Schleswig-Holsteinisches Landestheater
FLENSBURG/ Landestheater: A STREETCAR NAMED DESIRE. Premiere
Ob der eher mäßige Vorverkauf dieser Premiere mit dem in der Region äußerst dürftigen öffentlichen Personennahverkehr zusammenhängt, lässt sich nicht genau sagen. Vermutlich ist es weniger der fehlende Bezug der Flensburger zur Straßenbahn (Streetcar), als die Skepsis gegenüber dem der breiten Masse eher unbekannten Komponisten André Previn.
Previn hat in seiner Partitur die Erfahrungen aus seinen eigenen Musicals und Soundtracks mit der spätromantischen und klassisch-modernen Formensprache verknüpft. Besonders emphatisch hat er hierbei das traumatisch gebrochene Bewusstsein der Hauptfigur Blanche DuBois herausgearbeitet.
Die Sopranistin Amelie Müller ist immer ein Garant für einen gelungenen Opernabend. In einem Interview mit der örtlichen Presse wurde sie kürzlich sogar schon als Opernstar gehandelt. Dies sagt allerdings mehr über die Qualität der Redaktion aus, als über den Bekanntheitsgrad der Sängerin. Das Potential zum Star hat sie ohne Zweifel und mit der Gestaltung der feinsinnigen, am Leben gescheiterten Südstaaten-Lady Blanche duBois am Schleswig-Holsteinischen Landestheater legt sie erneut eine gesangliche und darstellerische Meisterleistung ab. Es vergeht kaum eine Minute, in der sie in diesem Stück nicht auf der Bühne steht und so erleben wir an diesem Abend Müllers modulationsfähigen Sopran in einer schier unglaublichen Bandbreite von emotionalen Eruptionen bis hin zu verklärter seelischer Entrücktheit. Schauspielerisch findet die Sopranistin ebenfalls stets die richtigen Mittel für jede Situation.
Amelie Müller lässt als Blanche DuBois keine Wünsche offen – (c) Matzen
Die Schwester von Blanche, bei der diese Zuflucht vor ihrer eigenen Vergangenheit sucht, gestaltet die Sopranistin Malgorzata Roclawska. Dem devoten Charakter der Rolle entsprechend, gibt sie die Unterdrückte, die sich zwischen ihrer Schwester und ihrem Mann aufreibt und vermag dabei stimmlich stets den passenden Ton zu treffen.
Amelie Müller und Małgorzata Rocławska als ungleiche Schwestern – (c) Matzen
Ihren vulgären und gewalttätigen Gatten Stanley Kowalski spielt der gesundheitlich angeschlagene Bariton Philipp Franke. Seine Stimme verleiht dem an diesem Abend stumm agierenden Künstler der kurzfristig aus Wien angereiste Michael Mrosek, der diese Rolle bereits 2016 in Koblenz gesungen hat. Vokal bringt er kraftvoll die Brutalität und das Machogehabe des primitiven Arbeiters über die Rampe und lässt auch ab und an eine ordentliche Portion Verachtung mitschwingen. Leider wurde es versäumt, den Namen des Einspringers auf der im Theater ausgehängten Abendbesetzung zu ergänzen, so dass einzig die von der Operndirektorin vor der Vorstellung erfolgte Ansage Hinweise auf den Namen dieses exzellenten Sängers gibt.
Matthew Peña gestaltet Harold Mitchell, einen Pokerfreund von Stanley, anfangs rollengemäß zurückhaltend und blass. Er steigert sich im Laufe des Abends zu expressiven Ausbrüchen, in denen sein Charaktertenor eindringlich zur Geltung kommt und auch seine darstellerischen Qualitäten deutlich werden.
Von den kleineren Partien sei, nicht zuletzt wegen der maskenbildnerischen Meisterleistung, die mexikanische Blumenverkäuferin von Alma Samimi erwähnt. Sie verleiht dieser Figur auch vokal Charakter und verfügt dabei über eine bezwingende Bühnenpräsenz. Eva Schneidereit gestaltet die Nachbarin Eunice Hubbell mit Profil. Xiaoke Hu als Steve Hubell und Dritan Angoni als junger Kassierer komplettieren das Ensemble.
