffeliger Herr Hansen strotzt nur so vor trockenem Humor. Besonders köstlich ist die Szene, in der er im Fischerboot (tatsächlich ein schleunigst umfunktionierter Strandkorb) im Nord-Ostsee-Kanal zum Angeln fährt und das Publikum unter anderem wissen lässt, wie man früher einen Pferdekopf am Seil ins Wasser gelassen hat, um ihn später voller Aale wieder hochziehen zu können.  

Karin Winkler als Fischbudenpächterin Frau Emmi weiß ebenfalls komödiantisch zu begeistern und bringt das Publikum schon allein durch die Aufzählung der schier unendlich scheinenden Variationen von Fischbrötchen zum lachen. Ein weiteres zentrales Thema des Stücks ist der Umweltschutz, bzw. speziell der Artenschutz. Dem Wolf Ulf (René Rollin) wird im Laufe des Abends große Aufmerksamkeit geschenkt. Einerseits rühmt man sich allgemein der Nähe zur Natur, aber Schafe reißen und womöglich Touristen verschrecken, soll Ulf natürlich auf gar keinen Fall. Als die Quallen am Strand Überhand nehmen, wird die Rolle des lästigen Problemwolfs sogar plötzlich überflüssig und für eine Weile zieht er sich gekränkt zurück. Schließlich taucht er wieder auf und fordert für sich ein Dixieklo, in das er sich zurückziehen möchte, bis die Touristen, die ihre Hinterlassenschaften sowohl in Mutter Jensens Garten als auch im Revier des Wolfs hinterlassen, wieder gen Bayern, Baden-Württemberg und so weiter verschwunden sind. 

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Reiner Schleberger, Karin Winkler (Foto: Henrik Matzen)

Dieser Heimatabend ist so erfolgreich, dass er kommende Spielzeit wieder aufgenommen wird. Nirgendwo sonst klingen Liedzeilen wie „Sweet Home Wesselburen“ (zur Melodie von Lynyrd Skynyrds „Sweet home Alabama“) so authentisch wie hier im ländlichen Norden! Dazu passt auch ganz wunderbar die nüchterne Atmosphäre dieser Schleswiger Interimsspielstätte, die irgendwie ein klein wenig auch an ein Dorfgesellschaftshaus erinnert und der gesellschaftliche Mittelpunkt eines schleswig-holsteinischen Provinznests sein könnte. 

Marc Rohde