Kommentare zur Bestellung des Regisseurs für den Bayreuther „Ring des Nibelungen“ 2028
Wieder Regisseurstheater
Vor kurzem verkündete die Festspielleitung der Bayreuther Festspiele, dass der russische Regisseur Vasily Alexeevich Barkhatov den neuen „Ring“ im Jahre 2028 inszenieren wird. Dieser sollte dann ja wohl wieder – wie normalerweise üblich und aus Kostenüberlegungen auch sinnvoll – fünf Jahre laufen. Als Schüler von Peter Konwitschny, dem das sog. Regietheater, zutreffender aber als Regisseurstheater zu bezeichnen, noch weitgehend überzeugend gestaltenden Alt-Regisseur, ist Barkhatov als noch junger Regisseur mit Debut im Jahre 2005 (natürlich) dem Wagnerschen Regisseurstheater verpflichtet. Das legt schon seine Inszenierung des „Fliegenden Holländer“ am Mikhailowsky Theater Sankt Petersburg nahe, die auch an der Deutschen Oper am Rhein 2024 unter Axel Kober am Pult gezeigt wurde (https://www.die-deutsche-buehne.de/kritiken/rheinoper-wagner-hollaender-barkhatov/). Es ist offenbar Barkhatovs einzige Wagner-Inszenierung bisher, ähnlich wie bei anderen für höhere, ja sehr hohe Aufgaben nach Bayreuth berufenen Regisseuren. Ungeachtet der sich mittlerweile intensivierenden Diskussion um das aus dem Ufer laufende Regisseurstheater geht es zumindest bei der für Bayreuth so zentralen Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ also mit dem Regisseurstheater beharrlich und unverdrossen weiter…
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Und das, wo gerade ein Iván Fischer – weltbekannter Dirigent, ehemals GMD des renommierten Musiktheaters Amsterdam – und Bruder von Ádám Fischer, der bereits in Bayreuth (nach dem unerwarteten Abgang von Sir Georg Solti) den „Ring“ dirigierte – sich als engagierter Gegner des „Regietheaters“ manifestiert hat. Im norditalienischen Vicenza gründete Iván Fischer sogar eine eigene Opern-Kompagnie und wurde neben seiner Funktion als Dirigent auch Regisseur. Gerade hat er am MÜPA in Budapest „Don Giovanni“ inszeniert in einem, wie Jan Brachmann in der FAZ schreibt „Einmannkrieg gegen die Regieoper-Mafia“: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/musik-und-buehne/oper/ivan-fischer-inszeniert-mozarts-don-giovanni-gegen-die-regieoper-mafia-110686814.html.
Im Globe Theatre oder im Teatro Olimpico spielt Fischer mit seinem bereits 1983 gegründeten Budapest Festival Orchestra Opern als Alternativen zum aus seiner Sicht auf das – und sicher nicht nur aus seiner! – „zu sehr auf visuelle Erneuerung und akustische Wiederholung setzende und die Musik vernachlässigende Regietheater“.
In einem Interview mit BackstageClassical präzisierte Fischer seine Sicht des Regietheaters als eine „Sackgasse“, da es bekannte Werke durch äußere Eingriffe künstlich beleben will und eben die Musik vernachlässigt. Er kritisiert, dass viele Regietheater-Inszenierungen zu einer akustisch konservativen und visuell unnötig aufwendigen Form neigen. Wie wahr!! Und viele Intendanten machen fleißig mit in der Erwartung einer gewissen Aufregung und damit Beachtung für ihr Haus sowie einer guten Presse, die allzu oft ein signifikantes Stück mitgeht. Auch weil die oft jungen Opernkritiker die Zeit vor 1990/2000 gar nicht mehr kennen, als man in Bayreuth noch acht Jahre auf eine Kartenzuteilung warten musste, oder man sich an der Wiener Staatsoper für bestimmte Aufführungen schon in der späten Nacht für eine Stehplatzkarte am Morgen anstellte. Und sie kennen erst recht nicht das Entstehen eines intellektuell und durchaus auch werkbezogenen und damit wirklich überzeugenden Regietheaters wie beim sog. Jahrhundert-„Ring“ von Patrice Chéreau in Bayreuth 1976 (Chéreau damals: „Ich will Wagner vom Podest holen!“) und jenem von Ulrich Melchinger in Kassel 1974. „Zaghafte Neuerungen“ betitelt Iván Fischer auch die Regietheater-Produktionen, die er bisweilen sieht.
Und dann sagt er in einem FAZ-Interview noch etwas ganz Wichtiges: „Musiktheater wird uninteressant, wenn Dirigent und Regisseur getrennt arbeiten“. Das ist in der Tat ein bedeutsamer Grund, warum Musiktheater, und das Regisseurstheater im Besonderen, heute so oft schiefgehen. Fischers Ziel ist es, Musiktheater direkt aus der Partitur heraus lebendig zu machen – ein Ansatz, mit dem er den Opernbetrieb nachhaltig prägen möchte. Und damit ist er ein Bruder im Geiste von Prof. Plamen Kartaloff, dem Generaldirektor und Regisseur der Nationaloper Sofia, der dort seit 2013 neun Werke des Bayreuther Kanon und den „Ring“ gleich zweimal mehr als gültig produziert hat. Auch er inszeniert wie Fischer anhand eines Story Board aus der Komposition heraus, in diametrealem Gegensatz zu den Regisseurstheater-Regisseuren, die in der Mehrheit einzig und allein von der Regie her kommen und sich allzu häufig kaum noch um die Musik kümmern.( https://www.klaus-billand.com/redaxo/index.php#slice538, letzter Paragraph)
Iván Fischers Idee ist, Inszenierungen, die direkt aus der Musik entstehen zu machen, und er hört die Charaktere aus der Partitur heraus. Das ist eben Musiktheater und nicht Theater mit Musik. Dasselbe gilt für Plamen Kartaloff, der mit seinem ersten „Ring“ 2015 auch am Ludwig II. Festspielhaus in Füssen und 2018 am Bolschoi-Theater Moskau, wo es 40 Jahre lang keinen „Ring“ mehr gegeben hatte, große Erfolge feiern konnte.
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Man darf gespannt sein, ob es der gerade bestellte „Ring“-Regisseur Barkhatov vor diesem Hintergrund bis zur Premiere im Juli 2027 schafft. Oder wird die Festspielleitung auch diesmal wieder einen Plan B aus der Tasche ziehen (müssen), wie damals den Zettel des noch Wagner-unerfahreneren Valentin Schwarz, dessen Stück Papier beim „Ring“-Award in Graz so bedeutsam werden sollte, ganze neun Monate vor der Premiere 2022. Die Existenz bzw. rechtzeitige Bekanntgabe eines Planes B wäre für alle Beteiligten sicher von Vorteil, vor allem für die Festspielleitung.
Klaus Billand, Rio de Janeiro, 30. September 2025