HEINRICH IGNAZ FRANZ von BIBER: MISSA SALISBURGENSIS – NAXOS DVD
Live-Verfilmung eines Konzerts der Salzburger Festspiele vom 27. Juli 2016
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Die von Intendanten Alexander Pereira 2012 ins Leben gerufene und von seinem Nachfolger beibehaltene Ouvertüre spirituelle erweist dem Genius loci der Stadt Salzburg alle Ehre. Sie bildet seither den Auftakt zu den Salzburger Festspielen und ist der Sakralmusik und dem Dialog der Religionen gewidmet. Das vorliegende Konzert in dieser Reihe aus dem Salzburger Dom wurde vom Konzertchef der Festspiele, Florian Wiegand, konzipiert. Neben der Missa Salisburgensis à 53 voci erklangen unter der Leitung von Václav Luks ausgewählte späte Kompositionen von Claudio Monteverdi. Das 2005 von Luks gegründete Prager Collegium Vocale 1704 und das auf Originalklanginstrumenten spielende Barockorchester Collegium 1704 musizierten das Dixit Dominus SV 264, den Psalm Beatus Vir, SV 268, die Sonate sopra „Sancta Maria ora pro nobis“, SV 206, das Laudate pueri (Psalm 113), SV 270, und das berückend schöne Gloria in excelsis Deo á 7 voci concertata SV 258. Alle entstammen der Sammlung venezianischer Kirchenmusik „Selva morale e spirituale“ (=moralisch-geistlicher Wald).
Heinrich Ignaz Franz Biber schrieb die äußerst prunkvolle „Missa Salisburgensis“ 1682 zum 1100-jährigen Bestehen des Bistums Salzburg in polychoraler Vielstimmigkeit am Übergang zwischen Renaissance und Frühbarock. Die musikalische Regie verteilte die Musiker geschickt im Dom, sodass der Klang in der Kirche wohl wie Dolby Surround geklungen haben muss. Altarraum, Vierungsbalkone, alles wurde genutzt, um Posaunen und Flöten, Pauken und Geigen optimal zu positionieren. Man kann sich kaum vorstellen, welchen Eindruck diese Musik auf die damals Gläubigen ausgeübt haben muss. Ob man damit das heliozentrische Weltbild von Kopernikus auf die Musik übertragen wollte, sei dahingestellt. Auf jeden Fall ist diese Missa ein musikhistorisch singuläres Werk, dessen Stellenwert am besten mit den Worten des Dirigenten Paul McCreesh umrissen werden kann: „Wie der Mount Everest die Bergwelt zu seinen Füßen, so überragt die Missa Salisburgensis das Reich der mehrchörigen Musik – das Non plus Ultra im klanglich räumlichen Ausdruck göttlicher und weltlicher Macht.“
Ein besonderes Lob gebührt dem ganz vorzüglichen Collegium Vocale 1704. Uneingeschränkte Freude bereiten sowohl die Chorsolisten als auch die unglaublich ausdrucksstark, homogen und intonationssicher musizierenden Sängerinnen und Sänger. Noch die komplexesten polyphonen Verstrickungen erklingen durchhörbar und mit immenser Leuchtkraft. Das kommt auch Monteverdis kostbaren Kompositionen zugute, die das Gotteslob mit hoher emotionaler Tiefe und anschaulicher Klangrhetorik kontrastreich in Harmonik, Melodik, Rhythmik und Tempo dem Text entsprechend besingen.
Bei dieser Aufnahme, die im DVD bzw. Blu-ray Format erhältlich ist, handelt es sich um die erste audiovisuelle Produktion der Biberschen Missa Salisburgensis, noch dazu am Ort der Uraufführung. Sie ist in jeder Hinsicht gelungen und stellt eine willkommene Bereicherung des Katalogs dar, der bisher mit den Aufnahmen von Ton Koopman, Reinhard Goebel und Jordi Savall schon beachtlich gut aufgestellt war.
Dr. Ingobert Waltenberger