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GNADE

05.11.2012 | FILM/TV

Ab 9. November 2012 in den österreichischen Kinos
GNADE
Deutschland, Norwegen / 2012
Regie: Matthias Glasner
Mit: Birgit Minichmayr,Jürgen Vogel, Henry Stange u.a.

Dieser Film könnte auch „Kälte“ heißen. Oder „Dunkelheit“. Diese Titel würden seine Atmosphäre wahrscheinlich eher treffen. Aber Regisseur Matthias Glasner setzt auf die „Erlösung“, auf die seine Protagonisten allerdings lange warten müssen. Bis dahin hat man mit ihnen seelisch und körperlich gefroren. Denn der Schauplatz, das norwegische Hammerfest mit seinem ewigen Eis und Schnee, in seinem düsteren Zwielicht, legt sich schwer aufs Gemüt.

Vorgestellt wird erst ein deutsches Paar mit Sohn, eine nicht wirklich funktionierende Familie, die einen Neustart versucht. Ausgerechnet im hohen Norden, weil Niels, der Mann, da einen Job in einer Erdgasverflüssigungsanalage erhält, und Jobs liegen ja nicht auf der Straße. Maria, die Frau, nimmt es auf sich, in einer Sterbebegleitungsklinik zu arbeiten (und beeindruckt durch wackeres Norwegisch). Markus, der Sohn, muss alles hinter sich lassen und in einer neuen Welt in die Schule gehen. Die norwegischen Menschen sind nicht unfreundlich, aber der Regisseur macht an ihnen ein ganz starkes Gefühl klar: fremd.

Dass man auch unter den harschen Bedingungen der neuen Umstände nicht wirklich zusammenwächst, zeigt die Beiläufigkeit, mit der sich die Familienmitglieder in der großräumigen Wohnung bewegen (wobei sich der Sohn ohnedies abschottet und die Welt heimlich mit einer Videokamera filmt). Niels lässt sich ziemlich schnell mit der attraktiven Kollegin Linda ein, die ihrerseits ziemlich schnell nicht nur ein bisschen Beischlaf zwischendurch, sondern mehr will…

Aber nicht hier ballt sich das Problem zusammen. Eine nächtliche Autofahrt auf der glatten, verschneiten Straße. Maria fährt etwas an, hat aber einfach Angst nachzusehen. Fährt nach Hause. Niels geht noch hinaus, schaut sich am Unglücksort um. Nicht sehr genau, auch er mag nichts finden. Man möchte sich einreden, es sei ein Tier gewesen. Aber es war ein junges Mädchen. Und man lebt innerhalb einer kleinen Gemeinde, wo dieser ungeklärte Tod zum schweren Problem für alle wird.

Birgit Minichmayr ist es in ihrer Herbheit auferlegt, die Gewissensqualen der Maria zu durchleiden. Der Film stellt nicht nur sie und Niels (Jürgen Vogel, immer an der Seite von Regisseur Matthias Glasner), sondern auch das Publikum vor die Frage, was man selbst in dieser Situation täte. Einfach stillhalten, weil die Tat ja nicht bewiesen werden kann (zumal, wenn die Schramme am Auto weglackiert ist), bietet sich als einfache Lösung an. Maria, die man immer wieder in ihrer Sterbeklinik sieht (und auch den Tod einer jungen Frau miterlebt), ist nicht eigentlich fromm. Aber das Gewissen – das plagt sie. Und ein Geständnis wäre letztendlich eine Erleichterung der schwer belasteten Seele…

Einmal scheint es, als wollte der Regisseur hier eine wirklich dramatische Situation kreieren, als Niels seiner Freundin (vital und attraktiv und keine Klischeefigur: Ane Dahl Torp) das Problem gesteht – und wir wenig später ihren fassungslosen Zorn erleben, als er die Beziehung beendet, weil er einfach keinen Kopf dafür hat. Aber die erwartete Konfrontation trifft nicht ein, der Film verlässt sein ruhiges, wie unbeteiligtes Erzählen nicht. Immerhin ist es spannend genug darauf zu warten, wie das Ehepaar sich entscheiden wird.

Parallel und seltsam von den Eltern abgekoppelt erscheint das Schicksal des halbwüchsigen Sohnes (Henry Stange). Er findet sich in der Schule unter dem Einfluss eines „bösen“ Jungen, der ihn wiederum zum Bösen verleiten will. Es ist wahrlich ein Moralinschinken, den man hier vorgesetzt bekommt, ohne dass dies abwertend gemeint ist. Die Frage nach richtigem Verhalten steht im Raum. Um sie zu entwickeln, wird an das „Kino“ kein Zugeständnis gemacht. Schnee, Eis, Dunkelheit und Kälte. Innerhalb derer muss man zum inneren Licht finden oder nicht. Für diesen Film muss man philosophisch gestimmt sein…

Renate Wagner

 

 

 

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