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Kit Armstrong: Bachs Goldberg Variationen und ihre Vorläufer Live from the Concertgebouw Amsterdam, 13. März 2016 – Blu-ray UNITEL J.S. Bach: Goldberg Variations BWV988

19.10.2017 | dvd

Kit Armstrong: Bachs Goldberg Variationen und ihre Vorläufer

Live from the Concertgebouw Amsterdam, 13. März 2016 – Blu-ray UNITEL

J.S. Bach: Goldberg Variations BWV988

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Er sieht überhaupt nicht aus wie ein „Struwwelpeter“, doch für sein gleichnamiges Charakterstück für Violine und Klavier wurde Kit Armstrong dem dem Charlotte-V.-Bergen Preis der ASCAP Foundation ausgezeichnet. Legendenumwoben ist er schon jetzt, dieses Wunderkind, das mit fünf Jahren nicht nur zu komponieren begonnen hat, sondern auch Klavier zu spielen. Armstrong ist mit 13 Jahren von Alfred Brendel als Schüler angenommen worden, der ihn als „die größte musikalische Begabung, der ich je begegnet bin“ bezeichnet hat. Seinen Master in Mathematik hat der der heute gerade einmal 25-jährige an der Universität Paris VI so ganz nebstbei absolviert.

Die hier vorgestellte Blu-ray, eine wunderbar ruhige, ja einzigartig reife Interpretation nicht nur von Bachs berühmten Goldberg-Variationen, sonder auch von polyphoner Musik vor Bach ist Kit Armstrongs drittes Album nach der Debüt-CD „Bach-Ligeti-Armstrong“ und „Symphonic Scenes“ für Klavier mit Musik von Franz Liszt

Beobachtet man den schlanken, sehnig drahtigen, aber auch irgendwie zerbrechlich wirkenden Musiker aus Los Angeles auf dem riesigen Steinway in dieser Live Aufnahme aus dem Concertgebouw Amsterdam, so fallen sofort die immense metaphysische Konzentration und nach den ersten Takten ebenso ein quasi inneres Metronom auf. Armstrong beginnt sein Konzert mit „Hugh Ashton’s Ground“ von William Byrd. Es stammt aus der Sammlung „Lady Nevills Book“ für Virginal, einer damals weit verbreiteten Bauform der Cembalofamilie. Unmittelbar besticht, wie wichtig Armstrong der übergeordnete Bogen ist, der musikalische „Haupterzählstrang“, in den er die Verzierungen hineinhängt wie Girlanden auf ein stromleitendes Band. Langsam und bedächtig wählt er die Tempi, bisweilen scheint die Zeit still zu bleiben, ganz ohne nur einen Sekundenbruchteil lang an Spannung und inneren Zusammenhalt einbüßen zu müssen. Faszinierend, wie Armstrong aus dieser Grunddisposition heraus kleine Freiheiten modelliert, das polyphone Geäst durchsichtig und fein ziseliert wie „chinesische Grasschrift“. Ein klarer, aber stets elastischer Tonansatz sind sein Markenzeichen, die Kunst des präzisen Pedaleinsatzes versteht niemand besser als er. So werden bereits die jeweils sechs Variationen „Mein junges Leben hat ein End“ und „Erbarm dich mein, o Herre Gott“ von Pieterszoon Sweelinck sowie die 30 Variationen „Walsingham Bull“ von John Bull zu Paradebeispielen uneitlen, strukturbezogenen Klavierspiels. Dabei sind die traumwandlerische Musikalität des Vortrags, die spirituelle, ja kosmische Komponente seines Spiels das wahre Ereignis.

Das gilt genau so für den durch kanadischen Exzentriker Glenn Gould so berühmt gewordenen barocken Variationenzyklus von Johann Sebastian Bach, benannt nach dem russischen Gesandten am Dresdner Hof, Johann Gottlieb Goldberg. Armstrong beginnt die einleitende Aria völlig ruhig, aus dem Nichts kommend, sparsam geht er mit eigenen Duftmarken um. Viel wichtiger sind ihm das exakte Herausarbeiten der intimsten Modulationen der 30 Variationen, sowie die große übergeordnete dramaturgische Klammer all dieser „Allemanden, Couranten, Sarabanden, Giguen, Menuetten und anderen Galanterien“. Armstrongs Gesicht bewegt sich kaum, Emotionen flackern nur kurz und beiläufig auf, sind kaum ablesbar. Dafür bewegt sich sein Oberkörper geschmeidig zur Musik wie ein Schilfhalm im Wind, das Tänzerische und Tranceartige der genialen Komposition im Verlauf auch physisch verdeutlichend.

Die vorliegende Blu-ray legt somit Zeugnis ab über einen großen Konzertabend, der nicht durch virtuose Schaustellerei, sondern durch Verinnerlichung, wohlgesetzte Akzente und „zen-buddhistisches“ Fließen besticht.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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