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LAIBACH, eine blühende Stadt in jugendlichem Überschwang zur 25-jährigen Unabhängigkeit Sloweniens

01.06.2016 | REISE und KULTUR

Laibach, eine blühende Stadt in jugendlichem Überschwang zur 25-jährigen Unabhängigkeit Sloweniens (25. Juni 2016)

Reisebetrachtungen von Dr. Ingobert Waltenberger

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Laibachs Wahrzeichen auf der berühmten Drachenbrücke. Copyright: Dr. Ingobert Waltenberger

 Betörend duftet es an diesem schönen Sonntagsmaimorgen in der Altstadt Laibachs nach Schokolade, Mandeln, Vanille und Kaffee als jahrhundertealte Ingredienzien südlicher Lebensart. Sizilianische Bauern verkaufen an den Kolonnaden entlang des Ljubljanica Flusses luftgetrockneten Wildschweinschinken, aromatischen Hartkäse und schwarze und grüne Oliven so groß wie Marillen. Auf dem Fluss, gesäumt von unzähligen Kaffeehäusern, Restaurants und Bars, tummeln sich die ersten Stand-up Paddler, einer „Wassersportart“, bei der unerschrockene Touristen in voller Kleidung aufrecht auf einer Art Surfbrett stehen und mehr oder weniger elegant mit einem Stechpaddel vorankommen wollen. Die Segways zu Wasser sozusagen. Überall junge Leute, nicht wenige von ihnen auf Skateboards oder Fahrädern unterwegs. Die vier hervorragenden Universitäten geben Laibach das Gepräge einer flott aufgeschlossenen, modernen Gemeinschaft. Ähnlich wie in Leipzig machen über ein Fünftel der Bevölkerung (60.000) Studenten aus.

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stand up-Paddler. Copyright: Dr. Ingobert Waltenberger

Nach billigen Souvenirläden und Ramsch, beinahe überall als scheinbar unverzichtbare Akolyten einem nur Klischees huldigenden Massentourismus geschuldet, wird man hier vergeblich suchen. Da ist schon Oberbürgermeister Zoran Jankovich dahinter, der sich alle Gewerbegenehmigungen auf Punkt und Beistrich vorlegen lässt. Qualität „oblige“: Da türmen sich auf der sog. „Caffè-Latte-Allee“ die bunten Eisberge ganz nach bester italienischer Art in den Vitrinen oder, wenn dem Besucher danach ist, kann er im mit schwarzen Kirschen und Pfingstrosenfresken an der Decke alle Sinne reizenden „Café Lolita“ oder im „Cacao“ beste Patisserie vernaschen. Für Freunde süßer Sünden sind natürlich auch die Cremeschnitten mit doppelter vanillig schaumiger Füllung mit einem Hauch geschlagenem Obers unwiderstehlich oder wer es mag, beste Schokolade mit slowenischem Salz gewürzt. So manch ein Kirchgänger aus der Franziskanerkirche am Preserenplatz belohnt sich mit einem kleinen Frühschoppenbier.

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Kolonnaden von Josef Plecnik. Copyright: Dr. Ingobert Waltenberger

Architektonisch hatte die slowenische Hauptstadt enorm Glück: Von Bomben im zweiten Weltkrieg weitestgehend verschont, gleicht das Stadtbild – Graz nicht unähnlich – einer dem Auge bekömmlichen Mischung aus Barock, Rokoko, Gründerzeitbauten und fantastischem Art Déco. Stadtteile, die 1895 bei einem Erdbeben zerstört wurden, hat man im Stil der Wiener Sezession neu gestaltet. 1925 begann der Otto Wagner Schüler Josef Plecnik mit der städtebaulichen Erneuerung von Laibach. In Wien kennt man ihn als den Erbauer des „Zacherl Hauses“, der „Villa Langer“ in der Beckgasse oder der Heilig-Geist-Kirche in Ottakring. In Laibach baute er das in Terrakotta- und Grautönen gehaltene, prächtig eigensinnige Gebäude der National- und Universitätsbibliothek. Auch die Uferbebauung der Ljubljanica (Kolonnaden) sowie die sog. drei Brücken (Tromostovje) im Stadtzentrum sind sein Werk, zudem die Gestaltung der Straßenbeleuchtung. Allseits präsent der Drache, das heraldische Symbol der Stadt, am schönsten vielleicht auf der Drachenbrücke, zu Ehren der 40-jährigen Herrschaft des Kaisers Franz Josef I. erbaut. Die Bronzekandelaber wurden übrigens in Wien gegossen. Die vier Ecken der Brücke schmücken wunderschöne aus Bronzeblech geschmiedete Drachen. Die Drachen wurde ebenso in Wien, in der Fabrik A. M. Beschorner hergestellt. Ganz heutig pariserisch geht es hingegen auf der Metzgerbrücke zu. Hunderte an Stahlseilen montierten Liebesschlösser stehlen beinahe den fantastischen Skulpturen von Jakov Brdar die Show

