Ulrich Seidls Skandal-Film „Paradies: Liebe“ ante portas
Das Interview mit der zweiten Hauptdarstellerin INGE MAUX
„Seidl wird nie etwas erzwingen“
Ulrich Seidls Film „Paradies: Liebe“, bei den Festspielen in Cannes heftig diskutiert, wird am 30. November 2012 in den österreichischen Kinos anlaufen. Die Geschichte des weiblichen Sextourismus nach Kenia geht unter die Haut, weil Seidl bekanntlich weiter geht als jeder andere Filmemacher. Volkstheater-Schauspielerin Inge Maux spielt in dem Film die zweite Hauptrolle.
Renate Wagner hat mit ihr gesprochen.
Frau Maux, wie sind Sie zur Rolle der „Inge“ in Seidls Film „Paradies: Liebe“ gekommen – und wussten Sie, worauf Sie sich dabei einlassen?
Ich bin über die Agentur zum Casting gegangen wie viele andere auch. Seidl ist ja da sehr eigen, man soll ihm nichts Gelerntes vorspielen, sondern einfach vor seiner Handkamera improvisieren. Ich wusste, dass es um das Thema Sextourismus ging und habe eine Freundin, die das am eigenen Leib erlebt hat – sie hat sich mit einem Kenianer eingelassen, und das ist eine echte Betrugsgeschichte geworden, die sie ein Vermögen gekostet hat. Das habe ich erzählt, als ob es mir passiert wäre, und Seidl war fasziniert von diesen Erfahrungen aus erster Hand. Frauen, die sich in die „Beach Boys“ da unten verlieben, laufen Gefahr, einfach blind zu werden.
Nun zeigt Hauptfigur Teresa die tragische Seite eines solchen Sex-Kenia-Urlaubs, Sie hingegen die sozusagen fröhliche, entspannte…
Ja, vor allem die realistische. Meine Figur ist sich mit sich selbst im klaren, was da vorgeht. Sie hat diese schwarzen Jungs gern, sie will Sex, sie will sich spüren, das bekommt sie. Aber sie weiß auch, dass sie damit eine „Sugar Mama“ ist, die den Preis in Geld zahlen muss, dann sind alle zufrieden. Teresa sucht romantische Liebe, und darauf sind diese Boys spezialisiert, sie spielen sie so gut vor, dass man darauf hereinfallen kann – und entsprechend verletzt wird.
Stimmt es wirklich, dass es bei Seidl kein Drehbuch gibt und die Schauspieler alles improvisieren müssen?
Es gibt ein Konzept und einen Ablauf, und Seidl führt vor dem Dreh intensive Gespräche mit den einzelnen Schauspielern. Und dann lässt er improvisieren, bis er das bekommt, was er will. Diese Art zu arbeiten ist nicht für jeden. Ich persönlich finde es sehr spannend – aber es geht unter die Haut. Nach so einem Gespräch bin ich die ganze Nacht wach gelegen, um mir Dinge auszudenken. Das größte Kompliment für mich war dann, wenn ich Seidl mit etwas überraschen konnte und er zu mir sagte: „Frau Maux, wo nehmen Sie das nur her?“
Nun müssen Sie ja in dem Film nicht so weit gehen wie die Hauptdarstellerin, die nicht nur die Kleider ablegt, sondern auch Sexszenen spielt, die mit anzusehen fast peinlich ist. Aber auch Sie sind in der Szene beteiligt, wo die Freundinnen Teresa einen schwarzen Boy „zum Geburtstag“ schenken und sich dann alle mit dem nackten jungen Mann vergnügen. Wie geht man damit um?
