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LUDWIG II.

25.12.2012 | FILM/TV

Ab 26. Dezember 2012 in den österreichischen Kinos
LUDWIG II.
Deutschland / 2012
Drehbuch und Regie: Marie Noelle, Peter Sehr
Mit: Sabin Tambrea, Sebastian Schipper, Edgar Selge, Tom Schilling, Hannah Herzsprung, Peter Simonischek, August Schmölzer u.a.

Wer die Bayern kennt, weiß, dass sie ruppig und urig sind. Aber es gibt zumindest ein Thema, bei dem sie sentimental werden. Wenn es um ihren „Kini“ geht. Dieser König ist Ludwig II., der 1886 erst 41jährig unter bis heute nicht geklärten Umständen starb. Dergleichen ist ein absoluter Glücksfall für die Nachwelt, denn man kann das Thema bis ins Unendliche drehen und wenden, auch wenn man immer wieder dieselbe Geschichte erzählt.

Und das ist die Überraschung: Dieser Film von Peter Sehr und Marie Noelle sucht einen neuen Zugang jenseits der gängigen Klischees. Der aus Hessen stammende Regisseur und seine französisch-spanische Frau sind emotional unbelastet und stützen sich weit mehr als Dokumente als auf die vielen Spekulationen, die über Ludwig herumgeistern. Sie gehen der Persönlichkeit Ludwigs mit Verständnis, aber ohne Sentimentalität nach, sehen ihn nicht als verrückt, schwul, unzurechnungsfähig, sondern als sensibel, scheu, gänzlich fehl in seiner Welt.

Ein künftiger König Bayerns sollte – so wie es Kaiser Franz Joseph auch von Kronprinz Rudolf verlangte – ein martialischer Militarist sein, vielleicht noch ein harter Politiker, und sonst gar nichts (Axel Milberg und Katharina Thalbach als königliches Elternpaar, Uwe Ochsenknecht als Luitpold, der später Prinzregent, machen das ganz klar). Ludwig war, was man als „Schöngeist“ bezeichnet, intelligent und in seinem Denken unabhängig genug, um Krieg und Gewalt zu verabscheuen, idealistisch genug, um Alternativen zumindest anzudenken, als er die Möglichkeit hatte.

Sabin Tambrea, ein 28jähriger gebürtiger Rumäne, der in Peymanns Berliner Ensemble tätig ist, bietet die ideale Verkörperung des jungen Ludwig, so wie seine Autoren / Regisseure ihn hier sehen. So wie mancher Habsburger war er, durch die Erbfolge zwangsläufig König, in seinem „Job“ gänzlich fehl am Platz. Tatsächlich hätte sein Bruder Otto, der später auch „verrückt“ wurde (einst neben O.W.Fischer von Klaus Kinski, hier vorzüglich von Tom Schilling gespielt), vielleicht besser in die Königsrolle gepasst.

Der Film zeigt, wie Ludwig seine Macht „austestet“, die starken Männer, die ihn befehligen wollen, aussortiert (darunter Peter Simonischek als Freiherr von der Pfordten) und sich mit seinen Vertrauten umgibt (Justus von Dohnanyi als Johann Lutz, der ihm später den Rücken dreht, Samuel Finzi als unerschütterlich treuer Lakai Mayr). Nach und nach hat er seine Stellung dazu benützt, seine (natürlich unrealistische) Vorstellung von einem Staat, in dem die Kunst regiert, zu realisieren.

Edgar Selge spielt einen faszinierenden Richard Wagner. Er ist der extreme Exzentriker, dem man das Genie glaubt, den Revolutionär, den listigen Manipulator, der Ludwig benützt. Aber im Endeffekt siegt in der Geschichte immer die Ökonomie, Richard Wagner war zu teuer, Ludwig musste dem Druck weichen und ihn ziehen lassen.

