DOPPELINTERVIEW MIT ELKE HESSE UND GERALD WIRTH
„Begeisterung wecken, nicht nur für die musikalische Zukunft, sondern auch für die Persönlichkeitsentwicklung etwas mitnehmen!“
Direktorin und Präsident / Künstlerischer Leiter bei den Wiener Sängerknaben. Foto: privat
(Das Interview führte Karl Masek am 7.11. 2018)
Beim Betreten des Augarten-Palais: Musik liegt in der Luft. Chorproben, Sologesang, Klavierklang. Draußen wird aber auch gerade Fußball gespielt. Lachen, Anfeuerungsrufe, eine insgesamt sehr fröhliche, sehr bunte Stimmung. Keine Spur von einem „grauen“ und „strengen“ Internats-Alltag vergangener Jahrhunderte! Elke Hesse und Gerald Wirth begrüßen uns herzlich und in bester Stimmung. Und auch beim Gespräch wird viel gelacht!
Gerald Wirth, Sie sind Oberösterreicher …
Ich komme aus der Ennser Gegend, bin in Enns auch in die Volksschule gegangen. War dann bei den Sängerknaben in Wien, von 1974 bis 1979, und dann im Musikgymnasium in Linz, damals musste man ja gleichzeitig ein musikalisches Hauptfach nehmen, im Konservatorium oder der Universität, und bei mir war das dann Klavier und Oboe.
Wie war ihre musikalische „Sozialisation“? Wie hat das bei ihnen begonnen?
Naja, das war eigentlich recht einfach: Meine Eltern haben bäuerlichen Hintergrund, also nicht „Musikerfamilie“, aber eine musikalisch interessierte Familie. Der Vater hat Blasmusik gemacht, wie das auf dem Land so ist, und daher waren meine Eltern interessiert daran, dass ich auch Musik mache. Es gab damals in Oberösterreich eine Ausschreibung an die Volksschulen, man konnte sich in Linz für die Wiener Sängerknaben zu einem Vorsingen anmelden. Und meine Volksschullehrerin war da die Initiatorin, hat mich angemeldet und ich wurde als einer der Knaben bei den Wiener Sängerknaben genommen. Auch heute sind Lehrer/innen initiativ, wenn es gilt, talentierte Kinder, die gerne und die gut singen, zu einem Vorsingen bei den Wr. Sängerknaben zu schicken und wir sind da sehr dankbar für diese Weichenstellungen!
Elke Hesse, wie kamen Sie zu den Wiener Sängerknaben…
…. Wie die Jungfrau zum Kind!…
Sie waren vorher am Theater tätig?
Ich habe mit Hans Gratzer am Schauspielhaus und dann am Theater in der Josefstadt gearbeitet. Nach seinem Tod hab ich dann die Intendanz bei den Hersburger Festspielen in Deutschland „geerbt“. Ich kam aber wieder nach Wien, wurde angesprochen vom Aufsichtsrat der Institution, ob ich mithelfen könnte, das Haus sozusagen neu aufzubauen. Anfangs war ich sehr erstaunt über dieses Angebot, hab dann den Gerald kennen gelernt und die Institution kennen gelernt, und das war gut so.
Herr Wirth, Sie gelten ja als besonders moderner und innovativer künstlerischer Leiter. Was hat sich für Sie seit 1998 (als sie als Stellvertretender Leiter begonnen haben) für Sie geändert?
Als ich die Chance bekommen habe, war für mich das Wichtigste einen Weg zu finden, um die positiven Aspekte unserer Tradition weiter zu führen bzw. manches wieder zurück zu bekommen. Das hat zu tun mit den Klangvorstellungen, den musikalischen Aspekten, aber es hat noch viel mehr zu tun damit, dass ich mir als Aufgabe gestellt habe, dass die Kinder, die bei uns sind, mit Begeisterung dabei sind und dass sie schlussendlich nicht nur musikalisch für das spätere Leben profitieren, sondern auch in ihrer persönlichen Entwicklung und ihrer Sicht und der Offenheit der Welt gegenüber. Ob sie eine musikalische Laufbahn einschlagen, oder dann etwas ganz anderes machen … in der Essenz der Arbeit ist vieles seit hunderten Jahren gleich, wir arbeiten jede Minute daran, den Kindern möglichst gute Erfahrungen zu geben in musikalischer Hinsicht. Das ist viel Kleinarbeit, jeder kocht mit Wasser, niemand zaubert, aber wir arbeiten intensiv an diesen Dingen. Aber es hat sich viel verändert, w i e wir mit den Kindern arbeiten. Der künstlerische Aspekt, stimmbildnerisch, im Bereich der Repertoireerweiterung und –vielfalt, in den Projekten. Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, mit internationalen Universitäten, unser Forschungsprojekt, wo es um Musikpädagogik allgemein geht. Und davon profitieren wieder die Kinder!
