Flensburg
FLENSBURG/ Schleswig-Holsteinisches-Landestheater: RIGOLETTO, Premiere
Es war eine besondere Premiere, die da am Schleswig-Holsteinischen Landestheater stattfand: Zum einen handelte es sich um die erste Musiktheaterproduktion der Saison, spannender machten den Abend aber die Faktoren neuer Generalmusikdirektor und scheidender Generalintendant. Diese besondere Atmosphäre und nicht zuletzt die künstlerischen Leistungen des Abends belohnte das Publikum schließlich mit stehenden Ovationen.
Beginnen wir beim scheidenden Generalintendanten. Peter Grisebach ist seit der Spielzeit 2010/2011 Generalintendant des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters und Sinfonieorchesters. Damals stand das Haus kurz vor der Insolvenz und er trug durch seine Neuausrichtung des Musiktheaters, des Schauspiels und des Balletts maßgeblich dazu bei, dass Deutschlands nördlichste Region heute überhaupt noch ein eigenständiges Dreispartenhaus hat. So galt ein Teil des Jubels sicher der Gesamtleistung des Intendanten und nur zum Teil der an diesem Abend gesehenen Inszenierung. Diese sollte modern sein, was durch Kostüme und Bühnenbild auch klar zum Ausdruck kam, war aber doch eher unaufgeregt. Das rauschende Fest zu Beginn deutet Ausschweifungen eigentlich nur an. Die auf Konsumgut reduzierten Damen sind auf der kleinen Flensburger Bühne züchtiger gekleidet, als manche Abiturientin beim Shopping in der Fußgängerzone. Rigoletto hat bei Grisebach keinen Buckel, sondern eine Gehbehinderung, die ihn in einigen Szenen in einem extravaganten Rollstuhl über die Bühne gleiten und ihn in anderen Bildern an Krücken gehen lässt. Das Bühnenbild von Michele Lorenzini zeigt den Palast des Herzogs als moderne und gleichsam architektonisch kühle Villa, Rigolettos Haus als Käfig, in dem er seine Tochter Gilda vor Gefahren aus der Außenwelt beschützt, sie aber in der Konsequenz gleichzeitig ihrer Freiheit beraubt und Sparafuciles Heim lässt er gar zur Rotlichtbar mutieren. Die Kostüme sind tendenziell unauffällig und zeitgemäß, umso klarer stechen der farbenfrohe blaue Anzug des Duca und auch die einfallsreiche Rollstuhlkonstruktion Rigolettos ins Auge.

Rauschendes Fest beim Duca di Mantua © Henrik Matzen
Kimbo Ishii am Pult sorgte am Premierenabend für ein konzentriert und harmonisch aufspielendes Schleswig-Holsteinisches Sinfonieorchester, das Verdis Partitur sehr geschmeidig und an den nötigen Stellen auch dramatisch umsetzte. Der absolut bewundernswerten Leistung, dass alle Sänger stets ohne brüllen zu müssen sehr gut zu hören waren, gebührt ein Sonderlob.
Chul-Hyun Kim (Duca di Mantua) hatte durchaus die Phonstärke, um sich auch gegen unsensibler aufspielende Musiker Gehör zu verschaffen. Insbesondere im zweiten und dritten Akt tat er sich schwer damit, seine vokalen Kräfte zu zügeln. Wenn es ihm doch gelang, klang sein Tenor strahlend und schön. Kai-Moritz von Blanckenburg gestaltete einen intensiven Rigoletto. Er verstand es, den Charakter des ausgegrenzten und um seine Tochter sorgenden Hofnarren darstellerisch optimal zu verkörpern und wartete dabei mit einem schönstimmigen Verdi-Bariton auf. Manchmal meinte ich, eine gewisse Nervosität herausgehört zu haben, aber falls dies keine Einbildung war, sollte sich das in den kommenden Vorstellungen schnell legen. Einen uneingeschränkt positiven Eindruck hinterließ Amelie Müller als Gilda. Ihr Sopran überzeugte mit einem bezaubernden silbrigen Klang, der sowohl in den Koloraturen als auch in den lyrischen Passagen wunderbar zur Geltung kam und dessen Timbre wunderbar zur Rolle passte. Sie verstand es vorzüglich die Wandlung von der behüteten Tochter zur emanzipierten Frau zu durchleben und punktete auch durch ihr ausdrucksstarkes Spiel. Sparafucile gab das neue Ensemblemitlgied Roger Krebs und machte Lust auf weitere Begegnungen mit dem Sänger. Eva Maria Summerer als Maddalena zeigte ebenfalls Profil. Auch die weiteren Rollen waren gut besetzt und auch der Chor unter der Leitung von Bernd Stepputtis trug seinen Teil zum Erfolg des Abends bei.