Die Sänger verstehen es in der Inszenierung von Cornelia Repschläger ausgezeichnet, den Flensburger Frühling mit Temperaturen um den Gefrierpunkt und leichtem Schneefall in ein von schwüler Hitze und emotionalen Spannungen geprägtes New Orleans der 1940’er Jahre zu verwandeln. Die Regisseurin konzentriert sich eindrucksvoll auf die emotionalen Beziehungen der Protagonisten untereinander. Bis ins kleinste Detail zeichnet sie insbesondere den Charakter der Blanche, arbeitet aber auch die vielschichtigen Charaktere der anderen Figuren heraus. Diese sind einerseits Sinnbild für bestimmte Stereotypen, andererseits allesamt Individuen mit ihren ganz persönlichen Geschichten und Eigenheiten.
Die gesamte Oper spielt in der Zweizimmerwohnung von Stella und Stanley. Streng genommen bekommt das Publikum sogar nur eines dieser Zimmer zu sehen, denn das zweite ist lediglich durch eine Tür angedeutet. Die Wände bestehen in Angelika Höckners Bühnenbild aus lichtdurchlässigen Wellkunststoff-Elementen. Sie schaffen einerseits eine emotional unterkühlte Atmosphäre und schirmen gleichzeitig die sich ereignenden Dramen vor den Blicken der Außenwelt ab. Gleichsam wirkt das ganze Konstrukt aufgrund seiner Lumineszenz fragil, wie das Geflecht menschlicher Beziehungen an sich. Die werksgerechten, teils prächtigen Kostüme stammen von Ralf Christmann.
Die Szene, in der Stanley seine Schwägerin Blanche vergewaltigt, ist choreografiert (Nicola Mascia) und verliert dadurch ihre Brutalität. Dass Blanche unmittelbar vor diesem Akt durch die mit Nacktheit andeutender Unterwäsche bekleidete Stella ausgetauscht wird, mag eine wesentliche Aussage im Sinne Freuds sein, dient bei der ersten unbedarften Auseinandersetzung mit diesem Werk allerdings nicht unbedingt dem Verständnis. Gegen Ende der Oper wird eine Leuchtreklame mit der Aufschrift „DESIRED“ heruntergelassen, hinter der sich Blanche positioniert. Stellt Blanche das Objekt der Begierde da? Geht es in diesem Stück um ihre Wünsche und Sehnsüchte? Oder um (sich oft widersprechende) Wünsche und Sehnsüchte im Allgemeinen? Diese Fragen dürfen die Zuschauer mit auf den Weg nach Hause nehmen und ihre persönlichen Antworten darauf finden.
Ingo Martin Stadtmüller führt sein Schleswig-Holsteinisches Sinfonieorchester sicher durch die emotionsgeladenen 2 3/4 Stunden und untermalt das Bühnengeschehen auf bestmögliche Weise. Er versteht sich dabei als wichtiger Partner der Sänger, die vokal stets vom Orchester getragen werden. Der Flensburger Generalmusikdirektor lässt Prévins Musik erstrahlen und in den richtigen Momenten beängstigend und bedrohlich wirken. Fragmente von Jazzmusik mit aufheulenden Klängen von Saxophon, Trompete und Klarinette charakterisieren die Südstaaten-Atmosphäre akustisch.
