Gespräch mit Helmut Jasbar, dessen Oper „Unsere Kinder der Nacht“ am 19. Januar in Linz uraufgeführt wird.
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HELMUT JASBAR: „Die Kinder sehen, was die Erwachsenen verschlafen“
Interview mit dem Wiener Komponisten und Librettisten Helmut Jasbar über seine neue Oper „Unsere Kinder der Nacht“, die am 19. Januar im Landestheater Linz uraufgeführt wird.
Das Landestheater Linz präsentiert am 19. Januar 2025 die Uraufführung einer packenden musikalischen Erzählung über Zusammenhalt und Mitgefühl in Zeiten des Unheils. „Die Kinder der Nacht“, das dritte große Musiktheaterwerk des Wiener Komponisten, Gitarristen, Autors und Radiomoderators Helmut Jasbar, vereint Orchester, Vokalsolisten und Kinderchor zu einem eindringlichen Gesamtkunstwerk. Die Oper, die in deutscher Sprache mit Übertiteln aufgeführt wird, ist für Erwachsene und Kinder ab 12 Jahren konzipiert und wird im Großen Saal des Musiktheaters sowie in der MusiktheaterWerkstatt zur Aufführung gebracht. Die brisante Frage „Sind wir alle in Gefahr?“ schwebt wie ein bedrohlicher Schatten über dem Werk. In einer Welt, die zusehends aus den Fugen gerät, sind es die jungen Menschen, die sich nicht länger ignoriert sehen wollen. Sie nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand und brechen zu einer Reise mit ungewissem Ausgang auf. Ihr Weg führt sie ausgerechnet an einen Ort, der nicht für seine Hilfsbereitschaft und Menschenfreundlichkeit bekannt ist: Hades Incorporated, das Reich der Nacht. Die Produktion entstand in enger Zusammenarbeit mit Intendant Hermann Schneider, der dem Komponisten völlige künstlerische Freiheit gewährte. Während der Vorbereitungen zur großen Premiere in Linz fand Helmut Jasbar Zeit für ein Gespräch mit Stefan Pieper.
Herr Jasbar, Ihr neues Werk „Unsere Kinder der Nacht“ scheint zwischen Realität und Mythos zu pendeln. Können Sie uns in diese Welt einführen?
Die Geschichte entwickelt sich aus einer sehr konkreten Beobachtung: Eine Gruppe von Kindern nimmt eine Bedrohung wahr, die die Welt gefährdet. Aber sie stoßen auf taube Ohren – die Erwachsenen scheinen wie in Trance, unfähig oder unwillig, diese Gefahr zu sehen. In ihrer Not erhalten die Kinder Hilfe von der Göttin Nyx, die ihnen ein Ritual beibringt, um in den Hades zu gelangen. Dort suchen sie nach Hypnos, dem Gott des Schlafes, der symbolisch für die Apathie der Erwachsenen steht.
Was hat Sie bewogen, diese Geschichte aus der Perspektive von Kindern zu erzählen?
Die kindliche Perspektive war von Anfang an zentral für das Werk. Kinder verfügen über eine natürliche Sensibilität für die Probleme der Welt, sie sind noch nicht so stark von gesellschaftlichen Konventionen geprägt. Ursprünglich sollte die Geschichte von Kindern handeln, die ihre Kindheit durch den Krieg verlieren – ein Thema, das nicht nur die äußeren Umstände, sondern vor allem die emotionalen und psychologischen Auswirkungen beleuchtet.
Nehmen Sie den Klimawandel als Beispiel: Oft sind es die jungen Menschen, die als erste Alarm schlagen, während die Erwachsenenwelt in ihren gewohnten Mustern verharrt. Diese Diskrepanz zwischen kindlicher Wahrnehmung und erwachsener Ignoranz wurde zum Kernthema des Stücks.
Die mythologischen Elemente spielen eine wichtige Rolle in Ihrem Werk. Welche Bedeutung haben der Hades und die Göttin Nyx?
Der Hades steht für das Verschlafen gesellschaftlicher Probleme. Wenn die Kinder in die Unterwelt hinabsteigen, ist das eine reale und symbolische Reise. Sie treffen Hypnos, der für die Lethargie der Gesellschaft steht. Nyx, die Göttin der Nacht, hilft ihnen. Sie hilft ihnen, ihre Ängste zu überwinden und lehrt sie das Ritual, das sie durch den Hades führt.
Das Ende bleibt offen, weil die Realität nicht einfach ist. Aber die zentrale Botschaft ist klar: Auch wenn wir die Welt nicht im klassischen Sinne „retten“ können, müssen wir füreinander da sein und mit Anstand leben. Die Geschichte selbst hat sich auch weiterentwickelt. Die mythologischen Elemente kamen erst später dazu, weil wir eine metaphorische Ebene brauchten, um die Themen zu vermitteln. Die Verbindung von modernen Problemen und alten Mythen schafft einen zeitlosen Rahmen für aktuelle Fragen. Es gibt aber auch viele humorvolle Elemente.
Zum Beispiel?
