Jyske Opera
FLENSBURG/ Deutsches Haus: RAVNEN – Gastspiel der Jyske Opera
In Flensburg zählen sich etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung zur dänischen Minderheit. Darüber hinaus wohnen über 2.000 dänische Staatsbürger in der Grenzstadt. So verwundert es nicht, dass das kulturelle Leben stark von dänischen Einflüssen geprägt ist und die Dänische Landesoper (Den Jyske Opera) aus Aarhus regelmäßig in der Fördestadt zu Gast ist.
Von dem 1805 in Kopenhagen geborenen Komponisten Johann Peter Emilius Hartmann sind bestenfalls – und dies wohl auch weniger im deutschsprachigen Raum – einige Lieder und seine Oper „Liden Kirsten“ bekannt. In den Augen des Regisseurs Philipp Kochheim ist Hartmanns „Ravnen“ (=der Rabe) diesen berühmteren Werken musikalisch deutlich überlegen. Das Libretto von Hans Christian Andersen bietet einige dramatische Szenen, ist aber – vor allem in den gesprochenen Dialogen – bei weitem nicht auf dem gleichen Niveau. Es verwirrt mit einer Abfolge von stereotypen Szenen, unglaubwürdigen Situationen und oberflächlichen Charakteren. Nach heutigen Maßstäben wirke „Ravnen“ unaufführbar und gleiche einer Parodie auf die Absurditäten des Musiktheaters des 19. Jahrhunderts. Das Leitungsteam ist davon überzeugt, dass die wunderschöne Partitur eine Wiederbelebung verdient hat, und so entschloss man sich, der Handlung eine neue Deutung zu verleihen. Der Fokus im so veränderten und von Kochheim mit neuen Sprechtexten versehenen Werk liegt auf der Figur der Armilla, die als heimliches Selbstporträt des sexuell isolierten Hans Christian Andersen gelte. Um ihr psychologisches Dilemma noch weiter zu entwickeln und die Geschichte vollständig aus Armillas Perspektive zu erzählen, wurden dem Werk einige fesselnde Ausschnitte aus Hartmanns Balletten „Valkyrien“ und „Thrymsqviden“ als kurze Tanzassoziationen hinzugefügt.
Die reale Welt von Armilla ist einengend und farblos
Foto: Anders Bach
Armilla ist die Tochter des lieblosen Norando. Dieser ist enttäuscht darüber, dass sie aufgrund ihres Geschlechts sein Geschäft später nicht wird übernehmen können. Schlimmer noch: Sie ist körperlich behindert und daher für den Heiratsmarkt ungeeignet. Da sie seit dem Tod ihrer Mutter vor langer Zeit jeglichen Kontakt zu Frauen verloren hat, ist sie in einem kleinen, fensterlosen Raum eingesperrt, wo sie von gesichtslosen Schergen und Schlägern, die für ihren furchterregenden Vater arbeiten, gequält wird.
Ohne Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen oder ihren Körper auf irgendeine Weise entdecken zu können, klammert sie sich an ihre einzigen Begleiter: einen Stapel alter Bücher und ihre japanische Puppe. Angetrieben von einer lebhaften Fantasie träumt sie sich aus ihrem bürgerlichen Gefängnis heraus und erschafft sich eine Gedankenwelt, in der sie schön und klug ist und in einer romantischen Dreiecksbeziehung verstrickt ist. Ähnlich wie ihre berühmte Schwester im Geiste, Wagners Senta aus „Der fliegende Holländer“, stellt sie sich einen Mann vor, krank wie sie selbst, den nur ihre reine Liebe vor dem dunklen Fluch des toten Raben retten kann.
