Ab 18. Oktober 2013 in den österreichischen Kinos
FRAU ELLA
Regie: Markus Goller
Mit: Matthias Schweighöfer, August Diehl, Ruth-Maria Kubitschek u.a.
Filme mit alten Leuten sind so problematisch wie jene mit Kindern. Denn im Endeffekt geht es meist darum, dass die „mittlere“ Generation, die Erwachsenen, etwas von ihnen lernen sollen. Und das wiederum geht selten ohne Sentimentalität und Tränen ab. Um die Wahrheit zu sagen – auch dieser Film ist natürlich voll in die Emotionalitätsfalle getappt. Aber erstens hat man das Gefühl, die Beteiligten wussten das und haben sich darauf eingelassen. Und zweitens wird das Ganze besonders gut gespielt. Das ist schon einmal ein Grund, ins Kino zu gehen.
Fall 1: Matthias Schweighöfer. Er ist sicher unter den jungen deutschen Schauspielern heute einer der interessantesten. Könnte sich als Sonnyboy vermutlich grenzenlos verkaufen und will ganz offenbar mehr (wenngleich seine „Tootsie“-Paraphrase zweifellos ein Komödien-Highlight des jüngeren deutschen Films war). Besonders gut ist Schweighöfer als Gratwanderer – einer, der sich leicht gibt, aber schwer zu tragen hat. Wie jener Berliner Taxichauffeur Sascha, von dem man später erfährt, dass er eigentlich Arzt ist. Dessen Freundin schwanger ist und der eigentlich „nicht noch ein Kind“ in die Welt setzen will, „das nicht weiß, zu wem es gehört“. Er hat, wie man später erfährt, gute Gründe dafür. Und auch gute Gründe, die „Frau Ella“ aus dem Krankenhaus zu entführen, nachdem das Schicksal sie in einem Krankenzimmer zufällig zusammen geführt hat. Denn ihm ist klar, dass sie eine Operation, die man ihr einreden will, mit ihrem Herzleiden nicht überleben würde. So etwas ist ihm nämlich einst im Operationssaal passiert – und darum fährt er lieber Taxi…
Zugegeben, das Drehbuch wird etwas wild und jenseits jeglicher normalen Glaubwürdigkeit (aber Kino „darf“ ja, was im Leben meist nicht passiert), wenn Sascha und sein Freund nun in ihrer alten Kiste mit Frau Ella nach Paris fahren, damit sie die Liebe ihres Lebens wiederfindet… Und eigentlich läuft es nur darauf hinaus, dass Sascha lernt, sich der Verantwortung zu stellen, das Kind zu akzeptieren und dergleichen Lebensweisheiten mehr. Man weiß schon, erhobener Zeigefinger usw. Aber Schweighöfer spielt diesen Sascha so stürmisch und verletzlich, dass es beeindruckend ist.
Fall 2: August Diehl. Der derzeitige Burgtheater-„Hamlet“ in einer Nebenrolle. Nein, in der zweiten Männerrolle. Klaus als die absolute Komplementärfarbe zu Sascha, schon weil er so dunkel ist wie dieser hell (von Haarfarbe), er wirkt an sich gefährlicher und interessanter, ist aber nur ein Großmaul und eine arme Haut. Das wird einmal explizit gesagt, kommt aber auch so heraus. Ganz wunderbar sogar. Auch er kriegt ein Happyend (nach einer Episode in einer Krankenhaus-Apotheke, die noch unglaubwürdiger ist als der Rest des Films). Man gönnt ihm das Glück. Denn Kino ist so unrealistisch: Dieser Klaus, immer am Rande der Legalität, ist spürbar ein guter Kerl. Das mag man – im Leben ist man sich ja bekanntlich nie so sicher, ob es das wirklich gibt.
Fall 3: Ruth-Maria Kubitschek. Wenn es je eine Dame mit gepflegt blonder Föhnfrisur und salbungsvollen Tönen in Fernseh-Filmen à la Pilcher gab, dann sie. Für ihre Kino-Verwertbarkeit hätte man wenig gegeben. Und doch ist ihre 87jährige Frau Ella schön, wenn auch im Vergleich zu den differenzieren jungen Herren, die so herrlich daraus losspielen dürfen, eindimensional. Alt. Verwirrt. Liebenswert. Weckt Beschützerinstinkte. Erzählt, wie sie in der Besatzungszeit einen schwarzen amerikanischen Soldaten geliebt hat. Lässt sich nach Paris entführen. Der gute Mann, den sie sucht, ist natürlich tot. Aber auch für sie gibt es ein Happyend – denn zur rechten Zeit für immer einzuschlafen, ist sicher ein solches.
Es gibt noch ein paar Nebenfiguren in diesem Film (darunter Anna Thalbach, die ihrer Mutter gespenstisch gleicht, als schnippische Krankenschwester, und Anna Bederke als etwas mürrische schwangere Freundin), aber die spielen keine wirkliche Rolle. Der Film von Regisseur Markus Goller webt sich um die drei Personen, und er tut es liebevoll. Das ist nicht das Kino, das uns die Realität um die Ohren haut. Das ist ein Film, der träumt – von Gefühlen, Erlebnissen, Erkenntnissen. Nicht realistisch und nicht unkitschig. Aber eben schön.
Renate Wagner