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RICHARD WAGNER: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – Teatro Real de Madrid 2016 harmonia mundi DVD – Leidenschaftlich dirigierte Aufführung in bildmächtiger Regie von Àlex Ollé (La Fura dels Baus)

28.11.2017 | dvd

RICHARD WAGNER: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – Teatro Real de Madrid 2016 harmonia mundi DVD – Leidenschaftlich dirigierte Aufführung in bildmächtiger Regie von Àlex Ollé (La Fura dels Baus)

 

„Ach möchtest du, bleicher Seemann, sie finden!“

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Ein Fliegender Holländer mit überwältigenden Meeresstürmen, alles verschlingender Wassergewalt, irrlichternder Besatzung auf einem rostigen Abwrackkahn. Die Inszenierung findet in einer surrealen Industriewüste statt, in der das Boot des Holländers gestrandet ist. Männer und Frauen haben bereits mit dem Zerlegen des Schiffsrumpfs begonnen, am Strand liegen Rohre und andere Metallteile herum. „Zu ebener Erde und erster Stock“ heißt das schon seit Nestroy bekannte Prinzip: Hoch oben in der Kapitänskajüte, die über einen schwindelerregend steile Leiter erreicht werden kann, hausen Daland und die Seinen, während im Rumpf die ausgelaugten Gestalten des Holländers und seiner weißgesichtigen ausgemergelten Mannschaft hausen. Es ist die gequälte Kreatur selbst, die sich im Konflikt zwischen materieller Gier und Freiheit, imaginiertem Wiedergängertum und fantastischer Ichprojektion am Limes zur Katastrophe spiegelt und darin be- und gefangen ist. Ein sehr interessanter Ansatz, der aber im Detail nicht immer hält.

 

Pablo Heras-Casados lässt in seiner spektakulären musikalischen Deutung alle schäumenden Orchesterwogen auf die Urängste der zwei Außenseiter Holländer und Senta prallen, bis zu einer Art von erlösender mystischer Union (Liebestod oder doch Senta als neue Unerlöste auf den Meeren umherirrend?) am Ende der Aufführung. Der spanische Regisseur Àlex Ollé, einer der sechs künstlerischen Leiter von La Fura dels Baus, hat eine hochdramatische, bildgewaltige Transposition der Musik auf die Bühne des Teatro Real gewuchtet (die echte Premiere fand 2014 in Lyon statt). Projektionen zu Beginn und am Ende (Urs Schönebaum, Franc Aleu), die in ihrer raumgreifenden Poesie und düster schimmernden Farbintensität samt ständigen Beleuchtungswechseln an die Arbeiten Günther Schneider-Siemssens erinnern, verstärken noch den visuellen Eindruck.

 

Das Bühnenbild (Alfons Flores) hält jedoch so manche Tücken bereit: über immense aufgeblasene Höcker – einer Luftmatratze nicht unähnlich, sollen wohl Dünen darstellen – stakst der Chor bisweilen recht unbeholfen durch die Gegend. Die Personenregie veranschaulicht zwar die Hauptbezüge zwischen den Protagonisten recht gut (Senta darf den Holländer nach dem Duett lange und intensiv küssen), der besoffene Chor der Matrosen muss sich jedoch in eigentümlich archaisch formalisierten Bewegungen bewegen, Bollywood lässt grüßen. Die Kostüme (Josep Abril) hingegen konnten mich in ihrem willkürlichen stilistischen Mischmasch nicht überzeugen. Die wie aus indisch-arabischen Second Hand Shops stammenden Kleider für Sentas Gefährtinnen, die am Strand Metallteile reinigen, machen null Sinn und wirken nur banal geschmäcklerisch, was in einer Urkräfte ansprechenden Produktion einen gewissen Widerspruchdarstellt.  Das betrifft auch die putzige Bewegungsregie des Chores.

 

Bei den Männern wird die Aufführung von den beiden nicht verwandten Youns angeführt, Samuel Youn als Holländer und Kwangchul Youn als Daland. Beide sind mit mächtigen Bässen ausgestattet, die sich im Laufe des Abends frei spielen können. Samuel Youn hat eine gigantische, charaktervoll timbrierte Stimme. Leider fehlen ihm stilistisch noch einige Meter, um wirklich ein sehr guter Wagner-Sänger sein zu können. Da wäre einmal der Kampf mit der Diktion, aber schwerer wiegt, dass Samuel Youn die durchaus imposanten Töne einzeln buchstabierend aneinanderreiht. Das geschmeidige Legato, das Formen flexibler Phrasen mit dynamisch differenzierter Textausdeutung sin seine Sache (noch) nicht. So bleibt ein von der Maske zu permanentem Irrsinn gedrillter Titelheld, der mit bloßer Stimmgewalt punktet. Kwangchoul Youn als Daland ist ein hocherfahrener, seriöser Wagner-Bass, dessen Vibrato allerdings auch sehr ausgeprägt ist, was in den gemeinsam gesungenen Passagen mit dem Holländer einigermaßen stört. Rüütel Kai hingegen ist eine durch und durch wunderbare Mary.

 

Sehr erfreulich ist die Besetzung der Tenöre mit dem lyrisch glänzenden Benjamin Bruns als Steuermann und Nikolai Schukoff als feschem Erik.

 

Der leuchtende Stern des Abends ist jedoch Ingela Brimbergs Senta. Was die schwedische Sopranistin, die wie Gwyneth Jones vom Cherubino und anderen Mezzorollen herkommt, hier an lichten, wahrlich jugendlich dramatischen Gesangswonnen verströmt, ist spektakulär und derzeit wohl unerreicht. Ihr finales „Preis deinen Engel und sein Gebot! Hier steh ich – treu dir bis zum Tod!“ kann sich mit den historisch besten Vertreterinnen des Fachs messen.

 

Allerdings begeht Senta am Schluss nicht Selbstmord. Der Titelheld versinkt im Wasser und Senta schmiert sich mit weißer Paste ein, als ob sie in die Rolle des Holländers schlüpfen wollte. Im finalen Projektionsreigen verschluckt sie – im Wasser stehend – eine dunkle Wolke. Keine Erlösung, sondern eine weitere Wiederholung des immer selben Menschheitsfluchs? Will uns das der Regisseur mitteilen? Wie dem auch sei, Wagners Musik übersteht nicht nur alle Deutungsversuche, sie begräbt auch manche von ihnen ganz einfach mit der elementaren Wucht der Musik.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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