Das Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic erinnert bewusst an die melancholisch wirkenden Gemälde leerer Wohnungen des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi. Zu Beginn der Oper ist Armillas kleines, enges weiß und karg eingerichtetes Zimmer zu sehen, welches ebenfalls am Ende, quasi im Epilog, wieder zu sehen ist. Die eigentliche märchenhafte Geschichte spielt zwischen diesen Szenen in einem weit größeren, über die gesamte Bühnenbreite reichenden und phantasievoll ausgestatteten Raum ab. Überhaupt entzückt die detaillierte und phantasiereiche Inszenierung Philip Kochheims trotz der sprachlichen Barriere (Dialoge und Gesang in dänischer Sprache, dazu dänische Übertitel für den Gesang) ungemein. Auch das immer noch leicht angestaubt wirkende Sujet dieses Opernmärchens für Erwachsene mit seinen Meeresnymphen und Vampiren erfreut das Publikum auf herzerfrischende Weise. Die liebevoll gestalteten Kostüme von Ariane Isabell Unfried und die hervorragende Lichtregie von Anders Poll tragen das ihrige dazu bei.
Das farbenfrohe Reich der Phantasie erstreckt sich hingegen über die volle Bühnenbreite
Foto: Anders Bach
Die Koloratursopranistin Sibylle Glosted verkörpert die Armilla mit stets sicher geführter, reiner und fokussierter Stimme, sowie großartigen schauspielerischen Qualitäten. Die Transformation vom eingeschüchterten Mädchen zur Männer als Marionetten benutzenden selbstbewussten Frau in der Phantasiewelt gelingt ihr ausgezeichnet. Die Sängerdarstellerin trägt nicht zuletzt durch ihre Bühnenpräsenz maßgeblich zum äußerst gelungenen Abend bei. Als ihre männlichen Mitspieler buhlen der Bariton Teit Kanstrup als Prins Millo und Tenor Christian Damsgaard um ihre Gunst. Darstellerisch hinterlassen beide einen zurückhaltenderen Eindruck als die Protagonistin, aber vokal bleiben die Männer ihren Rollen nichts schuldig. Steffen Bruun als Norando wirkt stimmlich ein wenig blass und gibt eher den emotionsarmen Vater als einen wahren Bösewicht.
Als Tänzerin (bzw. japanische Puppe) sticht Keiko Moriyama solistisch hervor. Die kleineren Gesangspartien werden von Søren Ruby (Tartaglia), Mo Chara (Deramo), Estrid Molt Ipsen, Eline Denice Risager, Lina Valantiejute (Havnymfer) und Sophie Thing-Simonsen (Vampyr) gegeben.
Für mich ist es eine positive Überraschung, dass das Sønderjyllands Symfoniorkester zwar zu akustischen Ausbrüchen (etwa in der Gewitterszene) in der Lage ist, aber trotz zwischen Bühne und Zuschauern im Parkett platzierten Musikern (das Haus hat keinen Orchestergraben), zu zarten und leisen Tönen fähig ist und die Sänger nie übertönt. Dabei gelingt es den mit warmem Klang aufspielenden Musikern unter der engagierten Leitung von Christofer Lichtenstein die Sänger stets konzentriert und mit der nötigen Spannung zu begleiten. Großes Lob dafür, denn in Sinfoniekonzerten in diesem Hause habe ich schon mehrmals Angst um meine Trommelfelle gehabt.
Obwohl ich keine der Melodien kannte, hatte ich während der Vorstellung oft ein vertrautes Gefühl. Einiges in dieser 1830-1832 komponierten Oper erinnerte mich an Webers Freischütz, obwohl man Hartmann eine eher klassizistische Grundhaltung, die manchmal an Felix Mendelssohn Bartholdy gemahnt, oder mit Robert Schumanns Musik verwandt sei, nachsagt.
Einen Mitschnitt einer Aufführung dieser Serie können Sie hier auf der Internetseite von Danmarks Radio hören und sich gerne auch den Trailer zur Produktion ansehen:
SØNDERBORG/ Alsion: EUGEN ONEGIN
Den Jyske Opera ist eigentlich in der dänischen Stadt Aarhus beheimatet, aber tourt mit ihren Produktionen durch weite Teile Dänemarks. In der kleinen Stadt Sonderburg an der Flensburger Förde gibt es kein Theater. Seit 2007 existiert hier aber ein Konzertsaal mit einer ganz hervorragenden Akustik. Einige Kritiker sprechen sogar davon, dass dieser Saal zu den weltweit besten für klassische symphonische Musik gehört.
