REISE : SYLT – NUR DIE INSEL DER „REICHEN UND SCHÖNEN“ ?
Alles weiß und blau. Foto: Robert Quitta
„Sind Sie nur hierher gekommen, um schon wieder einen Artikel über „ Sylt, die Insel der Reichen und Schönen“ zu schreiben ?“ blafft mich der Taxifahrer an, der mich vom Hafen in Hörnum abholt.
Nun ja, natürlich habe ich ein bestimmtes, von den Medien geprägtes, Bild von der nordfriesischen Insel im Kopf, natürlich hege ich lebenslang liebevoll gepflegte Vorurteile gegenüber diesem „Four-letter-word“ SYLT: Insel der Reichen und der Schönen, vor allem der Reichen, Sommercamp der Münchener Schickeria, Orgien an der „Whiskey-Meile“, Champagner und Schnee in Strömen, nächtelange wilde Partys mit Gunter Sachs und Brigitte Bardot, angesagte In-Lokale (Stichwort: Sansibar), in denen die günstigste Speise (eine Currywurst !) 19 Euronen kostet, usw. usf…
Und natürlich war dieses „Image“, dieses „Vor-Urteil“, dieses „Klischee“, – abgesehen davon, dass ich ja bekanntlich eher der südländische Typ bin – maßgeblich daran beteiligt, dass ich bisher nie dorthin gefahren bin, ja nicht einmal den Wunsch verspürte, hinfahren zu w o l l e n…
Wie dem auch immer gewesen ist…sobald man in der Inselhauptstadt Westerland anbekommt…sind alle diesbezüglichen Vorstellungen sowieso mit sofortiger Wirkung „abgelöscht“. Denn Westerland schaut aus wie eine x-beliebige mittelgrosse deutsche Provinzstadt mit einer Fuzo, argen Bausünden aus den 70ern, Appartmentblocks, Betonmonstern, auch und gerade an der Meerespromenade. Viele hässliche Leute, die ein paar halbwegs schönen sind schlecht angezogen und haben sich durch Tatoos, Piercings und Botox selbst entstellt, die Reichen wiederum scheinen sich in ihren (mit Reetdächern camouflierten) Villen zu verstecken.
In den Cafés an der Hauptstrasse, der Friedrichstrasse , sitzt es sich sehr nett, aber das war’s auch schon. Gerne hätte man auch noch einen Absacker in der Bar des traditionellen, schönen alten Hotels Miramar genommen, aber die war gerade von sich als falsche Feuerwehrmänner ausgebenden Klimaterroristen mit orangefarbenem Löschschaum verunstaltet und damit unzugänglich gemacht worden.
Der Strand von Kampen. Foto: Robert Quitta
Um mich für meinen Westerland-Ankunfts-Schock zu entschädigen, bringen mich meine Gastgeber am nächsten Morgen als „Wiedergutmachung“ an den Strand von Kampen. Dort wacht unser Landsmann Oskar Schnitzer über Ruhe und Ordnung (Kurkarte vorzeigen !). Schnitzer war früher der große Zampano der berühmten Promi-Party-Disco Pony (Gunter Sachs ! Brigitte Bardot!), hat sich aber nach 30 Jahren aufreibender Nachtgastronomie jetzt einen beschaulicheren Job gesucht. Wenn man seine Kontrolle überwunden hat und auf der großen Düne steht, trifft einen der Sylt-Blitz, die Wiedergutmachung hat mehr als funktioniert, man hat ein Erweckungserlebnis, man hat ein Bekehrungserlebnis, man wird vom Saulus zum Paulus, man wird blitzartig und unheilbar für immer und ewig zum totalen und fanatischen und proselytenmachenden Sylt-Apostel.
Dieser Strand! Dieser endlose Strand ! Dieser Sand ! Dieser weiße Sand ! Dieser endlose Strand aus weißem Sand……….
Nur „bevölkert“ von einigen, striktest in weiss und blau gehaltenen, inseltypischen Strandkörben.
