INFOS DES TAGES (DIENSTAG, 17.JUNI 2025)
HEUTE Stream aus der Wiener Staatsoper: DER ROSENKAVALIER
https://play.wiener-staatsoper.at/event/88e39220-5fb5-4a53-82b1-caaf11f12e0d

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Ich streike!
Ich kann mir selbst nicht nachsagen, dass ich nicht grenzenlos neugierig wäre, Zwar laufe ich nicht mehr grundsätzlich in alles, was die Wiener Theaterszene bietet (so wie früher in meinen jüngeren Tagen), aber man muss mich schon sehr abschrecken, um mich von einem Theater- oder Opernbesuch abzuhalten. Wie es dem MusikTheater an der Wien mit einer Oper gelungen ist, die sich „Voice Killers“ nennt.
Allein die Tatsache, dass schon der Titel impliziert, wie die Musik eines solchen Werks klingen würde, wäre nicht genug gewesen. Aber als ich las, dass es um einen Serienmörder geht, der junge Frauen ihrer Stimmen wegen umbringt, da war bei mir der Ofen aus. Nein, danke, das will ich nicht sehen. Und als ich bei Kollegen Troger, der so bewunderns- und dankenswert unterwegs ist, las, dass das Haus bei der Vorstellung halb leer war… da dachte ich, dass es anderen Leuten bei der Ankündigung vielleicht so ging wie mir. Ich streike!
Bei den Festwochen habe ich oft gestreikt (und war dann froh darüber – nein, eine vierstündige französische Version eines Thomas-Bernhard-Romans habe ich mir erst gar nicht angetan, und ich wollte auch nicht dabei sein, wenn eine Schauspielerin Tag und Nacht lang in Endlos-Schleife immer dieselbe Szene spielt) – aber was ich gesehen habe, war auch des Interesses nicht wert.
Milo Raus Kommentar (anders kann man es nicht nennen) zu Jelineks „Burgtheater“-Stück. Ein großer Teil des Abends besteht darin, dass die Schauspieler über die Figuren reflektieren, die sie spielen. Da überlegt sich Mavie Hörbiger mit betroffener Miene, ob ihr Großvater Paul Hörbiger, den sie verkörpert (das ist doch Familiensinn!), sich nicht versündigt hat, indem er in der Nazi-Zeit in so vielen Unterhaltungsfilmen mitwirkte… Den Vogel aber schoß Caroline Peters (Darstellerin von Attila Hörbiger) ab. Sie hat vor 40 Jahren als junges Mädchen in Bochum die Uraufführung von Jelineks „Burgtheater“ gesehen. „Und damals habe ich den Nationalsozialismus verstanden.“ Was für ein aufgewecktes Mädchen. Wie viel Blödsinn muss man sich als Zuschauer eigentlich bieten lassen?
Milo Raus „Die Seherin“ – seine perversen Hinrichtungs-Phantasien dem Publikum penetrant aufs Auge gedrückt.
Satoko Ichiharas „Kitty“ – endloser Beschwerde-Feminismus auf Japanisch.
Kurdwin Ayubs „Weiße Witwe“ – alberner Orientalismus, der nichts sagt und den niemand braucht.
Guillermo Cacaces „Gaviota“ – was bringt es mir, wenn fünf Frauen am Tisch sitzen und Texte aus Tschechows „Möwe“ lesen?
Wu Tsangs „Robin Hood“ – herzig, angeberisch belehrend und eigentlich völlig irrelevant.
Marguerite Duras steht mir noch bevor. Vielleicht geschieht ein Wunder.
Ich streike jetzt mindestens einen Sommer lang (vom Theatersommer nehme ich minimalst etwas mit). Dazwischen kann man ja lesen und gelegentlich ins Kino gehen. Es muss nicht immer Theater sein.