Für die szenische Opernproduktion wurde das Podium zur Bühne umfunktioniert und das Orchester davor im Zuschauerbereich platziert. Trotz der auf den ersten Blick nicht perfekten Bedingungen waren sowohl optisch als auch klanglich keine Abstriche zu machen. Das in Sonderburg beheimatete Sønderjyllands Symfonieorkester unter der Leitung von Tecwyn Evans klang ausgeglichen und untermalte Tschaikowskis „lyrische Szenen“ optimal und ohne zu stark in den Vordergrund zu rücken oder die Sänger zu überdecken. Dass bei der knapp zwei Monate dauernden Tour alle Rollen doppelt besetzt sind, ist keine große Überraschung. Dass insgesamt fünf verschiedene lokale Orchester zum Einsatz kommen ist aber eine Besonderheit die ich nicht verschweigen möchte. Von wenigen kleinen Abstimmungsproblemen abgesehen meisterten die Sonderburger Musiker ihre Aufgabe vorzüglich.
Hinrich Horstkotte zeichnet sich für die Inszenierung, das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich. Diese Produktion war bereits 2016 am Nordharzer Städtebundtheater in Halberstadt zu sehen. Bei ihm spielt die musikalische Reminiszenz an Alexander Puschkins Romanvorlage um das Jahr 1890, also zu Lebzeiten des Komponisten. Es gelingt dem deutschen Regisseur und Ausstatter, melancholische Stimmungen auf die Bühne zu zaubern. Bei allen Charakteren hat man den Eindruck, sie seien auf der Suche nach irgendetwas, das ihnen schlussendlich doch verwehrt bleibt. Dabei spielen die beiden ersten Akte fast ausnahmslos in weißen Kostümen und weißer Kulisse. Nur Onegin trägt von Beginn an Schwarz. In der Ball-Szene geht es ebenfalls, trotz der aufwändigen und opulenten Kostüme farblos zu und die Beliebigkeit derartiger gesellschaftlicher Ereignisse wird gut zum Ausdruck gebracht. Trotz aller Opulenz dominiert die innere Langeweile. Nachdem Lenski im Duell gegen Onegin unterliegt wandelt sich alles und Schwarz dominiert bis zum Schlussakkord. Ist diese dunkle Seite trister als die strahlende? Eigentlich nicht.

Jens Søndergaard als Onegin und Elin Pritchard (Tatjana)
Jens Søndergaard, den ich einige Monate zuvor schon als Wotan in Esbjerg erleben durfte, punktete in der Titelrolle mit noblem Gestus und geschmeidigem edel timbriertem Bariton. Philippe Do als Lenski agierte anfangs mit alberner Perücke und später im Pierrot-Kostüm. Er hätte seine vokale Interpretation etwas subtiler ausgestalten dürfen, aber fügte sich stützend ins Ensemble ein. Fürst Gremin wurde mit der nötigen Noblesse von Valerian Ruminski gegeben. Ein wenig mehr russische Schwärze in der Stimme hätte der Interpretation noch besser getan. Jens Jagd gefiel als Triquet. Seine musikalische Huldigung Tatjanas geriet szenisch zu einem kabarettistischem Juwel. Johanne Højlund gab der Olga darstellerisch Profil. Ihr Mezzo klang jedoch mitunter angespannt und etwas zu schwer für die Partie des jungen Mädchens. Rollendeckend hingegen gelang der walisischen Sopranistin Elin Pritchard mit ihrer warmen Stimme die Gestaltung der Tatjana.
Insgesamt ein gelungener Abend, der nicht zuletzt wegen zahlreicher auf der Bühne angedeuteter Birken russische Melancholie verströmt und dank Horstkottes Ansatz dabei nicht ins Museale abgleitet.
Marc Rohde