Welche Klarheit ! Welche Schönheit ! Welche Eleganz ! Was für ein ausser – und überirdischer Anblick ! Man ist sofort mit sich und der Welt im Reinen…und möchte eigentlich gar nicht mehr weg von diesem Seelen-Ort.
Das Wattenmeer. Foto: Robert Quitta
Nun ja, Keitum ist auch sehr schön. Es ist viel weniger touristisch, weil es am Wattenmeer liegt und somit keinen Strand hat. Dafür hat es das intakteste Ortsbild auf der Insel, weil es früher ja die wohlhabende Hauptstadt Sylts war und die alten Kapitänshäuser mit ihren dazugehörigen hübschen Gärten alle liebevoll erhalten und restauriert worden sind.
Ein Kapitänshaus in Keitum. Foto: Robert Quitta)
Hier gibt es passenderweise auch das Sylt Museum. Hier findet man Zeugnisse der Vorgeschichte, Spinnräder, Fliesen, Trachten und hochinteressante Dokumente zum Walfischfang in Grönland, für den sich die Sylter Seeleute alljährlich verdingen mussten.
Das arme Sylt. Copyright: Sylt-Museum
Wie arm, rauh und einfach das Leben vor dem Aufkommen des Tourismus hier generell war, kann man sehr gut an der reichhaltigen Sammlung von Ölgemälden ablesen.
Und das Leben auf Sylt war auch nicht immer ganz so konservativ und gesittet wie alle glauben wollen.
Valeska Gert. Copyright: Sylt-Museum
Da war z.B. die Grotesktänzerin, Schauspielerin, Pantomimin, Kabarettistin und Kabarettbetreiberin Valeska Gert (eigentlich Gertrud Valesca Samosch). Nach ihrer Rückkehr aus dem amerikanischen Exil führte sie in Kampen das kultige Nachtlokal „Ziegenstall“, in dem auch die Einrichtung, die Wände, die Möbel, alles von ihr gestaltet wurden. Und eben dieses bizarre Gesamtkunstwerk „Ziegenstall“ ist nach ihrem Tod im Sylt Museum originalgetreu wiederaufgebaut worden. Faszinierend.
Zum Ziegenstall. Foto: Robert Quitta
Für eine weitere Inselrundfahrt empfiehlt es sich noch, die Uwedüne (die höchste Düne Sylts) zu besuchen , den sogenannten „Ellenbogen“ (ein unbebautes Naturschutzgebiet ganz im Norden) und das Städtchen List (für einen Imbiss bei der berühmten Fischbude „Gosch“).
Oder auch die Strände mit den klingenden Namen Samoa, Abyssinia und Sansibar…bzw. den bekannten Nacktbadestrand Buhne 16.
Übernachten lässt es sich gut in einem der kleineren Boutique-Hotels z.B. dem umgebauten Kapitänshäuschen „Noge“ in Westerland.
Copyright: Haus Noge
Und wenn man im Hafen von Hörnum vor der Weiterfahrt mit dem Schiff noch Hunger verspürt, möge man ihn im dortigen Sylter Muscheln Bistro stillen: denn diese einfache Hütte liegt nicht nur in direkter Sichtweite der dortigen Muschelbänke, sondern bietet außer den hundsordinären Miesmuscheln (die nicht jeder mag) auch Schwertmuscheln, Herzmuscheln und Trogmuscheln an…und das alles zu moderaten Preisen.
Muschel-Bistro: Copyright: Bistro
Ich muss gestehen, dass der Taxifahrer vollkommen recht hatte : auf Sylt leben auch normalsterbliche Menschen, und auch als normalsterblicher Nicht-Millionär kann man auf Sylt durchaus vergnügt Urlaub machen, ohne dafür einen Kredit oder eine Hypothek aufnehmen zu müssen..Aber Psss : sagen Sie‘s bitte nicht weiter…
Robert Quitta, Sylt