REISE UND KULTUR: FRANKFURT AM MAIN IST DOCH ANDERS
Die Skyline. Foto: Robert Quitta
Frankfurt am Main (oder wie unsere deutschen Freunde sagen: FrankfurtMain) genießt keinen besonders guten Ruf. Zu sehr Business-orientiert, zu viele Hochhäuser (Stichwort: Mainhattan), zuviel Hektik, und auch zuviel Verbrechen.
Die englische Boulevardzeitung „Sun“ warnte britische Besucher bei der Fussball-EM sogar explizit vor der Zombiestadt Frankfurt, dem gefährlichsten Slum Deutschlands mit tausenden aggressiven Drogenabhängigen und Schiessereien auf offener Strasse. Gemeint war damit in erster Linie die Kaiserstrasse, die den Bahnhof mit der Innenstadt verbindet. Aber da hat jemand offensichtlich zuviele deutsche Fernsehkrimis geschaut, die in den 80er und 90er Jahren mit Vorliebe in diesem berüchtigten Rotlichtlichtviertel spielten. Diesbezüglich hat sich jedoch in der Zwischenzeit unendlich viel getan.
Eine der jüngsten Errungenschaften ist der originale Teil – Wieder-Aufbau der im Krieg zerstörten Altstadt – was ja in Städten wie Warschau oder Dresden schon längst Usus war. Die übliche Architektenmafia war natürlich sofort wieder mit „Disneyland“- Vorwürfen zur Hand, aber ich persönlich finde, dass diese Initiative die Lebensqualität und den Wohlfühlfaktor gerade rund um den immer noch mit Fünziger-Jahre-Scheußlichkeiten vollgestellten „Römer“ beträchtlich erhöht hat.
Der größte Stolz, das größte Asset, diemgrösste Attraktione Frankfurts ist aber das weltweit wirklich einzigartige Museumsufer. Auf dem der City abgewandten Ufer des Mains (auf dem noch immer, darauf war man auch nicht gefasst, auch ganz normale (Fracht)-Schiffe verkehren) hat der legendäre Kulturdezernent Hilmar Hoffmann in den 80erJahren begonnen, jede Menge Museen von Archistars wie etwa Richard Meier, Oswald Mathias Ungers, Josef Paul Kleihues, Günter Behnisch und Hans Hollein errichten zu lassen. Heute sind es über 30: das Museum der Weltkulturen, das Museum für Angewandte Kunst, das Deutsche Filmmuseum, das Deutsche Architekturmuseum, das Ikonen-Museum etc.etc. Und natürlich das Städelmuseum, vielleicht eines der besten Museen Europas, wenn nicht der Welt. Nicht zu groß, nicht zu klein, und vor allem nahezu ausschließlich mit Meisterwerken bestückt, inklusive dem berühmten Porträt des halbliegenden Johann Wolfgang von Goethe in der römischen Campagna von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein.
Ein bis zwei Tage hält man es hier locker aus, ohne sich im geringsten zu langweilen.
Körperliche Stärkung für zwischendurch findet man in unmittelbarster Nähe, denn der (im Krieg unzerstört gebliebene) Stadtteil Sachsenhausen ist mit seinen unzähligen urigen Äppelwoi-Kneipen in Frankfurt sozusagen für die Gemütlichkeit (die man mit Mainhattan ja auch nicht unmittelbar verbindet) zuständig.
Das „Gemalte Haus“. Foto: Robert Quitta
Am gemütlichsten ist es im „Gemalten Haus“. Nicht nur sitzt man sowohl drinnen als auch im Gastgarten wunderschön, sondern man isst auch ganz hervorragend deftige Frankfurter Spezialitäten mit für das Wiener Ohr so eigenartig klingenden Namen wie „Solber“ oder „Haspel“
Besonders zu empfehlen das lokale Kultgericht „Grüne Sauce“ (es gibt sogar alljährlich ein Grüne Sauce – Festival ! ), die man allerdings hierorts völlig unnachvollziehbar als „Griesoss“ ausspricht.
Beim klassischen Rezept müssen mindestens 7 Kräuter drin sein: Estragon, Dill, Zitronenmelisse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch. dann noch zwei aufgeschnittene harten Eier dazu, und schon ist man glücklich
Runtergespült wird das Ganze natürlich mit Äppelwoi, der im grossen Krügen( Bembel genannt) auf den Tisch kommt – denn dank des lächerlichen Alkoholgehalts von 6-7% muss man ihn zwangsläufig ordentlich bürsteln, damit sich irgendwie irgendeine erwünschte Wirkung einstellt.
Frau Schreiber und ihre Würste. Foto: Robert Quitta
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„Gelbe“ mit Haut und Senf. Foto: Robert Quitta
Gewiefte Genussspechte machen (über den Eisernen Steg zurück in der City gelandet) dann auch noch in der äußerlich nicht schönen (Fünfzigerjahre halt) Kleinmarkthalle Station. Hier gibt’s noch mehr Äppelwoi, viele weitere Frankfurter Spezialitäten und vor allem auch Frankfurter Originale wie die über 80jährige Frau Schreiber, die seit Jahrzehnten auf ihrem kleinen Stand Fleischwurst, Krakauer und vor allem die berühmte Gelbwurst verkauft. An Ort und Stelle sofort noch heiß essen, sonst wird sie nämlich böööse !
Goethe in der Campagna – im Städelmuseum. Foto: Robert Quitta
Füsslis „Nachtalb“ in der Goethegalerie. Foto: Robert Quitta
Man kann Frankfurt natürlich nicht verlassen, ohne dem Goethe-Haus einen Besuch abgestattet zu haben. Das Haus selbst – eine verdienstvolle, aber eigentlich unhaltbare Fake-Rekonstruktion der Nachkriegszeit – ist mitsamt seiner Einrichtungsgegenstände an und für sich uninteressant.
Erkenntnisanregend sind jedoch die vielen vielen Veduten römischer Sehenswürdigkeiten, die der Rechtsanwalt-Vater gesammelt hat und die somit die spätere Italien-Leidenschaft sowohl des Sohnes Johann Wolfgang als auch des Enkels August (der ja in Rom sogar begraben ist) als absolut unausweichlich erscheinen lassen…
Weitaus gelungener und total hochinteressant sind die jüngsten, in einem modernen Anbau untergebrachten Errungenschaften des Freien Deutschen Hochstifts: die Goethe – Galerie (eine Gemäldesammlung mit spezifischen Bezug zu Goethe und seiner Zeit) und das Deutsche Romantikmuseum – vielleicht die besten neuen Museen in Deutschland.
Sie sehen schon: Frankfurt ist wirklich ganz ganz anders als man denkt, und es wird sogar von Jahr zu Jahr schöner.
Robert Quitta, Frankfurt/Main