Renate Wagner
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Erich Wirl gestorben. Ein Nachruf von Renate Wagner
Er hatte noch so viel vor

Erich Wirl hat letzten Dezember inmitten seines riesigen Freundeskreises seinen 80. Geburtstag gefeiert, aber das bremste ihn nicht im geringsten ein. Noch immer fuhr er mehrmals in der Woche von seiner Wohnung in Mauer zur Staatsoper, um Sänger zu erwischen, die zur Probe gingen oder von der Probe kamen, um sie um Autogramme zu bitten. Besonders erfreulich fiel für ihn die letzte Begegnung mit Roberto Alagna aus (anlässlich von dessen Auftreten in „Tosca“), der ihm freundlich Dutzende von Bildern unterschrieb und wie mit einem alten Freund mit ihm plauderte. Denn Erich kannte die meisten Sänger und auch Wiener Schauspieler sozusagen „ein Leben lang“ – mehr als sechs Jahrzehnte.
Er war ein etwa 15jähriger Bub, der damals das Drucker-Handwerk erlernte, als er begann, Autogramme zu sammeln. Damals war sogar Ella Fitzgerald in Wien! Und Filmschauspielerin Gerlinde Locker gehörte zu den Ersten, die er bei einer Stadthallen-Veranstaltung um ihre Unterschrift bat. Damals traf er auch seinen in der Folge lebenslangen Freund Bernhard Wagner, ein wenig älter als er und später als Jus-Student flexibler in der Zeiteinteilung als Erich, der immer arbeiten musste. Immerhin brachte er es im Lauf des Lebens zum Technischen Redakteur bei der Kronen Zeitung
Aber abgesehen vom Privatleben – erste Gattin, zwei Söhne, ein heiß geliebter Enkelsohn, seit über 20 Jahren glücklich verheiratet mit Barbara (der Schwester von Opernsängerin Gabriele Fontana und Schwägerin von Peter Weber) – blieben Kunst, Kultur, das Sammeln von Autogrammen und die Begegnung mit Künstlern das Um und Auf seines Lebens. In der Oper haben Bernhard und er auch statiert – von Bernhard als martialischem Heiducken, der beim Einmarsch des „Rosenkavaliers“ den Säbel zieht, gibt es sogar Szenenfotos… Erich blieb der Oper bis zuletzt treu, nicht nur als Besucher, sondern auch als Volk im ersten Akt „Tosca“, wo er nach und nach viele Kostüme trug.

Aber sein Leben fand vor der Bühne und vor den Theatern statt. Als Hans Moser in einer Probenpause zur „Höllenangst“ in der Josefstadt die beiden Buben sah, lud er sie ein, sich zu ihm auf die Bank zu setzen. „Und er redete mit uns so lieb und vernünftig, als wären wir nicht halbe Kinder, sondern Erwachsene“, hat sich Erich immer gerührt an diese Szene erinnert.
Wenn jemand wie er – gepflegt, diskret, klug, informiert – Künstlern jahrelang begegnet, sie in ihrer Karriere begleitet, ergeben sich echte Beziehungen. Erich wollte noch jene zur von ihm so bewunderten Christa Ludwig aufschreiben, die ihn mehrmals in ihr Haus nach Klosterneuburg einlud. Viele Künstler wollten auch Bilder aus seiner Sammlung – Jonas Kaufmann erbat ein Bild von Franco Corelli…
Erich konnte stundenlang erzählen. Ein Buch daraus machen? „Wen interessiert das schon“, meinte er. Aber ein paar Artikel für den Online Merker hätte er schon noch gern geschrieben, zu gegebenem Anlass, wie zuletzt beim Tod von Otto Schenk und der Erinnerung an Paula Wessely. Das Haus Hofmaannsthal verdankte seiner Sammlung wunderbare Ausstellungen zu einzelnen Sängerpersönlichkeiten.

