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FINSTERWORLD

10.01.2014 | FILM/TV

 

FilmPlakat Finsterworld

Ab 10. Jänner 2014 in den österreichischen Kinos
FINSTERWORLD
Deutschland / 2013
Regie: Frauke Finsterwalder
Mit: Corinna Harfouch, Michael Maertens, Margit Carstensen, Johannes Krisch u.a.

Nicht immer gelingt ein Spielfilmdebut so überzeugend wie nun Frauke Finsterwalder, einer deutschen Enddreißigerin, die formal im Grunde – wie so viele vor ihr (und sicher auch nach ihr) – das „Short Cuts“-System des guten, alten Robert Altman abgekupfert hat. Geholfen hat beim Drehbuch übrigens ihr Gatte, der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht, ein wenig berühmter als die Gattin, denn u.a. hat schon das Burgtheater einiges von ihm gespielt. Die beiden füllen das Gerüst der Kurzszenen, die sich nach und nach verzahnen, nicht nur mit Geschichten und Atmosphäre, sondern auch unaufdringlich mit erschütternd viel „Aussage“. Was durchaus „hell“ zu beginnen scheint, verdichtet sich zu Szenen von solcher Düsternis, dass man als Zuschauer nicht mit dem bloßen Schrecken davonkommt.

Es ist ein seltsamer Zufall, dass der Titel „Finsterworld“ so sehr den Namen der Regisseurin paraphrasiert, denn er würde auch stimmen, wenn keine Frau Finsterwalder sondern eine XY Müller den Film gemacht hätte: „Finsterworld“ klingt nach Märchen und dessen Abgründen, klingt auch nach Anderswelt, Scherbenwelt, wie immer man in Phantasiewelten abrutschen will. Die flirrende Unsicherheit, die von der Regisseurin so nachdrücklich beschworen wird, ist schon im Titel enthalten.

Man weiß nicht, mit welcher Episode man anfangen soll, um die Zusammenhänge zu erklären, die sich nach und nach zwischen den einzelnen Szenen ergeben. Vielleicht mit dem Fußpfleger Claude (eine ideale Rolle für den verträumten Michael Maertens, der später auch seine Seltsamkeiten offenbart). Er fährt über Land in seinem Auto, telefoniert dabei, wird von dem Polizisten Tom (Ronald Zehrfeld) aufgehalten, der ihm eigentlich den Führerschein wegnehmen könnte. Aber Tom ist auch kein üblicher Typ, der lässt sich mit Geld und Fußpflegepräparaten bestechen, und später erfahren wir, dass er gerne in Tierkostümen (konkret: als Eisbär) herumläuft, was dann schon eine kleine Perversion ist, mit der seine Freundin Franziska (Sandra Hüller) nichts zu tun haben will: Dabei bildet sie sich so viel ein auf ihre Arbeit als Dokumentarfilmerin (Markus Hering dabei zuzusehen, wie der ordinäre Kerl unappetitlich Spaghetti in sich hineinschaufelt, ist ihr zu primitiv) – und auf ihre Stellung als Intellektuelle. Wenn sie am Ende des Films dazu verurteilt ist, sich für eine ganz „normale“ Doku in Ostafrika zu finden (wo das Ehepaar Kracht, nebenbei bemerkt, wohnt), ist sie genug bestraft für den grauenvollen, hyptertrophen Egoismus, den sie losgelassen hat…

Mit Claude kommen wir zur alten Frau Sandberg (die großartige Margit Carstensen), der er im Altersheim die Füße pflegt und die Einsamkeit vertreibt; man lernt – und vieles begreift man erst nach und nach – ihren Sohn und ihre Schwiegertochter kennen (Glanzrollen für Bernhard Schütz und vor allem für Corinna Harfouch, die eine ihrer faszinierenden Leistungen bietet, von denen man nicht die Augen wenden kann), zwei superreiche Superintellektuelle, die gar nicht genug daran tun können, Deutschland, in dem sie ganz gut leben, zu hassen und zu verachten – und das mit dem Hochmut der „Guten“ kundtun, die immer recht haben: Man kennt sie.

Im Rahmen einer Schulklasse, die von einem politisch ach so korrekten Lehrer (Christoph Bach) in ein Konzentrationslager geführt wird, ist da noch ihr hochmütiger, geschniegelter Sohn Maximilian (Jakub Gierszal), der Dominik (Leonard Scheicher als Inbegriff der verträumten, seelenvollen Jugend als Poesie), den programmierten Schwachen in der Klasse, unbedingt dessen Freundin (berührend die junge Carla Juri) abfischen will. Ja, und da ist – der Film spielt sehr stark auch im Freien, in „Feld und Wald“, wie es so schön heißt – der Einsiedler (Johannes Krisch), der mit seinem Raben auf der Schulter in seiner Hütte offenbar ganz zufrieden ist, wenn man ihn in Ruhe lässt.

Das wirkt, wie es dramaturgisch so gern gemacht wird und hier einfach „stimmt“, anfangs alles eigentlich ziemlich normal. Menschen eben, die sich zwar alle nachdrücklich den Kopf über sich selbst zerbrechen (den Hang der lauten Selbstanalyse mediokrer Charaktere haben wir wohl aus den USA, den schlechten Filmen und Seifenopern, importiert), die aber mehr oder minder normal ihrem Alltag nachgehen.

Bis es dann zu bröckeln beginnt – Maximilian zwingt Natalie einen Kuss ab, Dominik verlässt enttäuscht die Schulgruppe, wandert am Feld, wird von Herrn Sandberg brutal zusammen geschlagen, weil dieser meint, der Schüler habe seine Frau unsittlich beobachtet. Dieser Ausbruch der Gewalt ist schon mehr als nur ein Augenblick des Schreckens. Grauen schleicht sich ein, wenn Maximilian im Konzentrationslager Natalie in einen Verbrennungsofen schiebt und diesen zumacht – eine Tat von einfach unfasslicher Bösartigkeit (der Lehrer findet und befreit sie später). Grotesk wird es, wenn sich die alte Frau im Altersheim ihrem Fußpfleger sexuell nähert und heraus kommt, welch absolut perverse Formen die Träume angenommen haben, die er seinerseits rund um sie gesponnen hat… Und die finale Katastrophe ergibt sich mit einer Art von unausweichlicher Konsequenz, als irgendjemand das Haus des Einsiedlers zerstört und seinen Vogel tötet (einfach eine Tat des Mutwillens) – und er nun hergeht, sein Gewehr holt und auf den Nächstbesten schießt…

Am Ende ist aus dem hellen Alltag die Finsterwelt geworden, und wenn man auch nicht jedes Detail des Films versteht (ein paar dramaturgische Holprigkeiten fänden sich, wollte man sie aufzählen), so ist er doch von bemerkenswerter Konsequenz. Da weiß jemand, welche Geschichte er erzählen will, und wie er es tut – ein Mosaik, das ein Bild unserer Alltagswelt zusammensetzt, das auf den ersten Blick ganz richtig wirkt, bis man näher hinsieht und merkt, wie schrecklich es eigentlich ist.

Renate Wagner

 

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