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REISE UND KULTUR : AUF DEN SPUREN VON LUDWIG II. – HOHENSCHWANGAU UND NEUSCHWANSTEIN

05.12.2023 | REISE und KULTUR

REISE UND KULTUR : AUF DEN SPUREN VON LUDWIG II. – HOHENSCHWANGAU UND NEUSCHWANSTEIN

 Neuschwanstein ist zweifellos das berühmteste Schloß auf der ganzen Welt, nicht zuletzt dadurch, dass Walt Disney es zum Vorbild für seine Märchenschlösser (Dornröschen, Aschenbrödel etc,) in seinen diversen Disneyländern erkor.

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Neuschwanstein, von der Veranda des Hotel Müller aus gesehen. Foto: Robert Quitta

Dementsprechend gross ist der Andrang, dementsprechend streng sind die Regeln der bayrischen Schlösserverwaltung: Führungen dauern maximal 30 Minuten, wer seinen Timeslot auch nur um 5 Minuten verpasst, muss draußen bleiben, fotografieren (hält nur auf !) ist ausnahmslos verboten etc…Und überhaupt macht man es einem hier nicht leicht, überhaupt dort anzukommen. Es gibt keine direkte Verbindung vom Flughafen Memmingen nach Neuschwanstein, Zuerst muss man einen (nur alle halben Stunden verkehrenden) Lokalbus nehmen, der an allen möglichen und unmöglichen Haltestellen hält. Am Bahnhof Memmingen endlich angekommen, muss man in den Zug nach Füssen umsteigen. Dort wiederum ist die sehnlichst gesuchte Bushaltestelle (schlecht angeschrieben) im hintersten Eck eines verwahrlosten Parkplatzes versteckt. Um die Verwirrung vollständig zu machen, gibt es dann vier Buslinien mit derselben Nummer – die 78 ! – von denen aber nur e i n e zu den begehrten „Castles“ fährt. So steht es zumindest auf einem vergilbten Fahrplanwisch zu lesen. Die anhaltenden 78er-Busse fahren aber alle woanders hin. Ätsch! Wenn dann doch ein Bus kommt mit dem Ziel „Castles“, trägt er – trara!trara!! – die Nummer 9606 ! Wer von den aus der ganzen weiten Welt angereisten Möchtegernneuschwansteinbesuchern noch nicht im Irrenhaus gelandet ist, stürmt das wundersame Fahrzeug, was zu unbeschreiblichen Szenen führt. Zumal in dem Erlöser-Bus dann nicht nur nicht genügend für Menschen, sondern auch überhaupt kein Platz für Gepäck ist (Touristen hier ? Seit wann ? Wieso ? Auf die sind wir nicht eingerichtet…) Eine Situation, die bei allen Eingezwickten,  besonders aber bei indischen Großfamilien mit mehreren Megatrolleys zu totaler Verzweiflung führt. Fast hat es den Anschein, als wäre hier in einer konzertierten Aktion der örtlichen Behörden eine raffinierte Strategie zur Eindämmung des allseits beklagten Overtourismus am Werk (was natürlich überhaupt nichts nützt)…

Ist man trotz aller Widrigkeiten, trotz aller Hindernissen, trotz aller in den Weg gelegten Felsbrocken dennoch im Ort – der, weiterer Verwirrungsversuch, Schwang a u heißt, angekommen, wird das Unternehmen Neuschwanstein dann auch nicht wirklich leichter.  Denn das Schloss aller Schlösser ist eigentlich nur mittels einer 40minütigen Wanderung (bergauf !) zu erreichen (was besonders bei Regen große Freude bereitet). Alternativ kann man sich zwar für eine überfüllte Pferdekutsche oder einen überfüllten Bus anstellen, die einen aber beide an einer Weggabelung raushauen, von wo man immer noch 15-20 Minuten steilen Fussweg zum „Castle“ vor sich hat. Und das alles nur, um dann – wenn man den Timeslot grad noch erwischt hat – wie in einer Wurstfabrik per Massenabfertigung (husch! husch! dalli ! dalli ! chello ! chello !) in maximal 30 Minuten- und ohne photographieren zu dürfen – durch das Schloss geschleust, um nicht zu sagen, gepeitscht zu werden. Es ist schon erstaunlich, dass sich noch überhaupt Touristen zu diesem überdies noch teuer bezahlten Martyrium bereitfinden – und nicht lieber gleich nach Disneyland fahren oder sich einen der Bollywood-Filme anschauen, in denen Neuschwanstein sehr gerne vorkommt (und von Positionen aus gefilmt, zu denen man als Normalsterblicher gar nicht hinkommt=…