Es sind ein paar Hunderttausend unterschriebene Autogrammfotos in mehr als sechseinhalb Jahrzehnten zusammen gekommen. Und so begleitete er Karrieren – O.W.Fischer war von der Sammlung begeistert und erbat für sich Bilder aus seiner eigenen Frühzeit, die er selbst nicht hatte. Schauspieler und Sänger kannten Erich Wirl – als er die Opernfreunde dazu brachte, eine Reise zur Grange Opera zu organisieren, wo Bryn Terfel auftrat, begrüßte ihn dieser wie einen alten Freund…
Erich war immer in Bewegung. Er hatte den Sommer „kulturell“ schon vorgeplant – eine Woche in Reichenau, mit allen fünf Produktionen, eine Woche in Salzburg, wie immer, Tradition seit Jahren, Opern und Konzerte rund um den 15. August, auch die Karten für Gars hatte er schon (und die Einladung von Clemens Unterreiner auf den dort ausgeschenkten Wein). Die Karten für die Josefstadt waren dank Josefstadt-Karte schon für die erste Hälfte der Saison gebucht und abgeholt, zahllose Staatsopern-Karten warteten nur auf die Bestätigung. Erich hatte noch viel vor.
Und nun ist alles zu Ende von einer Stunde zur anderen. Montag Morgen nicht mehr aus dem Schlaf erwacht. „Ein schöner Tod“, wie man zu sagen pflegt. Wie ich Erich kenne, hätte er lieber noch ein paar Jahre schönen Lebens gehabt.
Renate Wagner
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Stimmgewaltige Sternenfreundschaft: Günther Groissböck und Robert Holl im Schubert Schloss Atzenbrugg
In ihrem Fach gehören Robert Holl und Günther Groissböck zur absoluten Spitzenriege – auf Schloss Atzenbrugg gaben sie am Sonntag, 15.6., ihren ersten gemeinsamen Liederabend mit Stephan Matthias Lademann am Klavier.

Groissböck, Lademann, Holl. Foto: Schubertiade Atzenbrugg/Richard Marschik
Schubertiaden-Intendantin Ildiko Raimondi sprach zu Recht von einer Sternstunde für das Schubert Schloss Atzenbrugg, gemeinsam mit Veranstalter Gery Keszler, Hoteliers-Grande Dame Elisabeth Gürtler, Unternehmerin Karin Meier-Martetschläger, Bürgermeisterin Beate Jilch, Vizebürgermeister Franz Buchberger und Edith Mandl ließ man den Abend noch lange unter den Linden ausklingen.

Groissböck, Holl, Lademann, Raimondi, Keszler, Jilch, Mandl. Foto: Schubertiade Atzenbrugg/Richard Marschik
Stimmgewaltige Sternenfreundschaft: Spitzen-Bässe Günther Groissböck und Robert Holl im Schubert Schloss Atzenbrugg
In ihrem Fach gehören Robert Holl und Günther Groissböck zur absoluten Spitzenriege – auf Schloss Atzenbrugg gaben sie am Sonntag, 15.6., ihren ersten gemeinsamen Liederabend. Es gibt Verbindungen, die im Himmel beschlossen und auf Erden vollzogen werden. Dieses Zitat passt nicht nur auf die gestern im ausverkauften Schubert Schloss Atzenbrugg besungene Sternenfreundschaft zwischen Franz Schubert und dem Dichter Johann Mayrhofer. Bei ausverkauftem Haus stellten Weltklasse-Bass Günther Groissböck, sein Lehrer, Vorbild und Schubert-Experte Robert Holl sowie Stephan Matthias Lademann am Bösendorfer-Flügel eindrucksvoll unter Beweis, das Kunst nicht allein von Kunstfertigkeit kommt – selbst, wenn sie auf höchstem Niveau dargeboten wird: Die Chemie zwischen den Künstlern zog das Publikum bei den heiteren und ernsthaften Momenten in den Bann, es flossen Tränen der Ergriffenheit und der Applaus wollte kein Ende nehmen. Holl (78) und Groissböck (48) kennen einander seit 27 Jahren, diese magische Freundschaft wurde in Musik übersetzt, die noch lange in den Herzen der Gäste nachklingen wird.
