DVD
Monteverdi: L’ORFEO (Mailand, Teatro alla Scala, 2009)
Monteverdi: L’Incoronazione di Poppea (Barcelona, Gran Teatro di Liceu, 2012)
Opus arte
Wie geht man mit Monteverdi um? Die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Eine Überlegung besteht auch darin, diese meist überlangen Barockopern (misst man sie nicht an Wagner-Länge, sondern am „normalen“ Repertoire) für das Publikum so unterhaltend zu machen wie möglich. Manchmal geradezu schamlos, aber warum nicht? Oder man geht extrem exzentrisch mit ihnen um?
Eine Doppelbox (preiswerte Zusammenstellung von zwei Aufführungen, die es auch als Einzel-DVDs gibt) bietet Beispiele für beide Zugänge.
Robert Wilson hat Monteverdis „L’Orfeo“ 2009 an der Mailänder Scala inszeniert. Man kennt den Stil des Regisseurs, die puppenhafte Starre, die er seinen Interpreten auferlegt, aber nun ist ja auch die Renaissancemusik von Monteverdi ein hoch stilisiertes Konstrukt, also scheinen Werk und Stil besser zusammen zu passen als in anderen Fällen, wo beispielsweise mehr „Temperament“ vorgesehen wäre…
Zuerst stehen die Darsteller wie Scherenschnitte in einer gemalten Landschaft, später rückt ihnen die Kamera näher, aber da erweisen sich die Sänger erst recht als „Opfer“ – denn unter dicken weißen Schminkmasken, dazu angehalten, außer den Lippen nichts zu bewegen, treten sie nicht als Individualitäten hervor. Georg Nigl (Orfeo), Roberta Invernizzi (Euridice) und Sara Mingardo (Messaggera / Speranza) können nur als Stimmen beeindrucken und realisieren aufopfernd Minimalismus und auch Manierismus, aber interessanterweise schafft gerade dies bemerkenswerte innere Spannung, die Raum für die Musik lässt. Rinaldo Alessandrini, in seiner italienischen Heimat hoch geachteter Spezialist für historische Aufführungspraxis, gibt die Bewegtheit, die das Bild verweigert.
Einen schärferen Interpretationsgegensatz als zu David Aldens „L’Incoronazione di Poppea“ kann es kaum geben. Der Unterschied zwischen Monteverdis erstem (1607) und letzten Werk (1642) ist natürlich bedeutend, dennoch bieten die Zugänge die denkbar größten Gegensätze. Die Interpretation des Römerdramas durch Robert Alden spielt überall und nirgends und ist von jenem englischen Humor geprägt, der bekanntlich absurd ausflippen kann wie wenige sonst, viele Filme haben es beweisen. Da es keinen Stil gibt außer dem der optischen Üppigkeit, ist alles erlaubt, vom englischen Alltagskleid bis zur Toga, vom barocken Kostüm bis zu absurden Groteskfiguren, und Transvestiten dürfen natürlich auch nicht fehlen. All das in bunt-witzigen, immer wieder Schachbrettmuster zitierenden Szenenbildern, die keinen Sinn machen müssen – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, das Motto lautet: Wir blödeln uns durch den Abend? Das hat viele Besucher prächtig unterhalten. Und viele Besucher (die an den seriösen Zugang der Ponnelle-Version denken) wirklich empört.
Gesungen wird prächtig, und das war natürlich ausschlaggebend für den Erfolg des Abends. Sarah Conolly hat in vielen barocken Rollen (auch bei Händel) bewiesen, wie besonders gut ihr Männerrollen liegen, sie hat den Habitus männlicher Bewegung und männlichen Verhaltens verinnerlicht, bringt das ironisierend an. Ihr dunkelhaariger, fast knabenhafter, eindeutig neurotischer Nero steht neben dem blonden, unglaublich attraktiven, verführerischen Kätzchen einer Poppea, wie Miah Persson sie gibt. Im wahren Leben war die Situation des römischen Kaisers und der Dame, der er seine Ehefrau und seinen Lehrer opferte, nicht so lustig – hier ist sie es… (Dass Senecas Todesszene – interpretiert von Franz-Josef Selig – in diesem Umfeld nicht angemessen würdevoll tragisch wird, versteht sich.)
Dem Dirigenten Harry Bicket, der das Barockorchester des Gran Teatre del Liceu leitete, stand darüber hinaus eine Besetzung von wirklich hochrangigen Fachleuten zur Verfügung, so dass Monteverdi nicht Gefahr läuft, unter die Räder einer überbordenden Interpretation zu geraten. Bei der man sich, wenn man dazu gewillt ist, sehr gut unterhalten kann. Warum nicht? Ernst ist das Leben, heiter sei die Kunst! um Schiller zu paraphrasieren…
Renate Wagner
————————————————————
Claudio Monteverdi
L’ORFEO
Orchestra & Chorus of La Scala
Dirigent: Rinaldo Alessandrini,
Regie: Robert Wilson
Georg Nigl (Orfeo)
Roberta Invernizzi (Euridice)
Sara Mingardo (Messaggera / Speranza)
Eine Produktion des Teatro alla Scala 2009
x
Claudio Monteverdi
L’INCORONAZIONE DI POPPE
Baroque Orchestra of the Gran Teatre del Liceu
Harry Bicket (Conductor)
David Alden (Stage Direction)
Paul Steinberg (Set designer)
Buki Shiff (Costume)
Pat Collins (Light designer)
Miah Persson (Poppea)
Sarah Conolly (Nerone)
Jordi Domènech (Ottone)
Franz Josef Selig (Seneca)
Maite Beaumont (Ottavia)
Dominique Visse (Arnalta/ Nutrice)
Marisa Martins (La Fortuna)
Judith van Wanroij (La Virtù)
Olatz Saitua (Amore)
Ruth Rosique (Drusilla)
Guy de Mey (Lucano)
William Berger (Valetto)
Judith van Wanroij (Damigella)
Francisco Vas (Liberto)
Guy de Mey, Francisco Vas (Two Praetorian soldiers)
Josep Miquel Ramón (Littore)
Marisa Martins (Pallade)
Josep Miquel Ramón (Mercurio)
Marisa Martins (Venere)
Dominique Visse, Guy de Mey, Josep Miquel Ramón (Friends of Seneca)
Guy de Mey, Francisco Vas (Consuls)
Marc Pujol, Josep Miquel Ramón (Tribunes)
Judith van Wanroij, Elena Copons, Inés Moraleda (Cupids)
Recorded at the Gran Teatre del Liceu, Barcelona, in 2012
TV Director, Xavi Bové