REISE : AUF DER SUCHE NACH JOHANN NEPOMUK NESTROY AUF HELGOLAND
Der Hafen. Foto: Robert Quitta)
Wenn man jemanden erzählt, dass Johann Nepomuk Nestroy auf Sommerfrische nach Helgoland reiste, und das nicht einmal, sondern mehrere Male, erntet man ungläubiges Staunen und sogar tiefes Misstrauen, als ob man jemanden einen Bären aufbinden wollte. Staunen und Misstrauen sind vollkommen berechtigt, denn es ist ja nun wirklich schwer nachvollziehbar, was der urwienerischste aller Wiener gerade auf dieser einsamen Felseninsel in der Nordsee suchte, wo er doch genauso gut Urlaub im Salzkammergut hätte machen können oder an einem Kärntner See. Was alles einfacher zu erreichen gewesen wäre: denn damals dauerte allein schon die Anreise nach Hamburg mindestens zwei Tage. Wozu dann noch die 13stündige Dampfschiffahrt nach Helgoland kam, die meistens so stürmisch war, dass es unzählige kolorierte Stiche aus dieser Zeit gibt, die zeigen, wie sich elegantest gekleidete Menschen ihres Mageninhalts auf der Überfahrt nahezu vollständig entledigen…
Die berühmten roten Felsen. Foto: Robert Quitta)
Wieso nahm das Nestroy alles in Kauf, und nicht etwa nur einmal aus purer Neugierde? was suchte Johann Nepomuk auf Helgoland, was trieb ihn immer wieder dort hin ?Um möglicherweise so etwas wie eine Antwort auf dieses grosse Rätsel zu finden, bleibt einem (da es keine Literatur zu diesem Thema gibt) gar nichts anderes übrig, als selbst eine Reise zu diesem legendären roten Felsen mitten im Meer anzutreten. Erfreulicherweise ist dieses Unterfangen heutzutage wesentlich einfacher als damals. Mit einem modernen ICE-Schnellzug ist man von Wien aus in 10 Stunden – ohne umzusteigen – in Hamburg. Dort wartet bei den Landungsbrücken ein schnittiger Katamaran der jüngsten Generation mit dem schönen Namen Halunder (das ist der Name der helgoländischen Sprache), der den Gast nunmehr binnen dreieinhalb Stunden ans gewünschte Ziel bringt. Leichter Seekrankheit kann man mit frischem Ingwer entgegensteuern, und auch mit einem Kümmelschnaps nach der Landung.
Man wusste zwar einiges über die Geschichte Helgolands: dass es einmal zu England gehört hat, dass es dann gegen die deutsche Kolonie Zanzibar getauscht wurde, dass es im Zweiten Weltkrieg als Festung diente, dass es daraufhin bombardiert wurde – aber das wurden ja viele viele deutsche Städte auch. Was man nicht wusste ist, dass Helgoland v o l l s t ä n d i g zerstört wurde und man wusste auch nicht, dass es nach dem Krieg (es blieb kein alter Stein mehr auf dem anderen) v o l l s t ä n d i g neu aufgebaut worden war. Und zwar nach einem Masterplan des Geist des Bauhauses geprägten Architekten Georg Wellhausen.
Das kommt zuerst einmal alles als Schock, und man muss sich bei Spaziergängen durch die Ober- und Unterstadt (die hier witzigerweise Ober-und Unterland heißt) erst langsam daran gewöhnen, dass hier alles so ausschaut wie in einer mittelständischen Mustersiedlung aus den 50er Jahren in einem Vorort von XYZ. Spuren von unserem Johann Nepomuk – falls es sie je gegeben haben sollte – totale Fehlanzeige.
Die nachgebauten Hummerbuden. Foto: Robert Quitta
Also setzt man seine Suche im neben der Therme gelegenen, sehr hübsch gestalteten Museum Helgoland fort. Dort findet man viele sehr interessante Dinge:die nachgebauten „Hummerbuden“ z.B., die vormals als Lager und Werkstätten für die Fischer dienten, jetzt aber, grellbunt gestrichen, als zusätzliche Ausstellungsflächen. Im Hauptmuseum selbst wiederum kann man Schiffsmodelle, Hummerattrappen, Goldhauben,Trachten, Fischerboote, Badekarren, Briefmarken etc. bestaunen und sich etliche charmante Zitate von Promi-Besuchern wie Oscar Wilde, Joseph von Eichendorff, Hoffmann von Fallersleben (der hier das Deutschlandlied schrieb) oder Heinrich Heine („Das Meer riecht wie Kuchen“) zu Gemüte führen.
Aber Nestroy ? Nie gehört ! Die sehr unhilfreiche Direktorin redet sich darauf aus, dass ja alle Archive verbrannt seien, und meint, ich sollte im Tourismusamt nachfragen. Dort ist man zwar sehr zuvorkommend, kann aber, von der Anfrage komplett überrascht, auch nicht weiterhelfen.
Aus lauter Frust begibt man sich auf einen ausgedehnten Spaziergang (schon eher Wanderung zu nennen) durch die absolute Hauptattraktion der Insel: dem Naturschutzgebiet auf dem Oberland.
Und das ist ein echter Wahnsinn, ein außergewöhnlicher Ort, der einem einzigartige und unvergessliche Erlebnisse beschert.
Denn außer den weltberühmten roten Felsen, die zugegebenerweise sehr eindrucksvoll sind, und der fröhlichen-farbenfrohen Vegetation, die das Herz erfreut, sind es die unzähligen Vogelkolonien, die einen hier in jeder Beziehung in andere Sphären versetzen.