Sternstunde für das Schubert Schloss Atzenbrugg
Schubertiaden-Intendantin Ildiko Raimondi sprach zu Recht von einer Sternstunde für das Schubert Schloss Atzenbrugg, gemeinsam mit Veranstalter Gery Keszler, Hoteliers-Grande Dame Elisabeth Gürtler,Unternehmerin Karin Meier-Martetschläger, Bürgermeisterin Beate Jilch, Vizebürgermeister Franz Buchberger und Edith Mandl, treibende Kraft hinter dem Schubert Schloss ließ man den Abend unter den Linden ausklingen. Wer mehr über Schubert & Mayrhofer erfahren möchte, dem sei Robert Holls Youtube-Videoreihe „Mein Vermächtnis“ wärmstens an Herz gelegt.
Günther Groissböck 1976 in Waidhofen an der Ybbs (Mostviertel) geboren, wurde sein Stimmpotenzial 1996 bei einer Party-Einlage erkannt. Ab 1998 studierte er bei Robert Holl, singt die wichtigsten Basspartien an praktisch allen großen Opernhäusern der Welt: Met, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper, Opernhaus Zürich, das Royal Opera House Covent Garden, De Nationale Opera in Amsterdam, sowie die Deutsche Oper und die Staatsoper
Unter den Linden Berlin. 2002 debütierte er bei den Salzburger Festspielen, 2014 feierte er dort sein viel beachtetes Rollendebüt als Ochs im „Rosenkavalier“ in der Regie von Harry Kupfer.
Robert Holl Der niederländische Bass, geboren 1947 in Rotterdam, ist einer der großen Liedinterpreten und Konzertsänger. Im Opernfach sang er die großen Wagner-Partien Hans Sachs („Die Meistersinger von Nürnberg“), König Marke („Tristan und Isolde“ oder Gurnemanz („Parsifal“) u.a. bei den Bayreuther Festspielen, an der Wiener Staatsoper, der Deutschen Oper und der Staatsoper Unter den Linden Berlin. Betätigte sich auch als Veranstalter von Schubertiaden und unterstützte u.a. mit Benefizkonzerten die Renovierung des Schubert-Schlosses Atzenbrugg. Ab 1998 Professor für Lied und Oratorium an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien; komponiert Lieder und Klavierstücke; Sammler zahlreicher Originalquellen zu Franz Schubert.
Vor der Sommerpause: Franz Schuh, Ildiko Raimondi und Andrea Linsbauer
Für die letzte Schubertiade vor der Sommerpause gibt es nur mehr wenige Tickets: „MUSIK-MISUK, Bekenntnisse eines Unmusikalischen“ am 29. Juni mit Schriftsteller und Essayist Franz Schuh, Ildiko Raimondi (Sopran) und Andrea Linsbauer (Klavier) wird ein weiteres Highlight des sorgsam kuratieren Programms der Intendantin. Ab September warten noch weitere Veranstaltungen im Schubert Schloss Atzenbrugg, darunter ein Serenadenkonzert des Landes Niederösterreichs mit Julian Pregardien (Tenor), Harriet Krijgh (Violoncello) und Daniel Heide (Klavier) sowie zwei Schubertiaden: Shootingstar Domenica Radlmaier (Sopran) und Stefan Birnbaum (Klavier) präsentieren am 14. September die schönsten Volkslied-Neubearbeitungen des Liederfürsten und ein Best of Brahms und Britten, am 28. September wartet mit Grammy Award-Gewinner Herbert Lippert (Tenor), dem national und international erfolgreichen JESS TRIO Wien und Komponist & Philosoph Rainer Bischof ein fantastisches Finale.