E.H.: Und auch der Alltag im Internat hat sich geändert. Es ist familiär, es ist freier, die Kinder werden von Frauen und Männern betreut, die Zeit der Schlafsäle ist vorbei, es gibt 2- und 3-Bett-Zimmer, es gibt Schwimmbad, es gibt Fußballplatz,…
Frau Hesse, was hat sich seit dem Baubeginn von MuTh, was ja damals sehr konfliktbeladen war, seither geändert? Ich habe den Eindruck, das MuTh ist akzeptiert.
Ja, es ist angekommen! Ich denke eigentlich immer in die Zukunft. Immer nach vorn! Es ist jetzt eigentlich kein Thema mehr. Dass sich so viele kritische Menschen so viele Gedanken gemacht haben zu dieser Zeit, ist ja gut, man muss ja auch was Positives daraus ziehen. Aber jetzt ist es angekommen, wird super angenommen, es entwickelt sich stetig nach oben. Ich lasse auch nicht locker – und jetzt wird es immer voller!
G.W.: Und diese ganze Diskussion damals hatte ja 2 positive Effekte: Jeder in Wien hat das MuTh gekannt, bevor es überhaupt eröffnet wurde – und die Persönlichkeit und die Arbeit der Frau Hesse, die es geschafft hat, die schwierige Diskussion ins Positive zu wenden. Viele, die am Anfang dagegen waren, sind jetzt mit dabei, stehen sogar auf der Bühne …
E.H.: … gerade das Filmarchiv, das anfangs ein Widerpart war, jetzt im Sommer, wo das Festival stattfindet, mischt sich alles wunderbar – so soll es auch sein.
Die Institution „Wiener Sängerknaben“: Wie viele Sängerknaben singen derzeit? Internationale Projekte? Tourneen?
G.W.: Es singen derzeit 100 Knaben, aufgeteilt in die vier Tourneechöre (Anm.: Haydn-, Mozart-, Schubert- und Bruckner-Chor), jetzt sind gerade 2 auf Tournee, einer ist gerade aus Asien zurück und macht dann weiter in Europa mit einer typischen Weihnachtstournee, der andere ist gerade auf Konzertreise in den Vereinigten Staaten und Kanada. Eine größere Reise ist im Jänner geplant nach Hongkong, Singapur, Bangkok,…
E.H.: Und viele besondere Projekte im MuTh und Konzerte hier in Wien.
Das Projekt „Die Reise des kleinen Prinzen“, von Gerald Wirth komponiert, ist ja ein besonderes Erfolgsstück seit fast 20 Jahren – für dieses Projekt haben Sie eine Erzählerrolle für Michael Schade dazu komponiert. Also eine Uraufführung in dieser Neufassung! Seit wann gibt es die Zusammenarbeit mit Herrn Ks Michael Schade?
Das reicht in die Zeit mit Harnoncourt zurück (Die Matthäuspassion, bei der wir mitgewirkt haben und Michael Schade der Evangelist war). Intensive Zusammenarbeit gab es auch vor Jahren in Kanada, wo wir gemeinsame Konzerte bestritten haben, und seitdem sind wir in intensivem Kontakt.
Gerald Wirth, der Komponist: Was ist ihnen bei dieser Arbeit besonders wichtig?
Über reines „Entertainment“ hinausgehen! Wenn ich da etwas machen darf, so möchte ich auch einen Beitrag zum Nachdenken leisten. Schon auch Entertainment, aber darüber hinaus etwas, das die Leute zum Reflektieren bringt. Nur eine „lässige Nummer“, das interessiert mich weniger.
Wie kam es zum besonders erfolgreichen Projekt „Silk Road“ (Seidenstraße), auf DVD und CD dokumentiert?
Durch unsere vielen Konzerte in Asien und durch persönliche Kontakte. Wir haben damals ein Stück gesucht, das wir szenisch in Wien und international darbieten können, wo wir Musik aus verschiedensten Ländern miteinander verbinden. Unsere Dramaturgin, Frau Dr. Breckwoldt, hat dann zu diesen Bildern eine Geschichte mit einem „roten Faden“ geschrieben … Und das Wichtigste aus „pädagogischer Sicht“ (und das ist da ganz gut gelungen!) war, Kulturen kennenzulernen, die auch ich nicht gut genug kannte. Über Zentralasien ist bei uns viel zu wenig bekannt. Was so schade ist! Ich weiß jetzt ein bissel was darüber – es ist phänomenal, was es dort gibt! Wo muslimische Kultur mit chinesischer Philosophie, mit christlicher Philosophie aufeinander trifft …
Die Wiener Sängerknaben sind ja mittlerweile „multikulti“ geworden. Aus wie vielen Ländern kommen die Buben?
E.H.: Es sind sicher 15 bis 20 Länder aus mehreren Kontinenten. Wir haben Kinder, deren Eltern in Japan, in Amerika leben, aber auch viele (mit unterschiedlichsten Muttersprachen), deren Eltern jetzt in Wien wohnen. Und ich betone immer wieder: Die Wiener Sängerknaben sind ein Paradebeispiel für gelebte Toleranz! Auch im sozialen Sinne! Egal was die Kinder für soziale Hintergründe haben oder Religionsbekenntnisse haben, das ist für die Kinder kein Thema, und das ist gut so…
G.W.: … da können die Erwachsenen viel lernen! Was ich auch so positiv finde, ist, dass Wien wieder eine Stadt geworden ist, wo man alle Kulturen findet. Für uns als Künstler sowieso genial, egal welches Instrument man sucht, man findet in Wien für jedes Instrument gute Musiker/innen. Das kann ein „Ud“ sein, ein arabisches Instrument, das kann ein chinesisches Instrument sein, in Wien findet man das!