Eine Kolonie Basstölpel. Foto: Robert Quitta
In schwindelerregender Höhe (da geht es manchmal bis zu 60 m runter) in den unwahrscheinlichsten Nischchen, Höhlchen, Löchern, Felsvorsprüngen etc. hausen und nisten und brüten da gefühlte Millionen von Trottellummen, Dreizehenmöwen, Tordalken und Basstölpel.
Es ist erschreckend und berührend zugleich.
Erschreckend ist der „Soundtrack“ : ein ohrenbetäubendes, trommelfellzerfetzendes kollektives Geschrei in den allerhöchsten allerspitzesten Tönen, gegen das eine Heavy Metal Band wie Meditationsmusik wirkt.
Berührend ist, wenn man auf Armlänge vor den hunderten Nestern der Basstölpel steht, die gerade ein Ei ausbrüten oder ein eben geschlüpftes flaumiges weißes kleines Etwas mit Argusaugen bewachen. Es raubt einem den Atem und schmilzt einem das Herz.
Das findet man sonst nirgends in dieser Form, und somit ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn Ornithologen und Birdwatcher-Freaks aus der ganzen Welt mit riesigen Teleobjektiven hierher ausrücken, um dieses „größte Spektakel seit dem Big Bang“ angemessen festzuhalten.
Allein schon für diesen Anblick hätte sich die weite Reise nach Helgoland – Nepomukerl hin oder her – mehr als ausgezahlt.
Dennoch geht einem unser aller Nestroy – aus Sturheit und Bestemm – einfach nicht aus dem Kopf. Man beruhigt seine Nerven mit Kalorienzufuhr und verzehrt ein paar der ortstypischen Fischbrötchen (am besten sind die mit Tiefseekrabben, Brathering und Fischfrikadellen). Dabei fällt einem ein, dass man doch eigentlich den Heiligen Google nach „Nestroy auf Helgoland“ fragen könnte. Und siehe da, Google Books spuckt doch tatsächlich ein Exzerpt aus über (nicht mehr existierende) Hotels (aber mit den aktuellen Adressen), in denen Promigäste einst gewohnt hatten. NESTROY stieg also (so wie andere betuchte Promis ) im HOTEL LONDON ab (das später in HOTEL WIESBADEN umgenannt wurde). HALLELUJA, ENGERL ! DANKE, JOHANN NEPOMUK !
Bilder von besagtem Hotel findet man zwar wieder nirgends, aber das Erfolgserlebnis ist doch so gross, dass man sich zum Abschluss noch die typischste aller Helgoländer Spezialitäten vergönnt : einen KNIEPER (kommt von Kneifer), also die Scheren eines Taschenkrebses (mit zwei Saucen und Baguette) im wunderbaren Restaurant Aquarium. Mühsam, aber köstlich. Und sättigend.
Die typischte aller Spezialitäten, Der „Knieper“. Foto: Robert Quitta
Am nächsten Morgen trotte ich dann zum Hafen, mache aber auf dem Weg dahin noch in der Touristeninfo Halt, um mich nach dem genauen Ablegekai zu erkundigen. Und während die nette Mitarbeiterin mir die gewünschte Information heraussucht, fällt mein Blick auf den Helgoländer Wandkalender hinter ihr….nein, das werden Sie mir nicht glauben, das wird mir niemand je glauben, das glaube ich mir ja selbst nicht…denn es ist ja auch zu unwahrscheinlich…zu mystisch…zu unheimlich…zu effekthascherisch als dramaturgische Volte für ein zwanghaftes Happy End einer hindernisreichen Recherche so kurz vor der Abfahrt… aber das Kalenderbild des Monats Juli zeigte doch tatsächlich das HOTEL WIESBADEN!
Das vom Rezensenten auf den Spuren Nestroys gesuchte „Hotel Wiesbaden“ als Zeichnung. Foto: Robert Quitta
Was Nestroy so oft nach Helgoland trieb und was er da wollte – suchte der Menschenfeind die rauhe Menscheneinsamkeit ? (wäre denkbar, schließlich plante er kurz vor seinem Tod noch eine Island-Reise) – wird weiter im Dunkeln bleiben und wir werden es wohl nie erfahren….Aber immerhin wissen wir jetzt, wo er auf der Insel gewohnt hat…
Robert Quitta, Helgoland
Helgoland – Deutschlands einzige Hochseeinsel
Kurzportrait Helgoland:
Die Hochseeinsel Helgoland, die zum Kreis Pinneberg in Schleswig-Holstein gehört, liegt etwa 60 km von der deutschen Küste entfernt und bietet mehr als nur eine Insel. Jährlich „entschleunigen“ etwa 315.000 Gäste und lernen die Einzigartigkeit Helgolands auf beeindruckende Weise kennen. Das Nordseeheilbad Helgoland bietet Allergikern das wohl pollenärmste Klima Deutschlands mit der Möglichkeit, frei durchzuatmen. Darüber hinaus bietet diese autofreie Insel eine glasklare Luft mit einzigartiger Ruhe.
Für Ornithologen ist Helgoland ein Muss: rund 240 Vogelarten, darunter Trottellummen, Basstölpel, Dreizehenmöwe und Eissturmvogel, nutzen die Insel zwischen Frühjahr und Herbst als Rast- oder Brutgebiet. Das größte Raubtier Deutschlands, die Kegelrobbe, verwandelt in den Wintermonaten die Nebeninsel Düne zu einem der größten Kreißsäle Deutschlands. Über den Wintererlebnispfad lassen sich die Geburten der Kegelrobbe-Nachkömmlinge als beeindruckendes Naturschauspiel live miterleben.