Schloss & Museum Sitzplatzreservierung Schubertiade info@schubertschloss.at 02275/5234
Mit musikalischen Grüßen, Janina Lebiszczak
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BERLIN / Kühlhaus – „INTONATIONS“ Jerusalem Chamber Music Festival in Berlin; 12.-15.6.2025
Sommerliche Weltklasse: Elena Bashkirova & Friends mit einem abwechslungsreichen Programm rund um das Format Quintett

Foto: Dr.Ingobert Waltenberger
Die russische Pianistin Elena Bashkirova gründete 2012 als Berliner Pendant zum seit 1998 bestehenden Jerusalem International Chamber Music Festival den Berliner Ableger „Intonations“. Zehn Jahre lang fand das exquisite, auf nationale Vielfalt und unterschiedliche Karrierestadien der Beteiligten setzende Festival im Jüdischen Museum Berlin statt. 2023 übersiedelte es in den dreistöckigen Kubus des 1901 von der Hamburger Gesellschaft für Markthallen und Kühlhäuser errichteten Kühlhauses Berlin. Die Akustik in dem nach oben offenen, fensterlosen Industrieraum mit Galerien und nackten Stahlbetonträgern ist einzigartig, wirkt sie doch wie ein natürlicher Verstärker des Klangs, ohne hallig zu wirken. Außerdem fühlen sich die Temperaturen auch ohne Klimaanlage bei hochsommerlicher Hitze stets moderat an. Das in blau-fluoreszierende Licht getauchte Ambiente trägt dazu bei, sofort abschalten zu können und bremst noch dazu die grassierende Selfie-itis.
Sechs große Konzerte waren es 2025, die das Quintett, sei es nur mit Streichern oder kombiniert mit Klavier oder Bläsern, in den Mittelpunkt stellten. Eine ansehnliche Schar an Musikern kam für ein verlängertes Wochenende zusammen, um diese Kunstform zu feiern, wobei es am 13. und 14. jeweils vor dem Abendprogramm zum ersten Mal noch „Extrastunden“ um 18h gab.

Martina Gedeck, Elena Bashkirova. Foto: Dr.Ingobert Waltenberger
Ich habe beide besucht und sie alleine wären schon alle Mühe wert gewesen. Mit Richard Strauss‘ „Enoch Arden – Melodram, Op. 38“, aufwühlend lebendig rezitiert von der Schauspielerin Martina Gedeck und instrumental untermalt von der feinfühlig am Klavier kommentierenden Elena Bashkirova, gab es eine Rarität zu erleben (bzw. zu entdecken, allen Interessierten kann die Aufnahme mit Bruno Ganz und Kirill Gerstein empfehlen), die unmittelbar unter die Haut ging
Die teils improvisierte Lied-Lyrik-Performance im Rahmen des Projekts „Liedstadt“ (mit Musik u.a. von Ruth Schönthal, Schubert und Ravel) des für mich besten lyrischen Tenors der Gegenwart, Julian Prégardien, gemeinsam mit der Weimarer Gitarristin Anne Haasch sowie dem Pianisten Daniel Gerzenberg bescherten eine kleine Zeit an musikalisch eindringlicher, in Elegie durchlaufener Wanderschaft nach dem Motto „Lebendig in Erinnerung denken“. Prégardiens edler Tenor flutete sul fiato in schwebenden Piani bei Franz Schuberts nach innen gekehrtem „Nacht und Träume“.
Das Eröffnungskonzert am 12.6. abends startete mit Mozarts „Adagio und Rondo für Glass Harmonica“ KV 617. Elena Bashkirova, die sardische Flötistin Silvia Careddu, die Südspanierin Cristina Gómez Godoy, seit 2013 Solo-Oboistin der Staatskapelle Berlin, der prominente Bratschist Razvan Popovici, selbst Leiter des Chiemgauer Musikfrühlings in Traunstein, der Kammermusikreihe “Pèlerinages” in München und Intendant des Kammermusikfestivals “SoNoRo” in Bukarest, und der in Bregenz geborene Deutsche Grammophon Überflieger Kian Soltani (Cello) sorgten für ein alle Lyrismen der Musik in federleichter Eleganz auskostendes Musikerlebnis.
