LES FUNÉRAILLES ROYALES de LOUIS XIV – Pygmalion; Raphaël Pichon – harmonia mundi DVD/Blu-Ray
Live Mitschnitt aus der Chapelle Royale vom November 2015, Château de Versailles Spectacles, zum 300. Todestag des Sonnenkönigs
Die Überführung der sterblichen Überreste Ludwig XIV nach St. Denis glich keinem nationalen Trauerakt, sondern eher einem ausgelassenen Volksfest. „Die Leute tanzten, sangen, lachten und tranken auf der Straße. Manche gingen soweit, unflätige Beschimpfungen auszustoßen, als der Wagen mit dem Leichnam die Straße passierte.“ Charles Pinot Duclos. Nichtsdestotrotz wurden Ludwig XIV nach seinem Tod am 1. September 1715 (er regierte 72 Jahre) alle offiziellen Ehren zuteil, die einem französischen König zustanden. Er wurde in der Kathedrale St. Denis nach dem gebotenen Zeremoniell, natürlich begleitet von Musik, bestattet.
Raphaël Pichon und sein Ensemble Pygmalion versuchten mit dem nun auf DVD vorliegenden nächtlichen Konzert, die wichtigsten musikalischen Programmpunkte des pompösen königlichen Begräbnisritus für Ludwig XIV zu evozieren und deren packenden emotionalen Gehalt in einer Licht-und-Schatten-Inszenierung des Lichtdesigners Bertrand Couderc wiedererstehen zu lassen.
Die Begräbniszeremonien begannen offiziell 24 Stunden nach dem Tod des Königs, mit der Ausstellung des Doppelsarges im Paradezimmer des Grand Appartement von Versailles. Eine Woche lang gab es eine ununterbrochene Abfolge an Messen und Gebeten, gesungen von Mönchen. Dazwischen wurde jeden Tag eine andere Totenmesse von der „Musique du Roi“ dargeboten. Am 9. September nach der Totenvesper eskortierten die königlichen Musiker mit Kerzen in der Hand den königlichen Sarg bis an den großen Stiegenaufgang, wo ein achtspänniger Leichenwagen schon wartete, um nach St. Denis zu fahren. Der „Zug“ startete um acht Uhr abends und dauerte bis in die Morgenstunden, um den Übergang von der Dunkelheit zum Licht, vom Tod zur Auferstehung zu symbolisieren. In der Apsis der Kathedrale wurde der Sarg aufgebahrt, 40 Tage lang Tag und Nacht von Mönchen bewacht, für die ewige Ruhe betend. Als Höhepunkt folgte die eigentliche Begräbniszeremonie am 23. Oktober mit einer feierlichen Messe in alter polyphoner Manier und zwei vom Chef der „Musique de la Chambre“ dirigierten Eigenkompositionen für großen Chor. Michel-Richard de Lalande hatte damals die entsprechenden Ämter inne und ist der einzige Komponist, dessen Version von „De profundis“ verbürgt während der Totenfeierlichkeiten erklang. Das Begräbnis endete in der Krypta der Bourbonen mit dem Ritual der dynastischen Transition.
Raphaël Pichon hat in dieser Logik ein überwiegend fiktives musikalisches Programm zusammengestellt, das gut die einzelnen beschriebenen Stationen des wahrlich höfisch hochbarocken französischen Protokolls musikalisch und in einer filmisch dichten Athmosphäre auferstehen lässt. Da gibt es ein „De profundis“ von Jean Colin zu hören, einen Totenmarsch von André Danican Philidor, ein „Ne recorderis“ und „Dirige Domine“ von Louis Chein, und weitere feierliche sakrale Kompositionen von Charles D’Helfer („Pie Jesu“) und Michel-Richard de Lalande (extr. Cinquième suite des Simphonies pour les soupers du roi, „Dies irae“).
Die musikalische Umsetzung aller Stücke ist, wie stets beim auf frz. Hochbarock spezialisierten Ensemble Pygmalion, exquisit in jeder Hinsicht. Zu einem präzisen Studium der Quellen gesellt sich ein stilistisch perfekt agierendes und aufeinander abgestimmtes Vokal- und Instrumentalensemble. Die filmische Umsetzung des Projekts lag bei Stéphane Vérité in besten Händen. Dem Zuseher bietet die vorliegende DVD die Möglichkeit, kaum bis nie gehörte Kostbarkeiten frz. Sakralmusik zu entdecken und seine entsprechend Hörgewohnheiten auch mittels der herausragenden Leistungen von Gesangsolisten wie Céline Scheen, Lucile Richardot, Samuel Boden, Marc Mauillon oder Christina Immler zu erweitern. Außerdem ist es ein Vergnügen, die architektonischen Schönheiten der Chapelle Royale in nächtlichem Zauber aus nächster Nähe zu bewundern, ganz gleich ob man sie vor Ort schon gesehen hat oder nicht. Das Konzert ist ein Momentum im klaren Bewusstsein von Sterblichkeit der Macht und bildet historisch den Gegenpol zum berühmten „Concert Royal de la Nuit“, mit dem Ludwig XIV. symbolisch bei Sonnenaufgang im Sonnenkostüm die Macht im Staat übernahm.
Dr. Ingobert Waltenberger