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HER

26.03.2014 | FILM/TV

FilmPlakat Her

Ab 28. März 2014 in den österreichischen Kinos
HER
USA / 2013
Regie: Spike Jonze
Mit: Joaquin Phoenix, Scarlett Johansson (Stimme), Amy Adams, Olivia Wilde u.a.

Dass die Wirklichkeit mit der Phantasie nicht mitkommt (ein nur allzu bekanntes Phänomen) ist eins. Dass die Kunstwelten, die wir erst so richtig im letzten Jahrzehnt geschaffen haben, uns in echte Schwierigkeiten mit der Realität bringen, ist ein anderes. Beides thematisiert der Film „Her“ auf das Schönste, auch auf das Entzückendste, gewissermaßen auch auf das Traurigste. Das ist eine Komödie der besonderen Art.

Zuerst lernen wir den Helden kennen: Theodore ist ein verdruckster, mittelalterlicher Mann, im Business der Illusionen beschäftigt. An seinem Computer dichtet er als Auftragsarbeiten jene liebevollen, zärtlichen Mails, die jeder gerne schreiben möchte (aber es meist nicht kann, entweder aus Mangel an Gefühl und Begabung oder aus Mangel an Zeit) und die jeder / jede so gern bekommt: Im Zeitalter der Dienstleistungen ist natürlich auch das zu kaufen.

Gerade Theodore sollte besser wissen, was es mit der Wirklichkeit im Verhältnis zur Illusion auf sich hat, weil er doch im Geschäft ist, aber Joaquin Phoenix, der auch ganz fürchterliche Geschöpfe auf die Leinwand stellen kann, zaubert hier geradezu den glaubwürdigen Unglücklichen mit der tiefen Sehnsucht und dem Wissen, dass es das, was er sucht, nicht zu geben scheint: Hinreißend, wie er es einmal mit einem Blind Date versucht und wie die Dame (Olivia Wilde) im Grunde nur erschreckend ist.

Unter seinen Bürokollegen ist Amy, eine echte graue Maus, wenn auch ein nettes Geschöpf – denkt man daran, welch ungeheure Dekolletes, wie viel Sex und Sinnlichkeit und kalkulierte Weiblichkeit Amy Adams in „American Hustle“ zeigte, so ist diese Figur dermaßen das totale Gegenteil, dass man nicht glauben würde, dass ein- und dieselbe Schauspielerin dahinter steckt. Ein darstellerisches Meisterstück, das sich mit jenem von Phoenix auf Menschenebene messen kann.

Die wahre Virtuosenleistung des Films, die allerdings nur in der Originalfassung so zu genießen ist, kommt von Scarlett Johansson als titelgebende „Her“ (also „sie“). Dabei ist alles, was wir kennen lernen, ihre Stimme – aber was für eine! Mit einer Million Nuancen, wie es scheint. Ein Stück gekaufter Intelligenz aus dem Computer: Mit dieser Stimme kommt seine wie auf Theodore zugeschnittene Traumfrau auf ihn zu…

Wir haben es in diesem Film die meiste Zeit damit zu tun, dass Theodore seinen Bildschirm umkreist und Kontakt sucht. Und von seiner liebe- und verständnisvollen „Samantha“ – so heißt sie – nicht genug bekommen kann. Mit ihr kann er über alles reden, sie versteht ihn besser als jeder andere Mensch, sie lässt ihn Zuneigung spüren, sie ist so wirklich und wahr, dass er nach ihr greifen will… und eigentlich nicht begreifen kann, dass es sie nicht gibt. Nun, es hat schon Liebesgeschichten mit Puppen gegeben – warum nicht mit einer Stimme, die als wundervolle Realität durchgeht? Die jede „wirkliche“ Frau bei weitem übertrifft?

Aber sie ist ein Computerprogramm. Und, wie er auch – mit dem ganzen Schmerz eines betrogenen Liebhabers – erkennt, eines, das nicht einmal ihm allein gehört. Sie hat noch ein paar tausend andere Kunden, die sie mit ihrer Stimme und ihrer Einfühlungsgabe genau so glücklich macht… Dabei reagiert sie doch so unmittelbar und direkt auf Theodore, dass sie sich manchmal wie eine eifersüchtige Frau benimmt! Wie Joaquin Phoenix spielt, dass Theodore nicht begreifen will, dass es Samantha in Wirklichkeit nicht gibt – das ist berührend. Amy, die sich auch mit einem OS (kurz für Operating System) befreundet hat, geht da viel lockerer damit um: Was sie glücklich macht, ist in Ordnung…

Tatsächlich erfährt Theodore, dass Samantha ein OS für 8316 Kunden ist, in 641 von ihnen “verliebt“ so wie in ihn, und interessanterweise ist auch das langsame Schwinden und Verschwinden des Gefühls im System eingebaut: Wie im richtigen Leben. Eines Tages ist Samantha weg.

Ob Theodore nach seinem seelischen Auf und Ab nun für das richtige Leben besser geeignet ist, sei dahingestellt, jedenfalls sehen er und Amy am Ende traurig über die Dächer von Los Angeles… aber sie tun es gemeinsam. Ob Echtmenschen miteinander eine Chance haben, verrät der Film von Spike Jonze nicht.

Wobei die zugrunde liegende Idee von Charlie Kaufman (der immer Pirandellesk mit der Wirklichkeit umgegangen ist) durchaus eine Satire auf unsere virtuelle Welt ist – aber es geht um echte Gefühle. Um Einsamkeit, Sehnsucht, Traurigkeit. So wunderbar, dass der „Oscar“ für das Drehbuch mehr als verdient ist.

Denn das ist ein Ausschnitt unserer heutigen Welt. Fliehen vielleicht alle, die sich jede freie Sekunde an ihrem iPad festzuhalten scheinen und wie besessen eine Nachricht nach der anderen herbeischieben, auch nur vor der Einsamkeit? Der Film regt nicht nur zum (halb mitleidvollen, halb amüsierten) Lächeln an, sondern auch zum Nachdenken.

Renate Wagner

 

 

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