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IHR WERDET EUCH NOCH WUNDERN

05.06.2013 | FILM/TV

Ab 7. Juni 2013 in den österreichischen Kinos
IHR WERDET EUCH NOCH WUNDERN
Vous n’avez encore rien vu / Frankreich / 2012
Regie: Alain Resnais
Mit: Pierre Arditi, Sabine Azema, Michel Piccoli, Lambert Wilson u.a.

Es gab einmal einen französischen Autor namens Jean Anouilh (1910 – 1987), der heute so gut wie völlig vergessen ist, aber in seiner großen Zeit, den vierziger und fünfziger Jahren, wahrlich Dutzende von Erfolgsstücken schrieb, die auch im deutschen Sprachraum viel gespielt wurden – in Wien war das Theater in der Josefstadt eine wahre Anouilh-Hochburg. Wie viele, die so perfekt in ihre Zeit passten, hat die Zeit auch Anouilh überholt.

Aber offenbar trauern nicht nur sentimentale Theaterbesucher diesen unglaublich „well made plays“ von Anouilh nach, die so herrliches Schauspielerfutter waren und so viel vom „Theater“ verstanden. Auch ein weltberühmter Regisseur wie Alain Resnais, der mittlerweile über 90 (!) ist und mit Filmen wie „Hiroshima, mon amour“, „Letztes Jahr in Marienbad“ oder „Providence“ Filmgeschichte schrieb, hat – vielleicht als seinen eigenen Abgesang – eine letzte große Hommage auf Jean Anouilh gedreht und sich gar nicht den Kopf darüber zerbrochen, dass er damit eigentlich im Kino Theater macht. Er wollte offenbar den Reiz von diesen Stücken und Dialogen beschwören – und das ist ihm voll gelungen. Wenn auch nur für ein ganz winziges Segment von Kinobesuchern. Die, je besser sie sich an Anouilh erinnern, umso mehr Vergnügen an dem Gebotenen haben werden.

Im Grunde bedient sich Resnais zweier Stücke des Autors. Das eine, „Cher Antoine“, gehört zu dessen späten Werken, das nicht mehr so populär wurde, aber eine klassische Situation reizvoll variiert – wie etwa auch in den „Zehn kleinen Negerlein“ der Agatha Christie, wird eine Handvoll Menschen unter einem Vorwand auf einem Schloss zusammen geholt. Hier geht es um den (angeblichen) Tod des Schriftstellers Antoine, der seine ehemaligen Freunde, alles Schauspieler, zu seinem Gedenken einlädt. Von einem geheimnisvollen Butler empfangen, versammeln sie sich in einer großen Halle – und bekommen per Video eine ganz moderne Version von dessen (Antoines) Stück „Eurydice“ vorgesetzt, in dem sie alle einmal gespielt haben.

„Eurydice“ von Anouilh aus dem Jahre 1941 war (zusammen mit seiner „Antigone“ von 1942 und der „Medea“ von 1946) einer von des Autors ganz großen Erfolgen, seine Umsetzung antiker Stoffe ins Heute, perfekt in Sprache und Milieu in die Gegenwart geholt. Alain Resnais benützt nun pirandelleske Tricks, die Realität zu verschieben, indem die Schauspieler, die in der Halle sitzen, plötzlich die Rollen wieder spielen, die sie einst verkörpert haben, und sich dann auch (gänzlich unrealistisch) in anderen, zur Geschichte passenden Räumen finden…

Sie sind alle nicht mehr jung, Resnais-Gattin Sabine Azema und Pierre Arditi, die das Paar verkörpern, beschwören aber trotz ihres Alters den vollen Zauber. Dabei verdoppelt Resnais das Ganze noch, denn auch Anne Consigny und Lambert Wilson, die offenbar in einer anderen Produktion diese Rollen verkörpert haben, spielen ihrerseits Eurydice und Orpheus, und man gleitet nur so durch die Ebenen des Geschehens hindurch, das Stück im Video gespielt von jungen Akteuren, das Stück, doppelt gespielt von den Darstellern, die aus der Schloss-Halle in das Theatergeschehen eintreten, dann eine Wirklichkeit, die auch noch ihre Pointen hat, denn nicht alle, die sich für tot ausgeben, sind es dann auch…

… und man findet sich in einer Zauberwelt, die Theater und Kino verschmilzt und ein paar der wunderbarsten französischen Darsteller zusammen holt – auch Mathieu Amalric oder der nun schon sehr alte Michel Piccoli haben ihre Auftritte, dazu noch Anny Duperey, Hippolyte Girardot, Denis Podalydes oder Jean-Noel Broute. Wer für dergleichen Sinn hat, wird auf einer Wolke des Entzückens schweben.

Renate Wagner

 

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