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HIRNGESPINSTER

02.11.2014 | FILM/TV

FilmPlakat Hirngespinster~1

Ab 7. November 2014 in den österreichischen Kinos
HIRNGESPINSTER
Drehbuch und Regie: Christian Bach
Mit: Tobias Moretti, Jonas Nay, Stephanie Japp, Johannes Silberschneider u.a.

Was wissen wir schon davon, was in den Köpfen von Menschen vorgeht? Diese Erkenntnis steigt dem anscheinend geistig gesunden Durchschnittsmenschen nicht nur immer wieder auf, wenn ein anderer scheinbarer Durchschnittsmensch seine Gattin schlachtet oder Dutzende Menschen niedermetzelt. Das menschliche Bewusstsein ist ein heikles Terrain, und der deutsche Regisseur Christian Bach, der hier nach Kurzfilmen seinen ersten abendfüllenden Film vorlegt, balanciert geradezu brillant an der Borderline „normalen“ und „abweichenden“ Verhaltens.

Und das, weil er ohne künstliches Getue eine ganz alltägliche Geschichte erzählt, irgendwo in der Vorstadt einer deutschen Stadt, wo Normalität angesagt ist. Und scheinbar sind die Dallingers wie alle anderen – wenn der Vater auch offenbar daheim arbeitet und der Sohn, Anfang 20, mit sich nichts Besseres anzufangen weiß, als den Schulbus zu fahren. Die liebevolle Mutter kümmert sich um alle, auch um die kleine Tochter Maja, und alle spielen glücklich Tischtennis.

Wie man die Krankheit, die Vater Dallinger hat, exakt benennt, wird nie ausgeführt – Schizophrenie, Verfolgungswahn, psychotische Schübe, was immer es ist, es kommt in Abständen wieder und führt zu aggressiven Wutausbrüchen, die sich nicht körperlich gegen die absolut geliebte Familie richten, aber wohl gegen die Fernsehschüssel der Nachbarn, weil Dallinger sich beobachtet fühlt, bespitzelt von Feinden, die nicht wollen, dass er, der geniale Architekt, den Auftrag für ein Museum erhält, an dem er arbeitet…

Der Regisseur, dem man glaubt, dass er eine Geschichte wie diese im engsten Bekanntenkreis erlebt hat, so nahe kommt er ihr, lässt sie von dem Sohn erzählen. An Simon und seiner Mutter zeigt sich die Schwierigkeit, mit einem solchen Problem umzugehen – leugnen, Normalität vorspielen (auf jeden Fall der Außenwelt gegenüber) oder doch auf Konfrontationskurs gehen mit einem Menschen, der dies nicht verträgt? Der zwar immer wieder für einige Zeit in der Klinik landet, wo man aber (wie Johannes Silberschneider in einer Nebenrolle als Psychiater sachlich klar macht) eigentlich keine Handhabe hat, jemanden, der nicht gemeingefährlich ist, wegzusperren…

Es ist das Schicksal von Simon, das erzählt wird, der seinerseits gern ein normales Leben führen will, durch die Begegnung mit einer Medizinstudentin die Chance bekommt, aber lange Zeit von seinen eigenen Ängsten geknebelt ist. Denn diese Krankheit kann vererbt werden, muss nicht, kann es aber – und es gibt subtile Szenen, wo der Zuschauer, und am Ende auch Simon selbst, merkt, wie sein Verhalten in Erregung dem des Vaters ähneln kann… Wie lebt man, wenn man darauf wartet, möglicherweise selbst verrückt zu werden? Und sich im Gegensatz zu dem wirklich „Verrückten“ dessen bewusst ist?

Jonas Nay spielt das ganz außerordentlich, immer unter dem schweren Druck, die Umwelt nicht merken zu lassen, was bei ihm daheim und was mit ihm persönlich los ist. Das ohne jegliches Pathos zu kommunizieren, das hat ihm beim Bayerischen Filmpreis den „Besten Nachwuchsdarsteller“ eingetragen.

Hirngespinster 400

Mit genau demselben Recht bekam sein „Vater“ den Preis als bester Darstellern, denn man muss Tobias Moretti für seine Leistung schier grenzenlose Bewunderung zollen. Es wäre so leicht, in dieser Rolle auf Wirkung zu spekulieren und „zu viel“ zu tun – etwa den starren Blick des Verrückten auszuschlachten. Moretti hingegen setzt diesen Blick ein, um zu zeigen, dass dieser nach innen gekehrte Mann fest entschlossen ist, sich von einer feindlichen Außenwelt nicht beirren zu lassen, weil er tiefinnerlich weiß, dass er natürlich recht hat und seine Feinde ihn vernichten wollen…

Es ist diese Überzeugungskraft desjenigen, der die Welt nur durch seine Augen sehen kann und anderen Einsichten unzugänglich ist, die gleicherweise ein Krankheitsbild – und einen in sich geschlossenen Charakter transportiert. Das nennt man eine Figur nicht preisgeben, sondern sie von innen her zu erfassen. Nach „Das finstere Tal“ ist das die zweite Rolle, in der Moretti im Film hochgradig Preiswürdiges leistet.

Mögen die Rollen der liebend-besorgten Mutter, die ja noch jung ist (Stephanie Japp), der verständnisvollen Freundin, die Simon ja doch aus dem Schlamassel holt (Hanna Plass) und der kleinen Schwester, die einem als verwirrtes Kind natürlich besonders leid tut (Ella Frey) ein wenig klischiert ausgefallen sein, so schleichen sich doch in die „Hirngespinster“ keine falschen Töne ein. Man sieht nicht weniger als eine von zweifellos vielen Tragödien des Alltags, die sich hinter geschlossenen Vorhängen abspielen und schreckliche Verheerungen bei den (in diesem Fall schuldlos) Betroffenen anrichten.

Renate Wagner

 

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