Sängerknaben und Schulausbildung: Was hat sich da geändert? Kindergarten, Volksschule, Koedukation, Oberstufengymnasium!
Wir haben koeduaktiven Unterricht in der Volksschule seit Beginn der 90er Jahre und in der Oberstufe seit der Gründung vor 8 Jahren. Und da wird auch musikalisch koedukativ gearbeitet, im gemischten Chor, usw. Bei den Sängerknaben wollen wir aus 2 Gründen nicht mischen und beim Knabenchor bleiben. Es ist natürlich die Trademark. Aber auch aus stimmlichen und stilistischen Gründen. Eine Renaissancemotette kann man eigentlich nur mit einem Knabenchor gut machen. W e n n ein Knabenchor gut ist, dann gibt’s für diese Musik nichts Schöneres! Das sehen auch zeitgenössische Komponisten so, 20. Jht sowieso, Britten z.B. oder Bernstein bei seinen „Chichester Psalms“, wo er nicht nur dezidiert ein Knabensolo geschrieben hat, sondern auch den Chor von Knaben gesungen haben wollte.
Ein Statement zu musischer und kreativer Ausbildung in Österreich, da gibt es ja immer wieder Kritik an den Lehrplänen und an „mangelndem politischen Willen“, da etwas zu ändern!
E.H.: Ja, und es geht ums Tun, und nicht nur darum, dass darüber geredet wird …
G.W.: … man muss auch sagen, wir jammern manchmal auf hohem Niveau, ich kann das glaube ich, ganz gut einschätzen, weil ich ja viel international unterwegs bin. Trotzdem: Als Land der Musik haben wir eine besondere Aufgabe. Und wir leben ja auch wirtschaftlich von dem Image als Musikland. Darüber hinaus wird seit langem von der Wissenschaft untermauert, dass Kinder, die sich aktiv mit Musik beschäftigen, riesige Vorteile haben in ihrer persönlichen Entwicklung. Davon muss man, wenn man die Wissenschaft und die praktische Erfahrung der Pädagog/innen ernst nimmt, ableiten, dass jedes Kind in Österreich von der Volksschule an das Recht haben muss auf einen guten Kunst-, Musik- und Chorunterricht! Da gäbe es sehr viel nachzuholen. Die Politik ist auch gefragt, zu motivieren. Was wird in den Hochschulen, den Akademien, angeboten … Viele phänomenal gute Lehrer/innen gäbe es ja!
E.H.: Und auch Privatinitiativen gibt’s ja viele. Wir haben das Glück einen Mäzen zu haben (Anm.: Herr Pühringer), der uns sehr unterstützt!
Kommen Politiker in die Veranstaltungen des MuTh?
(Beide schauen einander fragend an): Nein! Gut, dass sie das fragen! Das ist betrüblich! Wir hören das aber auch von anderen Veranstaltern, ob Musiktheater, ob Philharmoniker. Die Zeiten, wo Politiker, Regierungsmitglieder, ob Bund, ob Land, regelmäßig z.B. Konzerte besucht haben, ist anscheinend vorbei. E.H.: Ich weiß von einem besonderen Beispiel, das war der Peter Marboe. Der war immer präsent, auch bei noch so „kleinen“ Veranstaltungen!
Letzte Frage: Wie wird das unglaublich umfangreiche und spannende Angebot des MuTh (Kinderoper, Kammermusik, Rezitals, vielfältige Crossover-Programme, Jazz, Kabarett,…) vom Publikum angenommen?
E.H.: Manchmal muss man auch Pionierarbeit leisten, damit kalkuliere ich auch, dass sich nicht alles sofort gut verkauft. Aber ich lasse nicht locker – und es hat sich mit den Jahren immer besser entwickelt! Wir haben uns als besonders erfolgreiche Stätte für Kammermusik etabliert. Ja und die Kinderopern, die sind ein tolles Erfolgsmodell! Wir spielen jetzt 8x den „Kleinen Prinzen“, davon 4 Schulvorstellungen, alle Vorstellungen sind ausverkauft! Die Kooperation mit der Wiener Taschenoper kommt auch sehr gut an. Und wir setzen z.B. Anfang Februar mit „Carmina Austriaca“ fort. Ein ganz neues Format mit Liedern des Mittelalters, in heutige Sprache übertragen und für Knabenchor, gemischten Chor, Orchester & Tanz von Gerald Wirth neu arrangiert. Da geht es um die ganze Welt und um das ganze Leben und um die ganze Entwicklung der Musik!
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Gespräch genommen haben, und viel Erfolg für die bevorstehende Premiere und für alle Aktivitäten der Wiener Sängerknaben und des MuTh!