Emotionale Protagonisten in nüchternem Ambiente: Kai-Moritz von Blanckenburg und Amelie Müller © Henrik Matzen
Auch für diese Produktion lohnt sich ein Ausflug zu Deutschlands nördlichstem Opernhaus. Nicht nur Touristen, sondern auch Opernliebhabern und Agenten auf der Suche nach sehr guten Sängern sei die Reise an die dänische Grenze ans Herz gelegt.
Marc Rohde 09/2019
FLENSBURG / Landestheater: MANON LESCAUT
Manon Lescaut ist die dritte Oper aus der Feder von Giacomo Puccini und gleichzeitig jene, mit dem ihm der umjubelte Durchbruch gelang. Zwar fehlen die ganz großen Hits, dennoch spürt man den Instinkt und Klangsinn des Komponisten von Anfang bis zum Ende der vieraktigen Oper. Am bekanntesten mag einem das Intermezzo sinfonico erscheinen, welches unverkennbar auch John Williams bei der Komposition des „Star Wars Theme“ inspiriert haben muss. Die Damen in der Reihe hinter mir waren sogar so begeistert, dass sie bei der lauter werdenden Musik selbst auch in ansteigender Phonstärke darüber referierten, wie gut es ihnen gefällt.
Die vier unterschiedlichen Schauplätze sind von Ausstatter Michele Lorenzini durch verschiedene Wolkenkonstellationen am hinter der Bühne befindlichen Rundhorizont und wenige Aufschluss gebende Requisiten intelligent und optisch äußerst ansprechend visualisiert worden. Die ebenfalls wunderschönen Kostüme erinnern an die Entstehungszeit der Oper. Lediglich im zweiten Akt, der im pompösen Boudoir des Hauses von Geronte spielt, dominiert Rokoko.
Dieser zweite Akt ist von Regisseur und Generalintendant Peter Grisebach amüsant überspitzt inszeniert, die anderen drei Akte erinnern eher an statisches Rampensingen, bei der eine stringente Personenführung leider ein wenig zu kurz kommt. Oft war ich mehr vom ausdrucksstarken Spiel der auf Bühnenhöhe platzierten Harfenistin Julia Gollner fasziniert als vom Treiben auf der Bühne. Die opulente Ausstattung und vor Allem die Qualität der Sänger lassen über dieses kleine Manko jedoch sehr leicht hinwegsehen.

Farbenprächtige Inszenierung in großartiger Besetzung: Kai-Moritz von Blanckenburg, Chul-Hyun Kim und Anna Schoeck mit Opernchor und Statisten.
Anna Schoeck in der Titelrolle verzaubert mit reichen Farben und goldenen Höhen. Das naive junge Mädchen nimmt man ihr weniger ab als die leidenschaftlich Liebende. Chul-Hyun Kim als Des Grieux begeistert mit einem strahlenden höhensicheren Tenor, der hin und wieder zu voluminös für das kleine Flensburger Theater ist, aber stets Wohlklang verströmt. Darstellerisch können beide Protagonisten ihre durchaus erahnbaren Qualitäten leider in dieser Produktion nicht voll ausspielen.
Marian Müller als Manons Bruder Lescaut trumpft mit einem wohlklingenden Bariton auf und kann sich auch schauspielerisch gut präsentieren. Christopher Hutchinson, den ich kurz zuvor noch als Tassilo in der Operette Gräfin Mariza erlebt habe, kann auch Verismo. Hut ab vor der Vielseitigkeit dieses lyrischen Tenors, der als Edmondo zu hören ist. Markus Wessiack besticht mit profundem Bass als Geronte de Ravoir. Kai-Moritz von Blanckenburg als Wirt / Kommandant, Eva Eiter (Musiker) und Fabian Christen (Tanzmeister / Laternenanzünder) komplettieren das homogene Ensemble, welches Lust auf mehr Oper in Flensburg macht. Die dänischste Stadt Deutschlands lädt nicht zuletzt wegen des hochklassigen Opernensembles zu einem Kurzurlaub ein.
Der von Bernd Stepputis einstudierte Opernchor des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters trägt zum positiven Gesamteindruck bei und – ich vermag nicht zu sagen ob es am Dirigenten oder an der Akustik auf meinem Platz in der neunten der insgesamt nur zwölf Parkett-Reihen lag – unter der musikalischen Leitung von Borys Sitarski kamen alle Stimmen stets gut über das süffig und oft energiegeladen aufspielende Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester, ohne dabei angestrengt zu klingen.
Marc Rohde