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LINCOLN

20.01.2013 | FILM/TV

Ab 25. Jänner 2013 in den österreichischen Kinos
LINCOLN
USA / 2012
Regie: Steven Spielberg / Drehbuch: Tony Kushner
Mit: Daniel Day-Lewis, Sally Field, Tommy Lee Jones, David Strathairn, Joseph Gordon-Levitt u.a.

Seien wir froh, dass Amerika auch filmisch ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Dort, wo man aus Abraham Lincoln auf der Leinwand einen Vampirjäger macht, ist auch einer der hemmungslosesten Populisten unter den Regisseuren („E.T.“, „Jurassic Park“) auf anderer Ebene ein Genie („Schindlers Liste“) und bietet ein hervorragendes, so hoch seriöses Biopic über eben diesen Abraham Linoln, dass es fast schon ein wenig trocken wirkt. Aber nicht wirklich. Wenn man genau zusieht, ist es voll feiner Details, gleicherweise in der Psychologie der Figuren wie in der Durchleuchtung wirklich komplizierter politischer Strukturen. Regisseur Steven Spielberg hat sich für das Drehbuch schließlich Tony Kushner geholt, und der ist („Angels of America“) für seinen kritischen Blick auf sein Vaterland bekannt. Und dass sein Skript auf einem Sachbuch beruht, das den „Political Genius“ des Präsidenten betont, hat der Drehbuchautor wahrlich realisiert.

Abraham Lincoln (1809-1865) also, 16. US-Präsident, und der erste aus einer stattlichen Zahl von amerikanischen Staatsoberhäuptern, die einem Attentat zum Opfer fielen, das dann auch angedeutet am Ende des Films steht. Er hat den Bürgerkrieg gewissermaßen begonnen, als er die Abschaffung der Sklaverei postulierte, worauf sich die Südstaaten abspalteten, und als es ihm gelang, diesen entscheidenden 13. Zusatzartikel der Verfassung durchzusetzen, hatte er sein Lebensziel erreicht.

Und Spielbergs Film konzentriert sich auf die letzten Lebensmonate Lincolns ab Jänner 1885 und seine Entschlossenheit, die Sklaverei gesetzlich abzuschaffen. Was nicht so einfach war, denn Abgeordnete beider Fraktionen waren entschlossen dagegen. So erlebt man jede Menge gefinkelter und durchaus nicht lupenreiner politischer Aktionen, um die geforderte Mehrheit zu erringen.

Dabei steht, wie aus einem harten Stück Holz geschnitzt, Daniel Day-Lewis als Lincoln nüchtern und doch strahlend im Zentrum des Geschehens, ein Anwalt und Politiker, der sein Handwerk versteht, seiner Umwelt aber wie ein behäbiger Umstandsmeier erscheinen will – bis die anderen merken (und der Kinobesucher auch), wie geschickt hintergründig er zum Ziel kommt, ohne sich die Hände allzu schmutzig zu machen. Schließlich werden andere beauftragt, die nötigen demokratischen Stimmen zu kaufen… was teils gelingt, teils nicht. Day-Lewis unterspielt mit einer Virtuosität, wie man sie nicht oft erlebt.

Eine besonders interessante Figur stellt Tommy Lee Jones unendlich knorrig als Thaddeus Stevens hin, der zwar im Abgeordnetenhaus die republikanische Mehrheit führt, aber ein entschiedener Gegner der Sklaverei ist: Erst am Ende, wenn er sich neben seiner farbigen Gefährtin ins Doppelbett legt, der er das Dokument der Sklavenbefreiung quasi als Geschenk mitbringt, kennt man auch den persönlichen Hintergrund für sein Handeln. Immer verlässlich, aber durchaus auch kritisch steht David Strathairn in einer seiner stärksten darstellerischen Leistungen je als Staatssekretär William Seward an Lincolns Seite.

Aber ein zweieinhalbstündiger Film, der ja nicht nur als Nachhilfeunterricht für Schulen, sondern für ein breites Publikum gedacht ist, kann natürlich nicht nur von Politik handeln, so trickreich spannend sie auch dargestellt wird. Kushner und Spielberg werfen durchaus einen Blick aufs Private, voran auf Lincolns Ehe mit Mary, die von deren schweren Seelenkrisen belastet ist – sie agiert sie aus, er begegnet ihnen mit Verständnis, schließlich haben sie im Krieg einen Sohn verloren (was sie dem Gatten zum Vorwurf macht). Wie Sally Field, die innerlich gebrochene Frau, sich allerdings aufrafft, um an der Seite ihres Mannes bei offiziellen Anlässen die kraftvolle, wortgewandte Streiterin an seiner Seite zu sein, das zählt zu den stärksten darstellerischen Eindrücken des Films.

So sehr Spielberg oft zur Sentimentalität neigt, diesmal setzt er auch die Szenen mit dem kleinen Sohn Lincolns (Gulliver McGrath) nur ein, um ein kompliziertes Familiengefüge klar zu machen. Verständlich auch die Situation des anderen erwachsenen Lincoln-Sohnes Robert Todd Lincoln (Joseph Gordon-Levitt), der selbstverständlich auch in den Krieg will – und unter dem riesigen Schatten des Vaters leidet. Das Drehbuch konfrontiert ihn allerdings mit ein paar ganz gnadenlosen Eindrücken von verstümmelten Soldaten und weggeschafften Leichen…

Überhaupt ist das ein sorgfältig ausgestattetes Zeitgemälde, das allerdings nie in spektakuläre Opulenz verfällt – wir sind ja nicht bei Südstaaten-Pflanzern à la „Vom Winde verweht“, sondern in einer nüchternen nördlichen Welt, die von einem Krieg beherrscht wird. Sorglich gemacht und großartig besetzt bis ins Detail, darf man schon ein bisschen seinen Kopf anstrengen, um hier zweieinhalb Stunden bei einer Sache zu bleiben, die sich thematisch wirklich lohnt.

Bei den „Oscar“-Nominierungen haben Film, Regie, Drehbuch, Hauptdarsteller, Nebendarsteller (weiblich und männlich), Kamera, Schnitt, Szenenbild, Kostüm, Musik und Ton gepunktet. Im Grunde alle verdient: Selbst wenn man sich als Österreicher den Nebenrollen-„Oscar“ für Christoph Waltz aufheben möchte (wenngleich Tommy Lee Jones ihn auch dafür verdiente, dass er einmal weit über seine Polizistenrollen hinauswächst), blieben immer noch genügend übrig. Vielleicht zeigt sich die Academy patriotischer als die „Globe“-Journalisten, die ja nur den Hauptdarsteller kürten. Bald werden wir es wissen.

Renate Wagner

 

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