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KAUNAS (Litauen): KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2022

12.03.2022 | REISE und KULTUR

KAUNAS (Litauen): KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2022

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Zusammenfluss von Memel und Neris. Foto: Robert Quitta

Kaunas (ausgesprochen: Koonas) ist die zweitgrösste Stadt Litauens und war (als Vilnius von Polen besetzt war) von 1920 bis 1940 sogar Hauptstadt des Landes. Irgendwie hat man es hier nie verwunden, wieder in die zweite Reihe zurückgestossen worden zu sein, und irgendwie betrachtet man sich hier immer noch als das eigentliche Zentrum Litauens. Heuer hat Kaunas zumindest die Genugtuung, wieder (kulturelle)Hauptstadt zu sein, und das (gemeinsam mit Esch-sur-Alzette in Luxemburg) gleich für ganz Europa.

Oberflächlich Reisende (diejenigen, die alle drei baltischen Staaten in drei Tagen abhaken), vermeinen, dass es hier – ausser einer nachgebauten mittelalterlichen Burg – nichts zu sehen gäbe. Das ist natürlich völliger Unsinn. Eine der überraschendsten und unerwartetsten Attraktionen ist eines der grössten noch existierenden geschlossenen Ensembles von modernistischen Bauten der Zwischenkriegszeit – gibts sonst nur noch in Brno oder Tel Aviv..

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Gemälde von Mikalojus Konstantinas Čiurlionis (1875-1911). Foto: Robert Quitta

Gleich vis-à-vis von diesem Viertel befindet sich ein weiteres Muss für jeden Besucher: das dem litauischen Maler Mikalojus Konstantinas Čiurlionis (1875-1911) gewidmete Museum. Ihr Berichterstatter gesteht gerne seine Ignoranz ein: noch nie von diesem „litauischen Van Gogh“ (wie ihn die Museumsdirektorin nennt) gehört zu haben. Aber der Rundgang durch den für ihn eigens errichteten Trakt (der fast sein Gesamtwerk beherbergt) ist ziemlich überwältigend. Denn die Bilder von Čiurlionis sind äusserst eigen, sowohl was die Sujets als auch was die Malweise angeht, und er hat eigentlich weder Vor-Bilder gehabt (am ehesten fühlt man sich an Rudolf Steiner erinnert) noch Nachahmer gefunden. Irgendwie ein auf die Erde gefallener Ausserirdischer. Čiulionis hat übrigens – Synästhet, der er war – auch Musik komponiert (Ausschnitte davon kann man in einem eigenen Saal anhören). Insgesamt also eine extrem faszinierende Begegnung, die man sich vornimmt, weiter zu vertiefen…

Im Čiurlionis-Museum ist auch eine der ambitioniertesten Ausstellungen des Kulturhauptstadtjahres zu sehen: „That which we do not remember “ des (uns von den Wiener Festwochen und Salzburger Festspielen bestens bekannten) Südafrikaners William Kentridge. Die Verbindung besteht darin, dass Kentridges Vorfahren aus Litauen stammen (und wie die meisten litauischen Juden eben nicht nach Nord – oder Südamerika, sondern nach Südafrika ausgewandert sind).

Im Herbst folgt eine grosse Retrospektive von Yoko Ono (sie ist klarerweise keine Litauerin, aber ihr Mentor und Galerist war einer).

Ein weiterer Schwerpunkt wird dem international nicht ganz so bekannten George Maciunas gelten – der aber immerhin die kunstgeschichtlich so bedeutende Fluxus-Bewegung mitbegründet hat.

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Freiheitsstraße mit St. Michaels-Kathedrale. Foto: Robert Quitta

Zwischen den Ausstellungsbesuchen kann man genüsslich auf der Freiheitsstrasse (Laisvės alėja), der längsten und breitesten Fussgängerzone Europas,  schlendern – einer Art Champs-Elysées für Fußgänger.

Hier befinden sich auch viiiiele Cafés und Restaurants, ganz auf der Höhe der Zeit (bio, vegan, neue litauische Küche) und für den Westeuropäer extrem billig (litauische Schnecken für 6€ etc.).

Auf der Freiheitsstrasse stehen auch das alte Postamt (mit einer Ausstellung über Modernismus), die sehr eindrucksvolle (ehemals orthodoxe), dem Erzengel Michael geweihte Kathedrale – und das Nationaltheater.

Hier hatten wir unser zweites einschneidendes Kulturerlebnis in Kaunas, denn hier lernten wir nach dem „litauischen Van Gogh“ auch den „litauischen Albert Camus“ kennen: Antanas Škena.

Dieser lebte von 1910 bis 1961), 1949 wanderte nach New York aus und ist eigentlich ein „One-Hit-Wonder“, denn im Prinzip hat er nur einen Roman geschrieben:  Balta drobulė (auf deutsch: „Das weisse Leintuch“). In diesem – mittlerweile zur Pflichtlektüre für litauische Schüler avancierten – Buch schildert er (in einer Art Joyce’schen „stream of consciousness“) seine Erfahrung als Liftboy in einem New Yorker Hotel.
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Ein Liftboy in New York. Foto: Nationaltheater Kaunas

Jonas Jurašas hat diesen litauischen Klassiker dramatisiert und auf die Bühne des Nationaltheaters gebracht. Und obwohl man als der Landessprache nicht Mächtiger – trotz englischer Übertitel – meistens nicht nur Aufzug sondern auch nur Bahnhof versteht, ist man doch von der schauspielerischen und inszenatorischen Qualität dieser Aufführung zutiefst beeindruckt.

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Denkmal für Perkunas, em Donnergott Litauens. Foto: Robert Quitta

Eine Visite in Kaunas, Kulturhauptstadt Europas 2022, ist also unter allen Aspekten nur zu empfehlen, zumal sie dank einer guten Versorgung mit der lokalen Fluglinie air baltic gar nicht so weit entfernt ist, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat.

Weitere Informationen zum Programm des Kulturhauptstadtjahres: www.kaunas.eu

Weitere Informationen zum Flugplan von Air Baltic: www.airbaltic.com

Robert Quitta, Kaunas

 

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