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Schloss Hohenschwangau. Foto: Robert Quitta

Noch erstaunlicher ist jedoch, dass die allerallermeisten der Touristen(angeblich 90%), obwohl sie doch schon hier sind und schon bezahlt haben, sich beharrlich weigern, das zweite, viel leichter zugängliche, viel angenehmere, nahezu immer mit vielen freien Timeslots ausgestattete Schloss vor Ort zu besuchen: Hohenschwangau. Und das ist nicht nur schade, sondern auch dumm, denn ohne das eine ist das andere nicht zu begreifen. Hohenschwangau war nämlich das   Familienschloss der Wittelsbacher (und ist auch heute noch in ihrem Privatbesitz) – vergleichbar etwa mit der Kaiservilla in Ischl). Da wie dort spürt man, wie sehr sich die Familie In diesem gemütlichen, in einer Art Schönbrunner Gelb gehaltenen Gebäude, mit einem sehr schönen Garten wohlgefühlt haben muss. Hier ist jedenfalls der kleine Ludwig aufgewachsen, und die zahlreichen Fresken mit historischen Ritterszenen an den Wänden müssen seine Phantasiein frühester Jugend soo angeregt haben, dass er sie dann später, König geworden, in übersteigerter XXL-Form im Megaschloss Neuschwanstein reproduzieren ließ.

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Blick von Hohenschwangau nach Neuschwanstein. Foto: Robert Quitta

Die enge Verbindung zwischen den beiden Bauwerken wird sehr schön durch das (heute noch sichtbare) Teleskop symbolisiert, mit dem Ludwig II. dann aus seinem Arbeitszimmer in Hohenschwangau den Baufortschritt auf Neuschwanstein zu beobachten pflegte.

Kehren wir also zurück nach Neuschwanstein. Denn natürlich ist es – trotz der widrigen Bedingungen – absolut sehenswert. Ist Herrenchiemsee ein Monument, ein Tempel für Ludwig XIV., so ist Neuschwanstein ein Monument, ein Tempel für Richard Wagner, wie die flächendeckenden Wandgemälde, die fast ausschließlich Szenen aus dessen Opern nachstellen, mehr als beweisen.

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Der Garten in Schloss Hohenschwangau. Foto: Robert Quitta

Und wie Herrenchiemsee ist auch Neuschwanstein eigentlich unvollendet. Es fehlt ein zweiter Turm, und es fehlt auch das geplante „Männerbad“, in dem sich Ludwigs ausgewählte Ritter der Tafelrunde hätten versammeln sollen, usw.usf.

Besonders berührend ist es auch, in Ludwigs Schlafzimmer zu stehen. in dem der geniale Künstler-König von den feigen, fiesen und verlogenen Verschwörern mittels eines getürkten psychiatrischen „Gutachtens“ aus dem warmen Bett weg verhaftet wurde.

Apropos Bett: eine sehr angenehme Übernachtungsmöglichkeit ist das gutbürgerliche, familiäre Hotel Müller im Ortszentrum, von dessen Frühstücksveranda man sogar einen direkten Ausblick auf das disneysche Märchenschloss hat. Was will man mehr …

 

Robert Quitta, Neuschwanstein

 

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