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PARADIES: LIEBE

28.11.2012 | FILM/TV

Ab 30. November 2012 in den österreichischen Kinos
PARADIES: LIEBE
Österreich / 2012
Regie: Ulrich Seidl
Mit: Margarethe Tiesel, Inge Maux, Dunja Sowinetz, Peter Kazungu u.a.

Es beginnt so schmerzlich-traurig, wie es weitergeht. Irgendwo auf einem Rummelplatz in Wien: Da fahren sie in ihren Autoscootern, die geistig und körperlich Behinderten, und man sieht in ihre tragischen Gesichter. Ebenso traurig wirkt die Frau, die am Rande steht und sie betreut: So lernt der Kinobesucher in dem Film „PARADIES: Liebe“ von Ulrich Seidl die Heldin, die 50jährige Teresa, kennen.

PARADIES ist als Trilogie angelegt (und bereits abgedreht). Die gleichgültige, völlig entfremdete Tochter Teresas wird die zentrale Figur in dem Film „Hoffnung“ sein. Die Schwägerin, bei der sie diese Tochter ablädt, als sie in den Urlaub fährt (Maria Hofstätter), steht dann in „Glaube“ im Mittelpunkt. Aber um die christlichen Kardinaltugenden geht es nicht – zumindest nicht in „Liebe“.

Denn was sich Teresa erwartet, als sie nach Kenia in den Urlaub fährt, hat schon mit dem zu tun, was die lebenslustige Freundin (brillant: Inge Maux) ihr vorlebt: Sex mit den schwarzen Männern, die sich wie Callboys (hier „Beach Boys“ genannt) dazu anbieten (wobei sich nichts auf der eleganten Ebene von Richard Geres „American Gigolo“ abspielt, sondern alles auf der entsetzlich schäbigen der Dritten Welt – was Seidl weidlich auskostet).

An Teresa macht der Regisseur nun klar, wie hier Wunsch und Wirklichkeit in schmerzhafte Konfrontation geraten. Teresa ist vielleicht eine Spur zu naiv für ihr Alter (zumal die Freundin klar macht, worum es geht – hol Dir Deinen Spaß und zahl dafür): Sie möchte das Ganze „mit Gefühl“. Anfangs zeigt sie in Szenen, die geradezu qualvoll mitanzusehen sind, wie sie’s gerne hätte: Das soll er nicht, lieber das so, verstehen? Und wenn der Junge das nicht begreift, schickt sie ihn weg.

Der nächste ist geschickter – und dann wird sie wie ein unerfahrener Teenager enttäuscht, als sie entdecken muss, dass er Frau und Kind hat, und macht ihm einen großen Skandal. Die Geldbörse zückt sie zwar nach und nach, aber immer erst, wenn die Männer ihr die unglaublichen Familiengeschichten vorsetzen, die sie als Vorwand für ihre Abzocke nehmen.

Seltsamer Höhepunkt des Films, bei dem man manchmal die Augen schließen will, weil der Voyeurismus bis zum eigenen körperlichen Unbehagen peinlich wird (gelegentlich möchte man rufen: Schluß! So genau will ich es nicht wissen! Ich schaue ja auch nicht Spira und Karlich im Fernsehen, die dagegen sicher Waisenmädchen im Entblößen sind!), ist jene Szene, wo die Freundinnen Teresa zum Geburtstag einen Boy „schenken“ (das Pendant zum „Mädchen aus der Torte“ bei Männer-Polterabenden wohl) – und sich alle auf eine Art mit ihm „vergnügen“, die zur vollen Demütigung des jungen Mannes und zur erschütternd hemmungslosen Entfesselung der Frauen wird.

Und das Ende? Da ist Teresa (ohne dass man die Entwicklung völlig nachvollziehen könnte) schon zur gämzlich skrupellosen Domina geworden. Wenn der arme Boy an der Bar ihre fast schroffe Aufforderung zum Cunningulus schüchtern verweigert, wird er brutal rausgeschmissen… Was aus den Weibern so alles wird… in ein paar Tagen Kenia.

Gnadenloser als Ulrich Seidl kann man wohl nicht vorgehen. Geschmackloser auch nicht? „Guter Geschmack“ ist nie ein Kriterium für seine Überlegungen gewesen. Dort hinzusehen, ja hinzustarren, wo man normalerweise wegschaut – aus Diskretion, aus Betroffenheit, aus Peinlichkeit oder, wie der Modeausdruck heißt „Fremdschämen“ -, da ist Seidl dabei. Seine direkte Art mag der entgegen gesetzte Weg sein, über den Michael Haneke Unerträgliches vermittelt, aber im Grunde wollen beide Österreicher dasselbe: ungeschminkte Wahrheit.

Dass bei „PARADIES: Liebe“ die Geschichte aus der Hauptfigur heraus wackelt, weil man sich eine so dumm-naive Frau(und ihre Wandlung) kaum vorstellen kann, mindert die Meisterleistung von Darstellerin Margarethe Tiesel nicht. Sie lässt sich auf Teresa und ihre Unschuld dermaßen ein – dass auch dieser Aspekt des Films schmerzt.

Fazit: Nichts für schwache Nerven.

Renate Wagner

 

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