Der Film zeichnet auch nach, wie der junge Mann, der nur der Schönheit und im Rausch der Wagner-Musik leben wollte, von die Politik vereinnahmt wurde. Der frankophile König, umgeben von einer säbelrasselnden Umwelt, sah sich wider Willen in Kriege und schließlich in das Deutsche Reich hineingezwungen.

Mit aller Diskretion behandeln die Autoren das Thema, das Interpreten so gerne ausgeschlachtet haben: Ludwig hat Sophie, die Schwester seiner verehrten, um acht Jahre älteren Cousine Kaiserin Elisabeth (nicht eine Sekunde überzeugend, weil weder schön noch faszinierend: Hannah Herzsprung) nicht geheiratet, aus welchen Gründen auch immer. Möglicherweise war ihm, wie der Film andeutet, intimer körperlicher Kontakt so zuwider, dass er auch – vielleicht vorhandene – homosexuelle Tendenzen nicht auslebte. Der Film wühlt jedenfalls nicht in seinem Sexualleben, er geht nur seiner tiefen Einsamkeit nach.

Auch die historischen Fotos und Gemälde verbürgen die Wandlung vom schlanken jungen Götterjüngling zum fülligen mittelalterlichen Mann. Man hat ihn aus den Regierungsgeschäften gedrängt, und er konnte sich in der Folge mehr und mehr in die Traumwelt seiner (im Grunde nicht finanzierbaren) Prunkschlösser flüchten. Statt Sabin Tambrea der Kunst der Maskenbildner anzuvertrauen, haben Sehr / Noelle für die letzte Passage des Films umbesetzt: Nun übernimmt Sebastian Schipper den Ludwig, fülliger, plumper, verlebt, und gänzlich gelingt der Anschluss für den Kinobesucher nicht. Man kann eine zeitlang nicht glauben, dass aus der ersten Inkarnation der Figur auf der Leinwand die zweite hervorging. Was aber klar wird, ist der Realitätsverlust, dem Ludwig in seinen späten Jahren ausgesetzt war, als man ihn ins Privatleben abgeschoben hatte und er meinte, als „König“ ungestraft seinem teuren Hobby frönen zu dürfen.

Nach so viel Überzeugendem haben die Filmemacher schließlich auch eine völlig glaubwürdige Version für Ludwigs Tod gefunden. Tatsächlich weiß niemand, was damals am Starnberger See geschehen ist, in dem Ludwig und der Arzt Bernhard von Gudden (August Schmölzer) tot aufgefunden wurden. Hier wird die volle Demütigung nachgezeichnet, die es bedeutet hat, den König als „Wahnsinnigen“ abzuführen. Man hat ihn, der den größten Luxus und die höchste Devotion gewöhnt war, in ein einfaches Zimmer eingesperrt, betreut von Irrenwärtern, die ihn verächtlich behandelten. Hier wird Ludwigs Selbstmord als letzter Akt des freien Willens dargestellt – der sich als „harmlos“ verstellt, um Gudden ohne Begleitung zu einem Spaziergang zu locken, in den See geht, den Mann, der ihn daran hindern will, mit Kraft unters Wasser drückt und das Werk der Selbsttötung vollendet. Keine Gloriole liegt über diesem Ende eines Mannes, der nicht in seine Zeit passte und Schluß machte, bevor die Demütigung unerträglich wurde.

Sehr / Noelle fühlen sich nicht dem Klischee Ludwigs verpflichtet, aber auch nicht einem formal „modernen“ Filmemachen: Sie stellen Ludwig in jenen Prunk und jene Opulenz, die ihn als historisches Faktum umgeben hat. Dennoch haben sie keinen obligaten Kostümfilm gemacht, sondern ein sorgliches psychologisches Porträt, das den König der Nachwelt unspektakulär nahe bringen sollte. Liest man die Leserbriefe zu Artikeln über diesen Film in verschiedenen Medien, wird klar, wie sehr dieser Ludwig II. auch aus der Distanz von weit mehr als einem Jahrhundert noch imstande ist, die Gemüter (überall und in Bayern besonders) zu erregen.

Heiner Wesemann

 

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