In Paul Hindemiths fünfsätziger „Kleiner Kammermusik“, bei der zu Silvia Careddu und Cristina Gómez Godoy der junge litauische Klarinettist Žilvinas Brazauskas, Mor Biron (langjähriger Fagottist bei den Berliner Philharmonikern, unterrichtet an der Barenboim-Said Akademie und ist Mitglied im West-Eastern-Divan Orchestra) und der Barenboim-Said Akademie Absolvent Ben Goldscheider am Horn stießen, bot der spielerisch-übermütige Ansatz des Ensembles für die in eine ironische Sachlichkeit kleidenden barocken Tanzrhythmen mit perkussivem Finale nichts weniger als unbeschwert-vergnügliche Unterhaltung.

Elena Bashkirova und Kian Soltani. Foto: Dr.Ingobert Waltenberger
Mozarts frühromantisch angehauchtes, opernquirliges Quintett für Klavier und Bläser in Es-Dur, KV 452 (Bashkirova, Gómez-Godoy, Brazauskas, Biron, Goldscheider) glänzte in burschikos empfindsamer Manier.
Die Sopranistin Dorothea Röschmann beeindruckte als Solistin bei ihrem Debüt von Ottorino Respighis Poemetto lirico „Il Tramonto“ op. 101 („Der Sonnenuntergang“) nach Versen von Percy Bysshe Shelley, mit hochdramatischer Attacke, großer Wortdeutlichkeit und vollkommener erzählerischer Verinnerlichung. Bei dieser von einem Streichquartett begleiteten Ballade geht es um ein junges Liebespaar, das gemeinsam den Sonnenuntergang erleben will. Nach dem plötzlichen Tod des Mannes wandelt Isabella verzagt auf einsamen Wegen, ein schicksalsgetrieben weiblicher Gegenpart zu Schuberts Müllerburschen. Nur noch ein Wunsch erfüllt ihr Herz: Auf ihrem Grabstein möge der sehnsuchtsvoll erwartete „Frieden“ eingemeißelt sein. Fedor Rudin, französisch-russischer Geiger, Enkel des russischen Komponisten Edison Denissov, seit 2019 Konzertmeister des Wiener Staatsopernorchesters und der Wiener Philharmoniker, Madeleine Caruzzo, Geigerin bei den Berliner Philharmonikern, Joaquin Riquelma García, spanischer Solobratschist und Mitglied der Berliner Philharmoniker und Kian Soltani (Cello) begleiteten den glühenden vokalen Vortrag aus schillerndem Flimmern in dekadenter fin-de-siècle Atmosphäre.
Den kammermusikalischen Höhepunkt und Abschluss des Eröffnungsabends bildete das Klavierquintett in f-Moll, Op. 34 von Johannes Brahms (Sommer 1864). Diesmal war Fabian Müller, einer der brillantesten deutschen Pianisten der jüngeren Generation und „Berlin Classics“ Star, der Solist. Gemeinsam mit Fedor Rudin (Violine), der Geigerin Kathrin Rabus, bis 2023 – und das 34 Jahre lang – 1. Konzertmeisterin der NDR-Radiophilharmonie, dem temperamentvollen französischen Bratschisten Adrian le Marca und dem in fabelhafter Spiellaune disponierten Kian Soltani (Cello) entzückten sie mit einer Brahms-Sternstunde und rissen das Publikum zu Ovationen hin. Die Musiker demonstrierten in den thematischen Durchführungen eine kinoreife Anschaulichkeit, sinfonisch elektrisierend, wogend im Chiaroscuro-launigen Farbenrausch wie ein regengepeitschtes Getreidefeld im Herbstwind. Die finale Stretta im Sechsachtel-Takt strotzte vor Vitalität und rhythmischer Verve.
