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SØNDERBORG/ Alsion: EUGEN ONEGIN
Den Jyske Opera ist eigentlich in der dänischen Stadt Aarhus beheimatet, aber tourt mit ihren Produktionen durch weite Teile Dänemarks. In der kleinen Stadt Sonderburg an der Flensburger Förde gibt es kein Theater. Seit 2007 existiert hier aber ein Konzertsaal mit einer ganz hervorragenden Akustik. Einige Kritiker sprechen sogar davon, dass dieser Saal zu den weltweit besten für klassische symphonische Musik gehört.
Für die szenische Opernproduktion wurde das Podium zur Bühne umfunktioniert und das Orchester davor im Zuschauerbereich platziert. Trotz der auf den ersten Blick nicht perfekten Bedingungen waren sowohl optisch als auch klanglich keine Abstriche zu machen. Das in Sonderburg beheimatete Sønderjyllands Symfonieorkester unter der Leitung von Tecwyn Evans klang ausgeglichen und untermalte Tschaikowskis „lyrische Szenen“ optimal und ohne zu stark in den Vordergrund zu rücken oder die Sänger zu überdecken. Dass bei der knapp zwei Monate dauernden Tour alle Rollen doppelt besetzt sind, ist keine große Überraschung. Dass insgesamt fünf verschiedene lokale Orchester zum Einsatz kommen ist aber eine Besonderheit die ich nicht verschweigen möchte. Von wenigen kleinen Abstimmungsproblemen abgesehen meisterten die Sonderburger Musiker ihre Aufgabe vorzüglich.
Hinrich Horstkotte zeichnet sich für die Inszenierung, das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich. Diese Produktion war bereits 2016 am Nordharzer Städtebundtheater in Halberstadt zu sehen. Bei ihm spielt die musikalische Reminiszenz an Alexander Puschkins Romanvorlage um das Jahr 1890, also zu Lebzeiten des Komponisten. Es gelingt dem deutschen Regisseur und Ausstatter, melancholische Stimmungen auf die Bühne zu zaubern. Bei allen Charakteren hat man den Eindruck, sie seien auf der Suche nach irgendetwas, das ihnen schlussendlich doch verwehrt bleibt. Dabei spielen die beiden ersten Akte fast ausnahmslos in weißen Kostümen und weißer Kulisse. Nur Onegin trägt von Beginn an Schwarz. In der Ball-Szene geht es ebenfalls, trotz der aufwändigen und opulenten Kostüme farblos zu und die Beliebigkeit derartiger gesellschaftlicher Ereignisse wird gut zum Ausdruck gebracht. Trotz aller Opulenz dominiert die innere Langeweile. Nachdem Lenski im Duell gegen Onegin unterliegt wandelt sich alles und Schwarz dominiert bis zum Schlussakkord. Ist diese dunkle Seite trister als die strahlende? Eigentlich nicht.