Ich habe sehr bewusst auch einige Slapstick-Elemente in die Bühnenhandlung eingebaut: Zum Beispiel läuft ein Mann ständig gegen einen Laternenpfahl. Beim ersten Mal ist es noch zum Lachen, aber mit jedem weiteren Mal wird es zunehmend irritierender. Er verletzt sich dabei immer mehr, bis er schließlich von der Bühne „weggezogen“ werden muss. Diese wiederholte Aktion ohne Kommentar, außer durch die Musik, soll das Gefühl der Erschöpfung und des Scheiterns ausdrücken. Es zeigt auf eine subtile Weise, wie wir immer wieder in die gleichen Fehler und Routinen zurückfallen, ohne daraus zu lernen. Die Musik unterstützt diese Wiederholung, die den Humor im Verlauf der Szene verblassen lässt und die Komplexität der Situation immer stärker hervorhebt.
Auf was für eine Musik können wir uns freuen? Verfolgen Sie hier wieder diesen gewissen eklektizistischen Ansatz, der mir schon bei anderen Ihrer Kompositionen aufgefallen ist?
Die Musik entwickelt sich parallel zur Handlung und spiegelt die verschiedenen Ebenen der Geschichte. In den surrealen Szenen wird die Musik experimenteller, fast atonal, während andere Passagen, besonders die der Kinder, zugänglicher gestaltet sind, manchmal fast volksliedhafte Züge tragen. Der Kinderchor spielt dabei eine zentrale Rolle – seine Partien sind anspruchsvoll, bleiben aber stets expressiv und singbar.
Diese Mehrschichtigkeit der Musik ist für mich kein beliebiges Sampling verschiedener Stile, sondern eine bewusste künstlerische Entscheidung. Musiktheater bedeutet immer auch Risiko – man weiß nie genau, wie das Publikum auf bestimmte Passagen reagieren wird. Aber gerade dieses Risiko schafft Raum für neues Denken und tiefgehende Reflexionen. Die Klangsprache entwickelt sich mit der Reise der Protagonisten, vom Alltäglichen bis ins Mythologische. Das ermöglicht verschiedene Hörebenen und damit unterschiedliche Zugänge zum Werk.
Was bedeutet Ihnen diese Uraufführung in Linz am 19. Januar?
Für mich markiert dieses Projekt einen echten Meilenstein. Die Zusammenarbeit mit dem Intendanten Hermann Schneider war ein echter Glücksfall. Er hat mir völlige künstlerische Freiheit gegeben und bringt ein tiefes Verständnis für die Bedeutung der Arbeit mit Kindern im Theater mit. Unser Dirigent Ingmar Beck trägt mit seiner akribischen Arbeitsweise ebenfalls zum Gelingen des Projekts bei – seine Präzision ist gerade bei zeitgenössischer Musik unerlässlich. Die Möglichkeit, ein solches neues Stück an einem großen Haus wie dem Landestheater Linz uraufführen zu können, eröffnet neue Perspektiven für zeitgenössische Werke, denn dadurch können solche Werke einem breiteren Publikum präsentiert werden. Große Häuser verfügen nun mal über die notwendigen Ressourcen und das künstlerische Personal, um komplexe Produktionen wie diese zu realisieren.
Sie sind auch als Radiomoderator tätig. Wie gehen künstlerisches Schaffen und Medienarbeit bei Ihnen miteinander einher?
Die verschiedenen Disziplinen – Musik, Schreiben und Medienarbeit – befruchten sich gegenseitig. In zwanzig Jahren Radioarbeit habe ich gelernt, wie schwierig es sein kann, komplexe Themen zu vermitteln, besonders wenn sie nicht dem Mainstream entsprechen. Diese Erfahrung fließt in meine künstlerische Arbeit ein. Ich habe nie aufgegeben, dass es immer ein Publikum gibt, das solche Themen schätzt und dadurch angeregt wird.
Wie verarbeiten Sie tagespolitische Ereignisse und aktuelle Wirklichkeit in Ihren Werken?
Die Herausforderung besteht darin, zeitlose Themen zu finden, die über das Tagesgeschehen hinausreichen. Ein Werk, das zu sehr von aktuellen Ereignissen geprägt ist, verliert schnell an Relevanz. Kunst sollte Fragen aufwerfen und zum Nachdenken anregen, statt fertige Antworten zu liefern. Das ist in unserer schnelllebigen Zeit vielleicht ein Luxus, aber ein notwendiger.
Welche Rolle kann Kunst in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung spielen?
Wir erleben heute einen regelrechten „Krieg der Meinungen“, der den echten Dialog oft unmöglich macht. Kunst kann hier einen Raum öffnen, in dem verschiedene Perspektiven nebeneinander existieren können. Die Präzision, die ich im Radio gelernt habe, hilft mir, komplexe Themen künstlerisch zu verarbeiten.
Was hoffen Sie, nehmen die Zuschauer aus dem Stück mit?
Ich möchte zum Nachdenken anregen – nicht nur über die Bedrohungen unserer Welt, sondern auch über unsere Fähigkeit zur Veränderung. Das Stück bietet verschiedene Zugänge: Über die Geschichte, die Musik, die Symbolik. Wenn die Zuschauer nach Hause gehen und sich fragen, was wir anders machen können, wie wir füreinander da sein können, dann hat das Stück sein Ziel erreicht. Gerade in der Arbeit mit dem Kinderchor zeigt sich, wie wichtig es ist, die nächste Generation ernst zu nehmen. Wenn das Stück dazu beiträgt, diesen Dialog zwischen den Generationen zu fördern, hat es eine weitere Aufgabe erfüllt.
Herr Jasbar, ich bedanke mich für den spannenden Gedankenaustausch in diesem Gespräch!
Stefan Pieper