Das zweite von mir besuchte Konzert am 14.6. bot eine erhellende programmatische Gegenüberstellung von Antonín Dvoráks Streichquintett Nr. 2 in G-Dur, Op. 77 mit dem spätromantischen Klavierquintett in C-Dur von Béla Bartók. Bedauerlicherweise resultierte aus der spezifischen Zusammensetzung bei Dvorák ein nur sehr eingeschränkt positives Erlebnis. Die Geigerin Diana Tishchenko spielte mit vibratoarmen schneidendem Ton und klang ganz nach Shostakovich-artiger Stahlgewittermanier und nicht nach „Böhmens Hain und Flur“. Jede und jeder der anderen vier (Mohamed Hiber, Violine, Sindy Mohamed Bratsche, Ivan Karizna Cello und Nabil Shehata Kontrabass) zeigten sich zwar in top technischer Form, aber es ergab kein Miteinander, kein gemeinsames Atmen und agogisches Wogen. Und oftmals wurden sie durch den scharfen ersten Geigenton gnadenlos überdeckt. Da hätte doch schon jemand bei den Proben auf die mangelnde klangliche Balance aufmerksam werden müssen. Dabei haben vor allem der immens talentierte Franzose Mohamed Hiber, seit 2019 Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra und Stipendiat der Anne-Sophie Mutter Stiftung als auch der ebenfalls französische, aus jeder Pore seines Wesens Musik exhalierende Cellist Ivan Karizna auf seinem edeldunklen Tassini-Cello von 1760, „ex Paul Tortelier“ mit wunderschön modellierten sanglichen Tönen mehr als aufhorchen lassen.
Kalt und warm. Ganz anders gestaltete sich die einfach himmlische, von einem Sternenregen geküsste Wiedergabe von Béla Bartoks Klavierquintett in C-Dur aus 1903/04. Der 23-jährige Bartók hatte das Werk eigentlich für sich selbst als Klaviervirtuosen geschrieben. Dass bei diesem immens anspruchsvollen Werk Brahms und der von ihm praktizierte ungarische Stil (besonders dessen Klavierquintett in f-Moll, op. 34) Pate standen ist evident. Dazu gesellen sich Einflüsse von Liszt, Richard Strauss und César Franck. Bei alldem muss gesagt werden, dass das Ergebnis ein überaus Bekömmliches ist und in keiner Weise den späteren experimentellen Expressionisten erahnen lässt.
Zur trefflichen Ausführung bedarf es fünfer Erzmusikanten in beschwingter Geberlaune. Chromatischer Walzer, Feentanz, Rhapsodisches, am Ende ein rasantes Fugato und eine Stretta geben Gelegenheit, sich bei diesem jugendlich überschwänglichen Stück an den jeweiligen Instrumenten auszutoben, freilich in zusammen erfühltem Rubato, rhythmischer Präzision und romantisch aufgepeitschtem Temperament. Und genau das war an diesem Abend beispielhaft zu erleben. So bitten wir die fantastische bulgarische Pianistin Plamena Mangova, die bewunderungswürdige Mihaela Martin, Primaria des „Michelangelo String Quartet“, mit ihrem sinnlich runden Geigenton, die deutsch-russische zweite Violinistin Alissa Margulis, und wieder Razvan Popovici an der Bratsche und Ivan Karizna (Cello) vor den Vorhang. Was für ein lange nachwirkendes Erlebnis.

Foto: Dr.Ingobert Waltenberger
Das Konzept, überwiegend die besten der besten der Klassikwelt mit aufstrebenden, aber schon bewiesen exzellierenden Instrumentalisten in einem Festival nach einem programmatischen Ansatz zu mischen, mag zwar nicht neu sein, erhält aber durch den spezifischen Berliner Genius loci, dem etwa der Auftritt von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker zu verdanken ist, einen ganz besonderen Charakter. Und natürlich ist auch der künstlerischen Leitung der charismatischen Pianistin Elena Bashkirova zu danken, die wie Daniel Barenboim beim West-Eastern Divan Orchestra ganz auf nationale Durchmischung und damit ein weiteres Mal auf ein Zeichen des möglichen Miteinander setzt. Die dringliche Aktualität dieses Anliegens ist unübersehbar.
Fotos mit Elena Bashkirova und Kian Soltani, Elena Bashkirova und Martina Gedeck sowie Ensembles: Ingo Waltenberger
Dr. Ingobert Waltenberger