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Metzgerbrücke mit Liebesschlössern. Copyright: Dr. Ingobert Waltenberger

Natürlich hat auch der reale Sozialismus seine unübersehbaren Spuren hinterlassen. Nicht immer hohen ästhetischen Erwartungen entsprechend, hat sich diese nach heutigen Maßstäben funktionale Bauweise (Platte) gut in eine grün dominierte Stadtlandschaft zwischen Gestern und Morgen integriert. Vor jedem Hochmutsanfall lade ich dazu ein, die Erinnerung zu schärfen, welche Bausünden in den 60-er und 70-er im Westen (egal ob in Wien, Berlin oder Paris) noch immer jedes Auge beleidigen.

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Gässchen in der Weltkulturerbe-Altstadt. Copyright: Dr. Ingobert Waltenberger

Die Natur spielt in der sympathischen slowenischen Hauptstadt eine überwältigend dominante Rolle. Vom 70 Meter steil über den Häusern aufragenden Schlossberg mit seiner mittelalterlichen Burg, Residenz der Herzöge von Carniola, bis hin zu den zahlreichen Grünanlagen (Tivoli City Park) und dem grünen Gürtel rund um die Stadt bis hin zu den Aussichten auf die nahen noch schneebedeckten Karawanken oder Julischen Alpen. Die Stadt in der Natur oder Natur mit Stadt je nach Standpunkt, wo sich Perspektiven und Farben so mischen, dass beides zugleich erstanden zu sein scheint. Der Titel Green Capital of Europe 2016 ist wohlverdient. Die Busse fahren mit Strom, an allen Ecken werden Räder des städtischen Fahrradverleihers BICIKELJ angeboten und in den Lokalen herrscht striktes Rauchverbot. Eine gläserne Schrägbahn verbindet die Altstadt mit dem Schlossberg.

 

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Slowenische Nationalgalerie. Copyright: Dr. Ingobert Waltenberger

Kunst prägt die Straßen und Plätze. Die Slowenische Nationalgalerie mit fabelhaften Impressionisten abseits der Pariser Stars (bemerkenswert auch die Dauerausstellung mit Werken von Zoran Mušič) ist auch wegen der gelungenen Mischung aus alter und neuer Archuitektur einen Besuch wert. Das slowenische Nationaltheater, ganz in Neorenaissance nach Plänen der tschechischen Architekten Jan V. Hrasky und Anton Hruby erstanden. spielt derzeit Katja Kabanova von Janacek. Aber auch die moderne Kunst hat einen hohen Stellenwert in Laibach. Im gleichnamigen Museum oder der vom Architekten Edo Ravnikar entworfenen und 1945 erbauten Galerie kann man die Kreativität und Originalität slowenischer Künstler des 20. Jh. (Retroavantgarde) entdecken. In der Galerie findet die Internationale grafische Biennale statt, die weltweit älteste Veranstaltung dieser Art.