FLENSBURG/Landestheater: TOSCA (Premiere)
Der eiserne Vorhang hebt sich langsam nachdem der Dirigent bereits das Pult im Orchestergraben betreten hat. Der Blick auf einen mit weißem Marmor ausgekleideten Raum wird freigegeben, Eine weiße, nicht ganz korrekt bekleidete Madonna steht hinten links im Eck. Diese wenigen bühnenbildnerischen Elemente (Bühne und Kostüme: Angelika Höckner) bleiben uns den gesamten Abend über als verbindendes Element erhalten, wobei die Madonna im ersten Akt mit einem Kruzifix bestückt ist, im zweiten Akt mit einem Schwert und im dritten schließlich mit einem goldenen Herzen. Für die erste Szene darf natürlich eine Staffelei nicht fehlen, der Palazzo Farnese wird später im selben Rahmen durch Büromöbel und Laptops zur Geheimdienstzentrale ausgestattet. Was im ersten Moment nach einer weitgehend modernisierten naturalistischen Inszenierung klingt, ist aber weit mehr. So beginnt in Kornelia Repschlägers Regie das Stück mit einem jungen Mädchen, welches mit dem Rücken zum Publikum steht. Sie atmet laut und panisch, bevor sie die Bühne rennend verlässt und schließlich die ersten Takte von Puccinis Melodramma in drei Akten erklingen. Im weiteren Verlauf des Abends erzählt Repschläger werktreu die bekannte Geschichte, versetzt die Zeit der Handlung, wie man den Kostümen unschwer ansehen kann, dabei aber in die heutige Zeit. So schafft sie einen deutlichen Bezug zu aktuellen Ereignissen rund um Machtmissbrauch und zurzeit aktive Despoten jeglicher Couleur, die selbstverständlich auch die Kirchen in ihre Machenschaften mit einbeziehen. Im „Te Deum“ tritt der Chor grau gewandet mit von Strumpfmasken überzogenen Gesichtern und Zombie-haftem Habitus auf, was wiederum die neben der rein erzählerischen eine weitere Dimension zum Ausdruck bringt. Tosca erscheint im weißen Gewand und wird von diesen Gestalten nach Scarpias Phantasien beschmutzt und missbraucht. Zum Ende der Oper hin löst sich die Frage nach den seltsamen Erscheinungen endlich auf: Das von Ängsten geplagte Mädchen aus dem ersten Akt ist der Hirte (eigentlich ja ein Junge), der zu Beginn des dritten Akts seinen regulären Auftritt hat. Es handelt sich bei ihm letztendlich um ein Alter Ego von Floria Tosca, die selbst als Hirtenmädchen aufwuchs, bevor sie von Benediktinerinnen aufgenommen und zur Sängerin ausgebildet wurde. In dem Moment als Tosca laut Partitur im Finale schließlich von der Engelsburg springen sollte, wird sie in Repschlägers Produktion vom Hirtenmädchen erschossen und beide Körper fallen, durch diesen (lautlosen) Schuss erlöst, zu Boden. Ihr Albtraum und die Angstzustände enden hier. Da Kornelia Repschläger diesen Ansatz stringent das ganze Stück hindurch immer wieder, aber keinesfalls penetrant anklingen lässt, schafft sie neben der spannungsgeladenen und detailliert inszenierten äußeren Handlung einen psychologisch tiefergehenden mit der Handlung einhergehenden roten Faden zum Thema Angst. Sie entstaubt auf diese Wiese Puccinis Meisterwerk, aber entwürdigt es nicht. Das Flensburger Premierenpublikum nimmt diese für hiesige Verhältnisse sehr moderne Interpretation begeistert an und dankt allen Beteiligten schlußendlich mit minutenlangen stehenden Ovationen für den gelungenen Opernabend.
Cavaradossi und Angelotti vor dem Bildnis der Madonna in der Kirche San Andrea della Valle (c) A.T. Schäfer
Auch von musikalischer Seite gibt es nur Positives zu berichten und es kommt uns viel Schönes zu Ohren. Für die drei stimmgewichtigen Hauptpartien wurden Gäste engagiert. Shelley Jackson sang die Tosca zuvor schon an der Oper Malmö und ist auch in Flensburg stimmlich bestens aufgelegt. Ihr warmer und in keinem Moment angestrengt klingender Sopran erinnert mich ein wenig an Kiri Te Kanawa. Selbst in dramatischen Ausbrüchen neigt ihre Stimme nicht zu Schärfen und bei aller vokaler Schönheit vermag die junge Amerikanerin es stets, das Orchester zu überstrahlen und nicht dagegen anzusingen. Der italo-ecuadorianische Tenor David Esteban hat es sprachlich wohl etwas leichter, als die weibliche Titelheldin. Stimmlich wird er der Rolle des Mario Cavaradossi auf der kleinen Bühne rundum gerecht und kann sich auch gegen die starke Bühnenpräsenz der weiblichen Protagonistin gut behaupten. Sein Kostüm erinnert mehr an einen Anstreicher als an einen Kunstmaler. Als Bilderbuch-Bösewicht brilliert der bulgarische Bariton Krum Galabov. Seine rauchig-rauhe Stimme unterstreicht die Brutalität, die in der Rolle des Scarpia steckt. Darstellerisch nimmt man ihm den sadistischen und hinterlistigen Polizeichef in jedem Moment ab, wobei er immer eher nobler Intrigant als grobschlächtiger Schurke bleibt.
