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ESCH-SUR-ALZETTE : KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2022

07.03.2022 | REISE und KULTUR

ESCH-SUR-ALZETTE : KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2022

Vergangenes Wochenende wurde mit Esch-sur-Alzette (nach Novi Sad und Kaunas) nunmehr auch die dritte Europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2022 feierlich eröffnet.

Esch-sur-Alzette ? Beknirschen Sie sich nicht, falls Ihnen der Name nichts sagt. Machen Sie zur Beruhigung die Probe aufs Exempel und fragen Sie 10 Ihrer Freunde nach diesem Ort. Alle werden vor lauter Scham über ihre Ignoranz in betretenes Schweigen verfallen.

Und das ist auch kein Wunder. Denn Esch (deutsch: Esch an der Elze, luxemburgerisch: Esch- Uelzecht) ist zwar mit ca. 30000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Grossherzogtums Luxemburg (ca.30 km von der „Hauptstadt“ entfernt) und mit ihren an Paris und Wien erinnernden Gründerzeitbauten auch ganz nett und hübsch und angenehm, ansonsten hat sie sich aber mit keinerlei herausragenden Ereignissen oder Persönlichkeiten der europäischen Erinnerung eingeprägt. Berühmter ist da schon ihr Industrie-Vorort Esch-Belval. Belval (zu deutsch: schönes Tal) war ursprünglich ein Nah-Erholungsgebiet und bevorzugtes Ziel für die Wochend-Ausflügler aus Esch. Nach dem Auffinden von Eisenerz daselbst wurde es allerdings unter tätiger Mithilfe des Aachener Hütten-Aktien-Verein Rothe Erde in einen hochmodernen, totalintegrierten, massiven, extrem florierenden Stahlerzeugungs-Standort umgewandelt.

Nach der Stahlkrise in den 80er Jahren musste man allerdings umdenken und eine Transformation von der Industrie- in eine Wissensgesellschaft beginnen. Und dieses ambitionierte, auf Jahrzehnte angelegte, vorbildliche Projekt (das mithilfe von Agora, einer Gesellschaft, die vom Eigentümer Arcelor Mittal, dem Staat Luxemburg sowie den Gemeinden Esch und Sassenheim gebildet wurde, durchgeführt wird), war es wohl auch, die Esch-sur-Alzette letztlich die Nominierung zur Kulturhauptstadt Europas eingetragen hat.

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Einer der Hochöfen von Belval. Foto: Robert Quitta

Wenn man zum ersten Mal in Belval ankommt, kann man nicht anders als total überwältigt, um nicht zu sagen: erschlagen zu sein. Denn da stehen in der Gegend unglaubliche Gebilde herum: diese Ex-Hochöfen wirken wie Dinosaurier aus der Stahlzeit, wie Riesen aus einem dystopischen Science-Fiction-Film (viele Besucher müssen an „Metropolis“ denken). Diese gigantischen Dinger sind nicht an sich schön, im Gegenteil. Das Schöne an ihnen ist, dass sie alle irgendwie eine eigene Persönlichkeit zu haben scheinen…und dass sie nicht dem Reissbrett bzw. dem Computerprogramm von eitlen Architektenstars entsprungen sind, die damit unbedingt auf die Titelseiten von Fachzeitschriften kommen wollen…sondern offenbar ausschließlich aus den Notwendigkeiten des Stahlerzeugung geboren wurden…und uns Laien dadurch bis heute ein Rätsel aufgeben, wie denn diese völlig ungewohnten Formen denn überhaupt zustande kamen und wozu sie dienten. Mysteriös und großartig!

Durchaus gelungen sind aber auch – das sei der Ordnung halber ehrlicherweise gesagt – die modernen Zubauten zeitgenössischer Architekten für die “ Wissensgesellschaft“ : die Universität, die Bibliothek, der Bahnhof, eine Bankzentrale, Wohnungen, die „Rockhal“ etc.

Esch-Belval ist naturgemäss das Epizentrum des Kulturhauptstadtjahres.

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Neues Gras in den alten Idustrieanlagen. Foto: Robert Quitta

In der „Massenoire“- Halle (Massenoire war die Produktionsstätte für Stopfmasse auf Teerbasis, die zum Verschluss des Stichlochs am Hochofen verwendet wurde und die man Schwarze Masse nannte) ist die vom Aachener Industriehistoriker Stefan Krebs ganz hervorragend kuratierte Ausstellung „Remixing Industrial Pasts“, die auch die Geschichte der Arbeitsimmigration aus Polen, Italien, Portugal etc. sehr subtil darstellt, zu sehen. Besonders berührend dabei das reichhaltigste Original-Foto-und Filmmaterial, das von den unzähligen Amateur-Foto-Clubs des Reviers zur Verfügung gestellt wurde.

In der ehemaligen Möllerei (ursprünglich eine Lagerhalle für Brennstoffe und Erze, die für die fortwährende Versorgung des Hochofens erforderlich waren) zeigt man hingegen die vom österreichischen Theorie-Papst (und Chef des Karlsruher ZKM – Zentrum für Kunst und Medien) Peter Weibel gestaltete (und klarerweise weitaus intellektuellere und diskurslastigere) Schau „“Hacking Identity and Dancing Diversity“.

Da das hier (noch lange vor der EU) eigentlich eine einzige Region war, mit demselben industriellen und post-industriellen Schicksal, haben sich vernünftigerweise sowohl 10 andere luxemburger Dörfer (Niederkerschen, Petingen, Bettemburg, Düdelingen, Sassenheim, Schifflingen, Monnerich, Differdingen, Rümelingen und Tetingen) als auch acht französische „Communités“ (die Grenze ist einen Katzensprung entfernt und genaugenommen nicht wirklich ersichtlich): Villerupt, Thil, Russange, Audon-le-Tiche, Ottange, Aumetz, Boulange, Rédange) dem Kulturhauptstadtjahr mit verschiedensten Aktivitäten angeschlossen.

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im Biosphärenreservat Ellergronn. Foto: Robert Quitta

Insofern empfiehlt sich, wenn man schon nach Esch fährt, auch ein Besuch in der mittlerweile zum Biosphärenreservat umgemodelten Ex-Mine Ellegronn (mit ihrem die Bergarbeiter-Subkultur in ihren speziellen Riten und ihrer speziellen Sprache – die man als Nicht-Kumpel fast gar nicht versteht – sehr detailliert und liebevoll abbildenden kleinen Museum) in Luxemburg und im französischen Audon-le-Tiche, in dessen riiiiesiger Exmine (in die man mit dem Auto hineinfahren kann) im Sommer hochinteressante Kulturveranstaltungen stattfinden werden (eine Multimediashow namens TOTEM, eine Hamlet-Aufführung, ein „Dinner im Dunkeln“ etc.). Im benachbarten Villerupt (das noch von einem orthodox-kommunistischen Bürgermeister – mit jeder Menge Fidel Castro-Bilder in seinem Büro – regiert wird) hat man anlässlich Esch 2022 sogar ein neues, grosses Kulturzentrums namens ARCHE aus dem Boden gestampft…

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Alte Kumpel. Foto: Robert Quitta

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Teller der Bergarbeiter. Foto: Robert Quitta

Daher wünschen wir allen Beteiligten der Kulturhauptstadtevents ein herzliches: Glück auf!

weitere infos auf : www.esch2022.lu

Robert Quitta, Esch-sur-Alzette

 

 

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