Klaus Billand: Hier ein Kommentar zum Merkur-Artikel von Markus Thiel zur Virtual Reality (VR)-Idee in Bayreuth 2023 bei „Parsifal“:
Es stimmt nicht ganz, wenn von Markus Thiel im Text insinuiert wird, dass die Oper Augsburg „Vorreiter bei künstlichen Bühnenwelten“ sei (Intendant André Bücker zum Bayreuther „Parsifal“ 2023: „Ich halte das für einen sehr spannenden Schritt“). Ich hatte den Augsburger „Orfeo“ 2020 gesehen und hänge die Rezension an. Für eine generelle und möglicherweise zukunftsorientierte Werkrezeption erscheint Virtual Reality, begrifflich oft auch falsch genutzt, aus verschiedenen Gründen eine m.E. nicht gangbare Inszenierungsalternative.
Ich habe nämlich am Landestheater Linz im September 2004 die Premiere eines neuen „Ring des Nibelungen“ im Brucknerhaus mit dem „Rheingold“ erlebt, die mit 3D-Brillen (Virtual Reality – VR) lief. Das VR-Konzept entwickelte damals auf Einladung der aus einer Musikerfamilie stammende Maler Johannes Deutsch aus Wien, kein normaler Regisseur also, mit der Ars Electronica Futurelab für die äußerst komplexen Computerprogramme. Für Deutsch ging es um die Verwirklichung eines synästhetischen Gesamtkunstwerks (schon Pythagoras kam mit den Anfängen einer “gekoppelten Sinneswahrnehmung“ im Rahmen seiner „Sphärenmusik“ dem vermeintlich neuen Begriff der Synästhesie sehr nahe), bei dem die Ausführenden der Oper, also Dirigent, Orchester und Sänger, durch Partizipation über VR noch intensiver als bei einer normalen Aufführung mit der Bebilderung des Szenischen in Einklang gebracht werden.
Es handelt sich also de facto um einen noch intensiver gefassten Begriff des Wagnerschen Gesamtkunstwerks durch direkte Mitwirkung. Auch das Publikum kann in diesem Sinne durch Partizipation eine VR begründen. Die (3D)-Brille ist dabei ein Werkzeug zur Wahrnehmung dieser optischen Integration, in dem sie zwei Bilder (in zwei polarisierenden Gläsern) zu einem einzigen dreidimensional zusammensetzt. Der Prozess dahin ist enorm kostspielig und zeitaufwendig, weil extrem komplexe Computerprogramme und eine große Zahl von entsprechend geschulten und erfahrenen Programmierern, Sound-Technikern, Analysten etc. erforderlich ist.
Damit hat der in Augsburg bei „Orfeo“ zum Einsatz gekommene Begriff der VR oder Augmented VR, der nun auch in Bayreuth zitiert zu werden scheint, nichts zu tun. Denn anstatt dass entweder die Ausführenden (also Dirigent, Orchester oder/und Sänger) oder das Publikum durch die Möglichkeit direkter Partizipation in die VR des laufenden Kunstwerks, also hier in die Gesamtdarstellung der Oper wie des „Parsifal“ durch eigene Initiative eingreifen, wird von außen eine zusätzliche, eine „Augmented Reality“, technisch in den Sehprozess eingebracht. Dieser führt das Publikum in ganz andere Welten, die wenig bis gar nichts mit dem eigentlichen Werk zu tun haben (können). In solchen Fällen sind sie aber nicht beeinflussbar und somit nichts anderes als einfache Zuspielungen, die man statt VR etwa nennen könnte wie „Zusätzliche Bild- oder Filmbeiträge“. Sie ähnelten der Einblendung eines Zusatzbeitrags im Rahmen eines Nachrichtenprogramms im TV oder einer Doku und entbehren damit also auch jeglichen künstlerischen Sinnes und Gehalts.
Dazu wurden in Augsburg übrigens relativ dicke Brillen verschiedene Male auf (sehr störende) Anweisung von der Bühne her aufgesetzt (positioniert unter dem Sitz), die den Betrachter in eine ganz andere optische Welt führten, in eine Art Arkadien, parallel zur Opernhandlung auf der Bühne und der Musik. Deshalb „Augmented“! Zu keinem Zeitpunkt gab es dabei in irgendeiner Weise die Möglichkeit einer Partizipation des Publikums. Es war wie eine mehrmals in die Oper eingeschobene kurze Kinovorstellung – also diametral anders als beim synästhetischen VR-Projekt des „Rheingold“ von Johannes Deutsch 2004 in Linz.
Dr. Klaus Billand