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Moderne Kunst im öffentlichen Raum. Copyright: Dr. Ingobert Waltenberger

Street Art und Graffiti Kunst geben dem öffentlichen Raum neben auf Hochglanz restaurierter Geschichte ihre besondere Duftmarke. Ob im BiKoFe, der ehemaligen Kaserne Metelka, der alten Fahrradfabrik Rog oder der Trubarjeva Cesta, überall gibt es – beinahe nach bester „Berliner Manier“ – gelungene Beispiele, wie man mit der Spraydose in der Hand frech und kühn zugleich seine Botschaft in Farben gießen oder einfach einem bestimmten Lebensgefühl Ausdruck verleihen kann. Laibach ist noch weit davon entfernt, ein touristisches Disney-Land à la Barcelona oder Venedig zu werden. Vielleicht ist die atmosphärisch mediterrane Stadt dazu auch etwas zu schüchtern und bescheiden. Wie in vergleichbaren Destinationen in Norditalien darf sich der Besucher hingegen über viel Charakter, spektakuläres Design, Unverwechselbarkeit und jeder Menge an unerwarteter Schönheit erfreuen. Die Leute sind zurückhaltend freundlich, aber herzlich. Slowenien ist als liberalstes Land im Balkan tolerant und weltoffen, was auch die soeben zu Ende gegangene Pink Week mit dem krönenden „Dragon Ball“ gezeigt hat. Hier könnte Laibach bei einigem Geschick an Wien mit seinem Life Ball anknüpfen.

Dass der Tourismus boomt, merkt man nicht nur in Laibach, wo die Einheimischen Gott sei es gedankt, noch immer Oberwasser haben, sondern auch an anderen Sightseeing Highlights wie in Bled oder Piran an der Adria. Preislich ist zu Österreich nicht viel Unterschied, außer man bewegt sich abseits der in asiatischen Reiseführern markierten „Musts“.

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Gebäude der früheren Kooperativenbank. Copyright: Turizem Ljubljana/B. Cvetkovic

Wirtschaftlich ist das Land auf der europäischen Überholspur, was auf eine anhaltende Veränderungs- und Reformfreudigkeit zurückzuführen ist. Das Land wurde am 1. Mai 2004 als eines von zehn Beitrittsländern ein Mitgliedstaat der Europäischen Union. Nach der Finanzkrise und entsprechenden wirtschaftlichen Rückschlägen weist das Land nunmehr ein Wachstum von 2,9%, einen Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von 7,3%, ein niedriges Defizit (2017: 1,6%), sowie eine Staatsverschuldung von 2016: 79,6% (zum Vergleich Österreich im selben Jahr 85,1%) auf. Gravierende Fehler sind auf die Boomjahre 2006-2008 zurückzuführen. SIowenien hat als entwickeltste „transition economy“ mit einem Bündel an Strukturmaßnahmen auf die Probleme geantwortet: Reformen im Pensionssystem, der Arbeitsmärkte, Privatisierungen, die Stärkung des Bankensystem sowie die Einführung einer verfassungsrechtlichen Schuldenbremse 2013. Ein großes Reformprogramm 2016/2017 mit Schlüsselprioritäten soll weitere Verbesserungen in der Wettbewerbsfähigkeit des Landes bringen. Vielleicht kann sich das eine oder andere EU-Land von unserem südlichen Nachbarn ja noch was abschauen.

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Slowenische Zentralbank. Copyright: Dr. Ingobert Waltenberger

Aus welchem Grund auch immer, Laibach ist eine Reise wert. Behutsam gebettet auf sentimentalen Alt-Kakanien Reminiszenzen, Adrianähe und mediterraner Lebenslust gepaart mit nordischem Ordnungssinn, regionaler Authentizität, liberaler Grundgesinnung („Leben und leben lassen“) und kulinarischer Verve lassen sich allemal ein paar genießerisch entspannende Stunden erleben. Von meinem Kärntner Feriendomizil im Bodental aus werde ich sicher einen weiteren Abstecher noch in diesem Sommer unternehmen. Ein Grund dafür könnte das 64. Ljubljana Festival sein, wo unter anderem Erwin Schrott, José Cura (Otello), Neo-Lohengrin Piotr Beczala, das Streichquartett Elysée, das London Symphony Orchestra oder das Royal Concertgebouw sich ein Stelldichein geben.

 

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