Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

NACHTZUG NACH LISSABON

04.03.2013 | FILM/TV

Ab 8. März 2013 in den österreichischen Kinos
NACHTZUG NACH LISSABON
Night Train to Lisbon / Deutschland, Portugal / 2013
Regie: Bille August
Mit: Jeremy Irons, Jack Huston, Mélanie Laurent, August Diehl, Martina Gedeck, Charlotte Rampling, Bruno Ganz, Tom Courtenay, Lena Olin, Christopher Lee u.a.

Ein älterer Mann, Witwer, Lateinprofessor in einer Schule in Bern. Sehr sehr müde. Allein, wie Jeremy Irons uns als dieser Raimund Gregorius begegnet, ist man auf Anhieb voll von dieser Gestalt gefesselt. Und dann sieht er die schöne junge Frau (Sarah Spale-Bühlmann), die von der Brücke springen will. Er holt sie herunter. Und ändert damit sein eigenes Leben. Nicht durch eine simple Liebesgeschichte. Das geht sehr viel tiefer.

Wie beeindruckend dieser Einfall ist, das beweist der Welterfolg des Romans „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier aus dem Jahr 2004, in 32 Sprachen übersetzt, allein auf Deutsch zwei Millionen Male verkauft. Da sage niemand, dass Literatur und Anspruchsvolles keine Leser erreichen können. Im Gegenteil. Und die Faszination der Vorlage springt auf die Leinwand über.

Wenn der Professor nun auf den Spuren der Geretteten, die ihm wieder entgleitet, nach Lissabon fährt, in dem Buch lesend, das er in ihrem Mantel fand, die Fahrkarte benützend, die in dem Buch lag, dann gelangt er in eine andere Welt. Da ist zuerst dieses Buch des portugiesischen Dichters Amadeu de Prado (man wäre geneigt, ihn zu googlen, um nach den erhaltenen Beispielen seines Schreibens mehr über ihn zu erfahren, aber er ist leider fiktiv), und dann dessen Leben, das vor langer Zeit geendet hat und doch noch so präsent ist.

Schrittweise begegnet Gregorius der nun alten Schwester von Amadeu (Charlotte Rampling), der Arzt und Dichter war – und dessen Schicksal in die Welt der Salazar-Diktatur zurückführt, die erst 1974 endete. Tom Courtenay spielt Joao Eca, Amadeus Kampfgefährten von einst, nun ein alter Mann im Altersheim, durchaus willens, seine Geheimnisse nach und nach preiszugeben (vor allem, wenn man ihn mit den verbotenen Zigaretten versorgt). Dessen junge Nichte (Martina Gedeck, wieder sehr schön und besinnlich) ist ein Halt für Gregorius in der Gegenwart, aber immer geht man als Kinozuschauer willig mit ihm in die grausam blutige Vergangenheit und versucht, nach und nach die tragischen Verflechtungen von damals zu durchdringen.

Da ist Amadeu (Jack Huston), der Sohn aus reichem Haus, , der sich gemeinsam mit seinem Freund Jorge O’Kelly (August Diehl in einer starken Rolle) gegen die Diktatur wendet und damit die Missbilligung seines dem System angepassten Vaters (Burghart Klaußner) erringt. Im Widerstand arbeitet auch die junge Estefania (Mélanie Laurent), um dann klassisch zwischen den beiden Freunden zu stehen, was nicht Amadeus einzige Probleme sind: Denn als Arzt muss er auch das Leben des Feindes retten, und was als Film so unendlich ruhig begann, ist bald inmitten einer in jeder Hinsicht unendlich aufgewühlten Geschichte. Darin geht es um Politik, um Diktatur mit all ihren brutalen Begleiterscheinungen, um Widerstand unter Einsatz des eigenen Lebens, um Loyalität, Vertrauen und Misstrauen, Liebe und Eifersucht… alles drin, könnte man sagen.

Am Ende darf Gregorius, der auch noch mit einem Priester/Lehrer (eindrucksvoll: Christopher Lee als Father Bartolomeu) über Amadeus Begräbnis gesprochen hat, dann nach und nach die Überlebenden treffen: Aus André Diehl wurde im Alter Bruno Ganz (sehr eindrucksvoll), aus Mélanie Laurent nun Lena Olin, und nicht jeder von ihnen will sich einer so tragischen Vergangenheit stellen.

Und am Ende stehen wir mit Professor Gregorius am Bahnsteig von Lissabon und wissen nicht, ob er nach Bern zurückkehren wird. Schließlich lockt da Martina Gedeck mit schüchternem Lächeln… Und Regisseur Bille August (sein Prestige war es wohl, das auch die kleinste Rolle noch höchstkarätig besetzen konnte) hat die ganze diffizile Kunst eingebracht , die er aus der Welt von Ingmar Bergman noch immer im europäischen Film verkörpert, um eine große Geschichte zu erzählen, die aus großer Literatur großes Kino macht.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken