REISE UND KULTUR : ZU BESUCH BEI MONSIEUR VOLTAIRE IN FERNEY
Das „Château“Voltaire in Ferney. Foto:Robert Quitta
Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte der französische Philosoph François-Marie Arouet, der sich selbst Voltaire nannte, auf Landsitzen in und um Genf. Erstens, um ein bisschen Ruhe und Abgeschiedenheit zu finden und zweitens, um den König nicht durch seine Anwesenheit in Paris zu reizen.
Les Délices ist nur ganz selten zu besichtigen, Tournay überhaupt nicht, aber Ferney ist seit 1999 ein Museum. Es ist zwar ein wenig außerhalb, eigentlich schon in Frankreich, ist aber mit dem Bus von Genf aus (ohne Grenzkontrollen) bequem in einer halben Stunde erreichbar.
Der Bus hält direkt vor dem „Château“, und man muss schon sagen, dass man bereits beim ersten Anblick schwer beeindruckt, wenn auch ein wenig irritiert ist. In unserem Kulturkreis geht man normalerweise davon aus, dass ein kritischer Geist, ein scharfzüngiger Philosoph, ein Staats-und Kirchenfeind in einer Gefängniszelle oder einem Lager oder zumindest verarmt im Exil endet.
Aber doch nicht friedlich und wohlhabend auf einem hochherrschaftlichen Landgut ! Das Château ist zwar nach heutigen Maßstäben eher eine Villa, dennoch überaus prächtig und vor allem auch von einem großartigen französischen Garten umgeben.
Der Gartentrakt. Foto: Robert Quitta
Hier ließ es sich schon schön leben, und der Meister, Philosophiestar und eine europäische Berühmtheit, empfing hier (im ersten Stock) ja auch Hohen Besuch von berühmten Gästen. Ferney sei das Lourdes für Intelektuelle, spottete Friedrich der Große.
Da das Château Voltaire bis 1999 in Privatbesitz war, ist von der ursprünglichen Einrichtung – außer seinem Sterbebett und einigen Fauteuils – wenig erhalten. Das macht aber gar nichts, denn trotzdem verändert ein Besuch hier – durch die Aura des Ortes und durch die Informationen auf den Schautafeln – das Voltaire-Bild, das man bisher hatte, grundlegend.
Man wusste zwar, dass er mehrere Theaterstücke verfasst hatte (und einige davon als Libretti zu Opern von Rossini, Rameau, Grétry etc.gedient haben), aber es war einem nicht bewusst, wie gross die Bedeutung des Theaters für ihn war und was für ein leidenschaftlicher, produktiver und umfassender Theatermann er gewesen war. Der junge Monsieur Arouet lebte in seiner Pariser Zeit eigentlich nur für die Bühne. Er war Schauspieler (!), Autor unzähliger Stücke, Regisseur, Impresario und Geliebter großer Diven wie z.B. Adriana Lecouvreur. Doch auch im Alter verließ ihn die Leidenschaft für die darstellende Kunst nicht. Auf allen seinen Landsitzen ließ er sich sogar immer ein kleines Theaterchen dazubauen (das in Ferney ist leider nicht erhalten)…
Der Hausherr. Foto: Robert Quitta
Auch sein Erfolg bei Frauen der Gesellschaft (z.B. Emilie de Chatelet) überrascht einen eigentlich. Dass er gescheit und witzig war, ist schon klar, die Bildnisse und Büsten, die man kennt, zeigen ihn jedoch als hässlichen kleinen Giftzwerg. Insofern sind seine (auch körperlichen) Reussiten bei den meist aristokratischen Madamen ein beruhigender Beweis dafür, dass die vielzitierte Sapiosexualität vielleicht doch existiert.
Heutzutage kennt man von Voltaire eigentlich nur seinen genialen Anti-Erziehungsroman „Candide“ (auch als Musical von Leonard Bernstein) und sein Lebensmotto „Ecrasez l‘infâme !“.
In Ferney muss man überdeutlich zur Kenntnis nehmen, dass der Gute insgesamt 700 (!!!) Texte in den unterschiedlichsten Genres verfasst hat. Schuldbewusst nimmt man sich vor, die restlichen 699 Werke auch noch zu lesen – was man trotz aller Vorsätze sicher nicht tun wird…
Die größte Überraschung verbirgt sich aber in einer Fußnote im letzten Saal. Da steht nämlich geschrieben, dass die Rekonstruktion einzelner Räume nur dadurch möglich war, dass sämtliche Originalbaupläne in Russland lagern. Wie bitte ? In Russland ?? Wieso das denn ??? Tja, das sind Tatsachen! Katharina die Große, jene deutschgebürtige Zarin, die ihren eigenen Gatten ermorden ließ, um an die Macht zu kommen, die als trauernde Witwe ganze Regimenter vernaschte und sogar mit einem Pferd geschlechtlich verkehrt haben soll, diese Zarin also war eine glühende Verehrerin und eifrige Brieffreundin von Monsieur Voltaire, wollte nach seinem Tod aus lauter Verehrung sein Château Ferney in ihrem Zarskoje Selo nachbauen lassen und besorgte sich daher alle Originalbaupläne. Dazu kam es dann leider nicht, aber die 7000 Bände von Voltaires Bibliothek hatte sie schon aufgekauft, und die sind auch heute noch in Sankt Petersburg konsultierbar. Verstehe einer die Zaren !
Solche Überraschungen und Rätsel warten auf Sie in Ferney, das mittlerweile offiziell Ferney-Voltaire heisst und das einen Besuch absolut verdient…
Das Sterbebett. Foto: Robert Quitta
Robert Quitta, Ferney-Voltaire