MEYERBEER: MARGHERITA D‘ANJOU – live Martina Franca Palazzo Ducale 2017, DYNAMIC 2 DVDs
Das italienische Melodramma semiserio „Margherita D‘Anjou“ ganz im melodiös-kecken Stile Rossinis ist hier eine nach der erstklassigen Audio-Studioproduktion von Opera Rara wieder aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsste Belkantoshow mit Unterhaltungswert. Das Festival della Valle d’Itria im apulischen Martina Franca und Maestro Fabio Luisi haben sich 2017 dieser Stereotype nicht sparende, doch insgesamt kurzweilig zu hörenden Oper mit Eifer angenommen.
Meyerbeers vierte italienische Oper wurde 1820 uraufgeführt. Vor dem historischen Hintergrund der „Rosenkriege“ in England und Schottland dreht sich der Plot um Margherita, die Witwe des ermordeten Heinrichs VI., politische Intrigen um die Thronfolge, eine Liebesgeschichte, Eifersucht und Treue. Außerdem ist der Herzog von Lavarenne in die Königin verknallt, dessen Frau Isaura sich als Mann verkleidet in die Dienste der Margherita begibt, nach dem Motto Kontrolle ist besser als Vertrauen. Auf jeden Fall gibt es viel Notenfutter für hungrige, nach Koloraturen und Verzierungen aller Art gierende Sangeskehlen. Meyerbeer verwöhnt unser Ohr, ohne final wirklich die Klasse Rossinis zu erreichen, mit zündenden bis romantischen Cabalettas, Rondos, jeder Menge an prächtigen Ensembles (u.a. Bässe-Terzett, Sextett) und Chören.
Inszeniert wurde das ganze Spektakel von Alessandro Talevi als bunt-schräge Revue in einem Londoner Modehaus mit poppig-punkigen Kostümen von Madelaine Boyd. Viel gibt es zu schauen bei dieser Show mit Gesangsnummern, gefallen muss einem der abstruse Firlefanz aber nicht. Ein „Orchestra internazionale d’Italia“ gibt Fabio Luisi all das, was es kann, hoffen wir, die große Nummer liefern die Musiker nicht ab. Orchestral bleibt diese Meyerbeer-Oper ein noch zu hebender Schatz.
Die Besetzung ist durchwegs gut, Giulia De Blasis singt virtuos die Königin Margherita, (ihre Paradearie „Dolce albergo di pace“ geht ins Ohr). Der russische Koloraturtenor Anton Rositsky gibt ihren Lover, ein Meister des hohen C, ganz in der Tradition eines Ivan Kozlovsky. Stratosphärische Höhen, kühne Intervallsprünge und einen Agilität sondergleichen werden manches Melomanenherz höher schlagen lassen. Marco Filippo Romano reüssiert mit sattem Bass als französischer Chirurg Michele Gamautte. In der Hosenrolle der Isaura glänzt als heimlicher Star des Abends Gaia Petrone mit biegsamem, herrlich timbrierten Mezzo. Der deutsche Bass Bastian Thomas Kohl ist als Riccardo, Duca die Glocester, kriegerisch und schwarz dräuend in Stimme mit von der Partie. Alle übrigen Partien sind rollendeckend besetzt.
Fazit: Vergnügliche Entdeckung einer vergessenen Oper, keinesfalls ein Meisterwerk, dennoch gut gearbeitet, wenngleich eine allzu klamaukhafte kitschige Inszenierung nahelegt, sich die CD anzuschaffen und nicht die DVD.
Dr. Ingobert Waltenberger