Voller Energie und mit stimmlicher Präsenz durchlebt Tosca (Shelley Jackson) ihren Albtraum im als Geheimdienstzentrale fungierenden Palazzo Farnese (c) A.T. Schäfer
Neben diesem perfekt harmonierenden Trio fallen die mit Ensemblemitgliedern besetzten Rollen nicht ab und perfektionieren somit den harmonischen Gesamteindruck. Timo Hannig gibt den Cesare Angelotti, Allround-Talent Kai-Moritz von Blanckenburg begeistert als Mesner. Dritan Angoni gestaltet den Spoletta und die beiden Mitglieder des Opernchores Karol Malinowski (Sciarrone) und Dmitri Metkin (Schließer) komplettieren das Ensemble. Glafira Kaplun verzaubert in der Rolle des Hirten mit engelsgleicher Stimme.
GMD Ingo Martin Stadtmüller versteht es von der ersten Minute an vorzüglich, das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester im Zaum zu halten und das kleine Auditorium des Flensburger Stadttheaters nicht mit purer Lautstärke zu überfrachten. Dabei gelingen ihm viele dramatische und auch wunderschöne, schwelgerische Momente ohne je ins Kitschige abzugleiten. Eine wichtige Rolle nehmen natürlich auch der Opern- und Extrachor des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters und die Mitglieder des Kinderchores der Lornsenschule Schleswig ein, die sich unter der Leitung des neuen Chordirektors Avishay Shalom gut disponiert in bester stimmlicher Verfassung präsentieren.
Diese Saisonpremiere ist ein Beweis für die künstlerische Schlagkraft dieser nördlichsten Bühne im deutschsprachigen Raum und belegt, dass das Leitungsteam die in Flensburg beheimatete Musiktheatersparte des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters mit durchdachten Konzepten und guter Sängerauswahl auf ein beachtliches Niveau gebracht hat. Unter den jubelnden Premierengästen fanden sich auch zahlreiche jüngere Menschen, darunter einige Kinder, die sich genau so für diesen Bühnenklassiker begeistern konnten, wie das ältere Stammpublikum.
SCHLESWIG / Schleswig-Holsteinisches Landestheater: FISCHBRÖTCHENBLUES
Entgegen der derzeitigen allgemeinen Zurückhaltung beim Besuch von Veranstaltungen war das seit 2012 als Interimsspielstätte genutzte dänische Kulturzentrum Slesvighus bis auf den letzten Platz ausverkauft. 300 Zuschauer klatschten und sangen mit und spendeten am Ende unter Getrampel und mit Standing Ovations langanhaltenden Beifall. Bemerkenswert, denn es handelte sich um eine Repertoirevorstellung des Mitte Februar uraufgeführten „Heimatabends mit viel Musik“ von Peter Schanz und nicht etwa um eine Premiere.
Das unterhaltsame Stück handelt vom Für und Wider des Tourismus und nimmt dabei auf herrliche Weise augenzwinkernd zahlreiche norddeutsche Eigenheiten auf die Schippe. Ohne Touristen geht in der Region nichts, aber zu viele Touristen sind auch wieder nicht gut. Die Charaktere erfüllen sämtliche Klischees, bleiben dabei aber nicht oberflächlich, sondern werden vom Autor, der sich ebenfalls für die Regie verantwortlich zeigt, liebevoll und ganz individuell gezeichnet. Obwohl hier alles detailliert auf Schleswig-Holstein zugeschnitten ist, könnten ähnliche Typen mit leicht modifizierten Attributen auch in jeder anderen Region existieren.
Die Kostüme reichen vom Schafsfell, über ein Piratenoutfit bis zum typischen gelben Regenmantel und die Bühne kommt im wesentlichen mit einigen beweglichen Strandkörben und der mit Piratenschiff bemaltem Verkleidung des Keyboards aus. Martin Apelt zeichnet sich für diese simple und gleichzeitig in allen Szenen atmosphärisch passende Ausstattung verantwortlich.

Reiner Schleberger, Kristin Heil, Steven Ricardo Scholz, Neele Frederike Maak (Foto: Henrik Matzen)
Die musikalische Leitung dieses mit unzähligen musikalischen Einlagen ausgestatteten Auftragswerks des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters liegt in den Händen von Fridtjof Bundel, der als Maik Sparow, dem traurigen Piraten am Keyboard, auch darstellerisch und gesanglich ins Geschehen eingreift. In einigen Songs wird der Keyboarder durch das musikalische Mitwirken seiner Schauspielerkollegen an der Trompete, am Saxofon und an der Gitarre unterstützt.