Nun, man weiß, wer Ulrich Seidl ist. Wenn man nicht bereit ist, sehr weit zu gehen, lässt man sich eben nicht darauf ein. Diese Szene war zwar komisch, aber doch auch sehr grausam – wie diese weißen Frauen, die zuhause bei ihren Männern nichts gelten, sich einmal aufführen, wenn sie sozusagen die Macht haben. Man kann sich da nur mit der Idee beruhigen, dass hier nie Unschuldige beteiligt sind – denn ein Beach Boy, der sich auf so etwas einlässt, bekommt sein Geld und weiß, was ihn erwartet – so wie die „Mädchen aus der Torte“, die man Junggesellen am Polterabend präsentiert. Allerdings war unser Boy ein junger Schauspieler aus Nairobi, und ich habe vorher mit ihm gesprochen und ihn gebeten, sich nicht zu fürchten und nicht verletzt zu fühlen bei dem, was wir mit ihm tun würden…
Und wenn Sie den Film heute so sehen, finden Sie nicht, dass er in seinem Voyeurismus zu weit geht?
Sehen Sie, man muss Seidl als Seidl akzeptieren. Ich habe ihn ziemlich gut kennen gelernt, und er ist nicht nur ein ganz genauer und kritischer, sondern ich würde auch sagen „ethischer“ Künstler, tatsächlich. Wir haben auch lange Gespräche über sein Filmemachen an sich geführt. Er will verstören, irritieren, erschrecken, aufrütteln, das Grauen im Alltag zeigen, nicht die geglätte Version der Welt. Wenn Haneke die Banalität des Bösen aufzeigt, sind es bei Seidl wohl die Schrecknisse im Banalen. Und da wollte ich absolut mit ihm gehen, die Zuschauer aufrütteln, indem man zeigt, wie weit Menschen eigentlich gehen können. Das ist der Sinn seiner Filme, dazu muss man als Darsteller bereit sein, sonst soll man sich gar nicht darauf einlassen.
Sie sind für die amüsante, auch groteske Seite des Films zuständig, ihre Kollegin hat den puren Sex offen ausgespielt. Haben Sie darüber gesprochen, wie sie sich dabei fühlt?
Margarethe Tiesel ist ein ganz offener Mensch, und eines ist wichtig und das muss man wissen: Seidl gab ihr die Gewissheit, dass sie nichts machen muss, was sie nicht will. Seidl wird nie etwas erzwingen. Und das ist für einen Schauspieler dann natürlich eine Garantie.
Ich habe das Gefühl, dass Seidl in diesem Film die „Sugar Mamas“, die sexgierigen weißen Frauen, viel deutlicher zeichnet als ihren Gegenpol, die „Beach Boys“. Vielleicht aus politischer Korrektheit? Die sind ja keine Unschuldslämmer, sondern absolut berechnende, geldgierige Geschöpfe.
Natürlich, aber solange der Sextourismus als Geschäft betrieben wird, sollen beide etwas davon haben. Für die Männer dort unten ist das eine Einnahmequelle, mit der sie rechnen. Ich habe bei den Dreharbeiten durchaus meine Feldstudien mit den „echten“ Beach Boys gemacht, die sind sehr gut in ihrem Job, wissen es und machen sich auch über die dummen weißen Frauen lustig: Sie haben sich ihre Sprüche eingelernt, sie tauschen untereinander ihre Erfahrungen aus, geben sich Ezzes, was wie und wo funktioniert, sie wissen genau, wie sie die weißen Frauen „anmachen“ – und die wenigsten von denen sind glücklicherweise so naiv wie Teresa in dem Film. Die ist ja eine arme Haut, meine Figur ist das nicht. Aber Seidl hat das Problem durchaus von beiden Seiten gesehen, und das Thema ist für ihn noch nicht gegessen: Er will noch eine Dokumentation über diese „Beach Boys“ drehen.
Es ist schade, dass Ihre Figur als erfrischender Gegenpol zu Teresas Tragik – die man schwer nachvollziehen kann, denn so dumm darf eine Frau eigentlich nicht sein – so wenig vorkommt.
Ja, leider. Wir haben viel mehr Szenen gedreht, schon am Flughafen bei der Ankunft, und auch zwischendurch Gespräche zwischen ihr und mir, wo ich sie tröste, aber da ist sehr, sehr viel am Schneidetisch weggefallen. Es ist natürlich schade, auch um die viele Arbeit. Aber ich verstehe, dass Seidl sich einfach auf seine Hauptfigur konzentrieren wollte, das ist seine Entscheidung für diesen Film.
„Paradies: Liebe“ ab 30. November in den österreichischen Kinos