Jens Søndergaard als Onegin und Elin Pritchard (Tatjana)
Jens Søndergaard, den ich einige Monate zuvor schon als Wotan in Esbjerg erleben durfte, punktete in der Titelrolle mit noblem Gestus und geschmeidigem edel timbriertem Bariton. Philippe Do als Lenski agierte anfangs mit alberner Perücke und später im Pierrot-Kostüm. Er hätte seine vokale Interpretation etwas subtiler ausgestalten dürfen, aber fügte sich stützend ins Ensemble ein. Fürst Gremin wurde mit der nötigen Noblesse von Valerian Ruminski gegeben. Ein wenig mehr russische Schwärze in der Stimme hätte der Interpretation noch besser getan. Jens Jagd gefiel als Triquet. Seine musikalische Huldigung Tatjanas geriet szenisch zu einem kabarettistischem Juwel. Johanne Højlund gab der Olga darstellerisch Profil. Ihr Mezzo klang jedoch mitunter angespannt und etwas zu schwer für die Partie des jungen Mädchens. Rollendeckend hingegen gelang der walisischen Sopranistin Elin Pritchard mit ihrer warmen Stimme die Gestaltung der Tatjana.
Insgesamt ein gelungener Abend, der nicht zuletzt wegen zahlreicher auf der Bühne angedeuteter Birken russische Melancholie verströmt und dank Horstkottes Ansatz dabei nicht ins Museale abgleitet.
Marc Rohde
FLENSBURG/ Schleswig-Holsteinisches-Landestheater: RIGOLETTO, Premiere
Es war eine besondere Premiere, die da am Schleswig-Holsteinischen Landestheater stattfand: Zum einen handelte es sich um die erste Musiktheaterproduktion der Saison, spannender machten den Abend aber die Faktoren neuer Generalmusikdirektor und scheidender Generalintendant. Diese besondere Atmosphäre und nicht zuletzt die künstlerischen Leistungen des Abends belohnte das Publikum schließlich mit stehenden Ovationen.
Beginnen wir beim scheidenden Generalintendanten. Peter Grisebach ist seit der Spielzeit 2010/2011 Generalintendant des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters und Sinfonieorchesters. Damals stand das Haus kurz vor der Insolvenz und er trug durch seine Neuausrichtung des Musiktheaters, des Schauspiels und des Balletts maßgeblich dazu bei, dass Deutschlands nördlichste Region heute überhaupt noch ein eigenständiges Dreispartenhaus hat. So galt ein Teil des Jubels sicher der Gesamtleistung des Intendanten und nur zum Teil der an diesem Abend gesehenen Inszenierung. Diese sollte modern sein, was durch Kostüme und Bühnenbild auch klar zum Ausdruck kam, war aber doch eher unaufgeregt. Das rauschende Fest zu Beginn deutet Ausschweifungen eigentlich nur an. Die auf Konsumgut reduzierten Damen sind auf der kleinen Flensburger Bühne züchtiger gekleidet, als manche Abiturientin beim Shopping in der Fußgängerzone. Rigoletto hat bei Grisebach keinen Buckel, sondern eine Gehbehinderung, die ihn in einigen Szenen in einem extravaganten Rollstuhl über die Bühne gleiten und ihn in anderen Bildern an Krücken gehen lässt. Das Bühnenbild von Michele Lorenzini zeigt den Palast des Herzogs als moderne und gleichsam architektonisch kühle Villa, Rigolettos Haus als Käfig, in dem er seine Tochter Gilda vor Gefahren aus der Außenwelt beschützt, sie aber in der Konsequenz gleichzeitig ihrer Freiheit beraubt und Sparafuciles Heim lässt er gar zur Rotlichtbar mutieren. Die Kostüme sind tendenziell unauffällig und zeitgemäß, umso klarer stechen der farbenfrohe blaue Anzug des Duca und auch die einfallsreiche Rollstuhlkonstruktion Rigolettos ins Auge.

Rauschendes Fest beim Duca di Mantua © Henrik Matzen
Kimbo Ishii am Pult sorgte am Premierenabend für ein konzentriert und harmonisch aufspielendes Schleswig-Holsteinisches Sinfonieorchester, das Verdis Partitur sehr geschmeidig und an den nötigen Stellen auch dramatisch umsetzte. Der absolut bewundernswerten Leistung, dass alle Sänger stets ohne brüllen zu müssen sehr gut zu hören waren, gebührt ein Sonderlob.
Chul-Hyun Kim (Duca di Mantua) hatte durchaus die Phonstärke, um sich auch gegen unsensibler aufspielende Musiker Gehör zu verschaffen. Insbesondere im zweiten und dritten Akt tat er sich schwer damit, seine vokalen Kräfte zu zügeln. Wenn es ihm doch gelang, klang sein Tenor strahlend und schön. Kai-Moritz von Blanckenburg gestaltete einen intensiven Rigoletto. Er verstand es, den Charakter des ausgegrenzten und um seine Tochter sorgenden Hofnarren darstellerisch optimal zu verkörpern und wartete dabei mit einem schönstimmigen Verdi-Bariton auf. Manchmal meinte ich, eine gewisse Nervosität herausgehört zu haben, aber falls dies keine Einbildung war, sollte sich das in den kommenden Vorstellungen schnell legen. Einen uneingeschränkt positiven Eindruck hinterließ Amelie Müller als Gilda. Ihr Sopran überzeugte mit einem bezaubernden silbrigen Klang, der sowohl in den Koloraturen als auch in den lyrischen Passagen wunderbar zur Geltung kam und dessen Timbre wunderbar zur Rolle passte. Sie verstand es vorzüglich die Wandlung von der behüteten Tochter zur emanzipierten Frau zu durchleben und punktete auch durch ihr ausdrucksstarkes Spiel. Sparafucile gab das neue Ensemblemitlgied Roger Krebs und machte Lust auf weitere Begegnungen mit dem Sänger. Eva Maria Summerer als Maddalena zeigte ebenfalls Profil. Auch die weiteren Rollen waren gut besetzt und auch der Chor unter der Leitung von Bernd Stepputtis trug seinen Teil zum Erfolg des Abends bei.

Emotionale Protagonisten in nüchternem Ambiente: Kai-Moritz von Blanckenburg und Amelie Müller © Henrik Matzen
Auch für diese Produktion lohnt sich ein Ausflug zu Deutschlands nördlichstem Opernhaus. Nicht nur Touristen, sondern auch Opernliebhabern und Agenten auf der Suche nach sehr guten Sängern sei die Reise an die dänische Grenze ans Herz gelegt.
Marc Rohde 09/2019