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Kommentar von Kirsten Liese: RETTET DIE BERLINALE! Die 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin- ein Armutszeugnis

26.02.2023 | Reflexionen-Festspiele

Kommentar

Rettet die Berlinale!

berl

Die 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin- ein Armutszeugnis

Von Kirsten Liese

Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek haben seit ihrem Amtsantritt als Doppelspitze der Berlinale schwierige Jahre hinter sich. 2021 fiel das Festival wegen Corona gänzlich aus, 2022 erhielten  Filmjournalisten nur Zutritt, wenn sie sich täglich testen lassen. Das hielten viele für übertrieben und sagten ab, ich auch.

In der 73. Ausgabe waren nun diese Restriktionen wieder aufgehoben, aber das ist schon fast die einzige gute Nachricht, abgesehen davon, dass Steven Spielberg und ein paar Hollywood-Stars wie Cate Blanchett oder Helen Mirren das graue, nasskalte, verregnete Berlin mit ein bisschen Glamour überzogen.

Der Potsdamer Platz selbst – um noch kurz bei dem äußeren Erscheinungsbild des Festivals zu bleiben – bietet mittlerweile ohne ein Zentrum und gemütliche Orte der Begegnung einen trostlosen Anblick. Die Lounges, wie sie in früheren Zeiten Sponsoren wie Glashütte oder BMW Vertretern des Fachpublikums für Interviews zur Verfügung stellten, gibt es seit dem dramatischen Rückgang an Sponsoren schon lange nicht mehr.

Mittlerweile fehlen auch die einladenden Cafés unweit des Berlinale-Palasts, in denen man die Pausen zwischen den Filmen überbrücken und sich mit anderen Kollegen bei einem Cappuccino austauschen konnte, seit aus den Arkaden, nunmehr unter dem Namen „The Playce“, eine sterile Meile geworden ist, in der es keine gemütlichen Orte mehr gibt, die zum Verweilen einladen. Früher standen in dieser Passage Menschen Schlange, um Karten zu kaufen. Das brachte Leben in die Bude, wie man so sagt. Nun, seit Karten nur noch online verkauft werden –  was nebenbei gesagt Cineasten ausschließt, die sich aus welchen Gründen auch immer mit Interneteinkäufen schwer tun – bietet sie einen tristen, leeren Anblick. Vielleicht ist die fehlende festliche Stimmung ja auch einer der vielen Gründe, warum renommierte Filmemacher mit ihren neuesten Werken lieber nach Cannes und Venedig gehen.

Diese Entwicklung bahnte sich freilich schon in der Ära Dieter Kosslicks an, aber bei Carlo Chatrian, von dessen schlechtem Geschmack ich mich schon überzeugen konnte, als er noch das kleinere Festival in Locarno leitete, setzt sie sich noch umso bestürzender fort. Womit wir bei dem größten Problem angekommen wären: Das künstlerische Niveau des größten deutschen Filmfestivals, das in früheren Jahrzehnten Größen wie Michelangelo Antonioni, Pier Paolo Pasolini, Claude Chabrol, André Techiné, Theo Angelopoulos, Kryzstof Kieslowski oder Andrzej Wajda hervorbrachte, um nur einige zu nennen, hat einen bestürzenden Tiefpunkt erreicht, der nicht mehr zu übersehen ist. Der starke politische Drive des Festivals hat sicherlich seinen Teil dazu getan, finden doch schon seit mindestens zwei Jahrzehnten die Filme seitens Presse und Preisen die größte Beachtung, die sich einem aktuellen politischen Thema und Narrativ verschreiben. Die Kunst fiel darüber zunehmend durchs Sieb.

Warum sollte also einer, der Filmkunst zu bieten hat, diese an die Berlinale verschenken?

