Filmstart. 30. März 2023
MAIGRET
Frankreich / 2022
Regie: Patrice Leconte
Mit: Gerard Depardieu, Jade Labeste, Mélanie Bernier, Aurore Clément, Clara Antoons u.a.
Maigret ist eine Ikone, jener Pariser Kommissar der Mordkommission, den Georges Simenon erdacht und in mehr als hundert Missionen (sprich Kriminalromanen und -Erzählungen) ausgeschickt hat. Natürlich musste er auf Leinwand und Bildschirme. Die Engländer versuchten es mehrfach, Rupert Davis war sehr britisch, Rowan Atkinson ein schlechter Witz. Auch der Versuch der Deutschen, Heinz Rühmann in die Rolle zu zwängen, überzeugte nicht. Zudem wusste jeder: Es kann nur einen geben. Und das war Jean Gabin, die Idealbesetzung.
Dennoch versucht es nun Gerard Depardieu, immerhin auch Franzose, mittlerweile in seinen späteren Jahren (Mitte 70), derselbe Koloss wie immer, von ungebrochener Popularität (zumal er sich von Putin los gesagt hat, zu dem er lange ein Nahverhältnis pflegte).
Klar, dass der Maigret von Depardieu auf jeden Fall „anders“ sein muss (als Gabin), nicht nur, weil er nicht mehr die charakteristische Pfeife raucht (in einer Szene beim Arzt zu Beginn sagt ihm dieser, er solle nicht mehr rauchen). Hier wird ein müder alter Mann gezeigt, dem sein Beruf schwer wird – und umso schwerer, als eine junge Frau als Mordopfer zu beklagen ist, die so alt war, wie es seine verstorbene Tochter mittlerweile gewesen wäre. Madame Maigret wartet auf ihren unregelmäßig erscheinenden Gatten am Esstisch, ohne Vorwürfe, immer voll Mitgefühl. So weit ist alles in Ordnung.
Man lernt das schöne junge Mädchen nicht nur als Tote, sondern davor auch lebendig kennen, als sie bei einer Verlobungsfeier auftaucht – hoch unerwünscht sowohl von der Aufsteiger-Braut wie von dem reichen Bräutigam und seiner hochmütigen Mutter, hinaus geworfen, etwas Geld zugesteckt.
Hier liegt der Fall, dem Maigret Schritt für Schritt nachgeht. Er führt ihn zu den ganz Armen (darunter einer eher flotten Freundin der Verstorbenen, derer er sich annimmt) und zu den hochmütigen Reichen, und so unbewegt er sich gibt, weiß man doch, dass er mit den richtigen Menschen fühlt und die richtigen Leute verachtet. Die Schmerzlichkeit, die aus Depardieus scheinbarer Ruhe immer wieder zu verspüren ist, macht den Kriminalfall zum dunklen Seelendrama.
Die Story selbst bleibt längere Zeit angenehm undurchsichtig, glücklicherweise, denn so hält die Geschichte von „Maigret et la jeune morte“ einigermaßen die Spannung, wenn man sich auch nicht geradezu vor Neugierde windet. Dazu setzt Regisseur Patrice Leconte (nur ein Jahr jünger als Depardieu) zu wenig auf einen klassischen „Krimi“, er scheint lieber die fünfziger Jahre zu zelebrieren. Ist es eine gewisse Alt-Herren-Müdigkeit, die über dem Ganzen liegt? Oder nennt man es Melancholie, Atmosphäre, Empathie, die da ruhig dahin fließen? Es ist Depardieus Maigret – falls man dennoch jederzeit lieber einen alten Gabin-Maigret-Film sehen wollte, ist das wohl persönliche Geschmackssache.
Nebenbei – in ganz ähnlichem Stil, der Gestrigkeit liebevoll huldigend, ist Liam Neeson als Marlowe (Raymond Chandlers Privatdetektiv) auf die Leinwand gekommen. Hoffentlich läuft der Film hier an.
Renate Wagner