Das Leitungsteam wird durch Kristin Heil komplettiert, die für die spritzigen Choreografien verantwortlich ist. Auf der Bühne verkörpert sie darüber hinaus eines der Schafe und die Social-Media-affine Umweltaktivistin Mia Sofie. Ihre Interpretation von Helene Fischers Song „Achterbahn“ gerät zu einem der Highlights des Abends. Während eines zur Farce geratenen Annäherungsversuch des Gutmenschen und Umweltaktivisten Finn-Ole (Steven Ricardo Scholz) im romantischen Mondschein von Sieseby leert Mia eine ganze Flasche Korn. Schließlich ist sie recht angesäuselt -ja, auch wir Norddeutschen reagieren irgendwann auf Alkohol- und legt -stets in der Rolle der Betrunkenen bleibend- eine energiegeladene Performance aufs Parkett. „In meinem Kopf ist eine Achterbahn“ bekommt so eine ganz neue Bedeutung.
Auch die zuvor von Checker (Christian Hellrigl) im Techno-Sound frei nach Scooter dargebotene Interpretation „How much is the Fischbrötchen“ steckt voller Power und Energie. Checker ist übermotiviert und frisch von der Fortbildung kommend im Auftrag der Bürgermeisterin (Katrin Schlomm) damit beschäftigt, dem touristischen Auftritt des Ortes ein frisches Angesicht zu verpassen. Die größte Innovation der Gästezimmer in Schleswig-Holstein sei in den vergangenen Jahrzehnten schließlich die Ausstattung mit fließend Wasser gewesen, so heißt es. Es ist auch seine Idee, die die Touristen verstörende Quellenplage in ein Markenzeichen umzuwandeln und Chantalle, die Qualle öffentlich für die Region werben zu lassen. Stimmlich großartig gerät dabei der musikalische Auftritt von Neele Frederike Maak, die im Laufe des Abends ebenfalls als Schaf und als Mutter Jensen zu sehen ist. Reiner Schleberger als stoffeliger Herr Hansen strotzt nur so vor trockenem Humor. Besonders köstlich ist die Szene, in der er im Fischerboot (tatsächlich ein schleunigst umfunktionierter Strandkorb) im Nord-Ostsee-Kanal zum Angeln fährt und das Publikum unter anderem wissen lässt, wie man früher einen Pferdekopf am Seil ins Wasser gelassen hat, um ihn später voller Aale wieder hochziehen zu können.
Karin Winkler als Fischbudenpächterin Frau Emmi weiß ebenfalls komödiantisch zu begeistern und bringt das Publikum schon allein durch die Aufzählung der schier unendlich scheinenden Variationen von Fischbrötchen zum lachen. Ein weiteres zentrales Thema des Stücks ist der Umweltschutz, bzw. speziell der Artenschutz. Dem Wolf Ulf (René Rollin) wird im Laufe des Abends große Aufmerksamkeit geschenkt. Einerseits rühmt man sich allgemein der Nähe zur Natur, aber Schafe reißen und womöglich Touristen verschrecken, soll Ulf natürlich auf gar keinen Fall. Als die Quallen am Strand Überhand nehmen, wird die Rolle des lästigen Problemwolfs sogar plötzlich überflüssig und für eine Weile zieht er sich gekränkt zurück. Schließlich taucht er wieder auf und fordert für sich ein Dixieklo, in das er sich zurückziehen möchte, bis die Touristen, die ihre Hinterlassenschaften sowohl in Mutter Jensens Garten als auch im Revier des Wolfs hinterlassen, wieder gen Bayern, Baden-Württemberg und so weiter verschwunden sind.

Reiner Schleberger, Karin Winkler (Foto: Henrik Matzen)
Dieser Heimatabend ist so erfolgreich, dass er kommende Spielzeit wieder aufgenommen wird. Nirgendwo sonst klingen Liedzeilen wie „Sweet Home Wesselburen“ (zur Melodie von Lynyrd Skynyrds „Sweet home Alabama“) so authentisch wie hier im ländlichen Norden! Dazu passt auch ganz wunderbar die nüchterne Atmosphäre dieser Schleswiger Interimsspielstätte, die irgendwie ein klein wenig auch an ein Dorfgesellschaftshaus erinnert und der gesellschaftliche Mittelpunkt eines schleswig-holsteinischen Provinznests sein könnte.
Marc Rohde