So gesehen wundert es fast, dass Margarethe von Trotta, mittlerweile 81, die für ihre Werke zwar stets in Venedig, in vergangenen Jahren auch in Toronto, viel Beachtung fand, in Berlin eher links liegen gelassen wurde, nach 40 Jahren doch noch einmal in den Wettbewerb zurückgekehrt ist. Zwar erntete sie diesmal keine Häme wie 1983 zur Weltpremiere ihres Films „Heller Wahn“ um die komplexe Beziehungsgeschichte zweier Frauen, aber eben auch nicht die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt hätte. Ihr Porträt über Ingeborg Bachmann ist zugegeben nicht so stark geraten wie frühere Frauenporträts über Rosa von Luxemburg oder Hannah Arendt, dies vor allem angesichts einer Hauptdarstellerin, die in der Titelpartie wenig authentisch wirkt, aber auf die hohe Kunst des Geschichtenerzählens versteht sich Trotta noch immer. Und das lässt sich nicht von allzu vielen Wettbewerbsteilnehmern der 73. Berlinale behaupten.

Jedenfalls habe ich im gesamten Wettbewerb nur zwei wirklich gute Produktionen gesehen. Das Hauptproblem scheint zu sein, dass die Newcomer und Debütanten wenig zu erzählen haben. Ihren Beiträgen fehlt es erschreckend an Substanz, an spannungsreicher Dramaturgie und einer Bildsprache, die die Kinoleinwand rechtfertigt. Von einem Mangel an markanten künstlerischen Handschriften rede ich erst gar nicht.

Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek werden – das steht wohl sehr zu befürchten –  flankiert von einer rot-grün-linken Regierung in Berlin, das Festival an die Wand fahren, wenn sie am Ruder bleiben. Noch sagen sich das die meisten Kolleginnen und Kollegen, die diese Ansicht teilen, hinter vorgehaltener Hand. Andreas Kilb, der immerhin in der FAZ schrieb, dass die Berlinale im Begriff ist, ihren A-Status zu verspielen, erscheint da schon als ein kühner einsamer Rufer in der Wüste. Umso dringender ist es, dass diese Stimmen zunehmen und lauter werden, soll die Berlinale sich nicht selbst abschaffen.

Schlicht an Peinlichkeit nicht zu überbieten war die diesjährige Preisverleihung.

Spätestens,  als der Silberne Bär für die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle an der Reihe war, entlarvte sie sich als eine Farce. Da fiel die Wahl auf ein achtjähriges Mädchen und damit auf die  jüngste Preisträgerin innerhalb der gesamten Festivalgeschichte: Sofía Otero  ist in dem spanischen Coming-of-Age Film „20 000 Species of Bees“ ein Transkind, genauer gesagt ein Junge, der sich wie ein Mädchen fühlt, was der Film aber nicht beglaubigt, sondern nur behauptet. Eine solche schauspielerische Leistung würde eine Achtjährige allerdings auch überfordern, weshalb es dringend geboten wäre, ein Mindestalter für den Darstellerpreis festzulegen. Oder soll demnächst wohl noch eine Vierjährige den Preis davon tragen, um einen neuen Rekord aufzustellen?

Nicht weniger befremdete, wie der Rumäne Radu Jude in seiner Rolle als Juror Drehbücher herabwürdigte, als er den entsprechenden Preis an den Produzenten von Angela Schanelecs Beitrag „Music“ übergab. Und dabei suggerierte, bedeutende Regisseure hätten solcher Vorlagen nie bedurft. Meint er damit auch Alfred Hitchcock, den Altmeister des Suspense? Der jedenfalls legte sämtliche Details einer Szene penibel fest, und war unter den Großen der Filmgeschichte mitnichten der Einzige. 

Tatsächlich hat es die Jury unter Kristen Stewart fertig gebracht, zur Krönung des Abends den Goldenen Bären an einen drittklassigen Dokumentarfilm zu vergeben, der mit sehr vielen Reportage-Elementen reichlich überholt und, pardon, langweilig wirkt, was – um Missverständnissen vorzubeugen – nichts mit den psychisch kranken Menschen zu tun hat, die sich vor der Kamera präsentieren.  

Nicht zuletzt der Filmwirtschaft sollten die Haare zu Berge stehen, steht doch zu bezweifeln, dass die Produktionen, die hier prämiert wurden, ein großes Publikum finden werden.

Aber solange sich die Branche mit großem Bohei zur Preisverleihung selbst feiert, obwohl es nichts mehr zu feiern gibt, wird sich wohl nichts ändern.

Kirsten Liese

 

 

 

 

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