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DVD Wolfgang Rihm: OEDIPUS

13.02.2014 | dvd

DVDCover Oedipus, Berlin

DVD Wolfgang Rihm:
OEDIPUS
Live-Aufzeichnung der Welturaufführung an der Deutschen Oper Berlin, 1987
Arthaus

Wir haben gelernt, die Schätze der Vergangenheit zu würdigen und wo möglich zu heben – das Überspielen zahlloser Schallplatten auf CDs ist da nur ein Beispiel. Man geht auch in die Archive der Fernsehsender, sofern das dort lagernde Material (Zelluloid von einst!) noch nicht kaputt und verloren ist (wie es dem ORF mit vielen Theateraufzeichnungen passiert ist).

Die Deutsche Oper Berlin leistet nun schon seit einigen Jahren Großartiges darin, nicht nur die Gegenwart mitzudokumentieren (wie etwa Philipp Stölzls „Rienzi“ von 2010), sondern so tief in die Leistungen von einst zu steigen wie nur möglich. Da ist ein Ereignis von 1987 gar nicht das jüngste, denkt man an die „Paarung“ Beirer – Tebaldi (!) 1962 in „Otello“, den Sellner-„Fidelio“ mit Christa Ludwig von 1963 oder einen deutschen „Don Carlos“ mit Fischer-Dieskau, James King und Josef Greindl von 1965. Kostbarkeiten für alle Vergleichs-Süchtige…

Damals 1987 fand allerdings ein Ereignis an der Deutschen Oper statt, das dem deutschen Fernsehen wichtig genug war, es live zu übertragen, mit einem aufgeregter Moderator und neben dem Beifall nicht zu überhörenden „Buh“-Rufen am Ende, live ist live. Es ehrt die Fernsehgewaltigen übrigens, dass die Uraufführung der Oper eines damals gerade 35jährigen deutschen Komponisten, wichtig genug erschien, um die Live-Übertragung anzusetzen (man wüsste wenige – oder keine? – Vergleichsbeispiele in letzter Zeit zu nennen).

Und das Ergebnis ist aus der Distanz von 27 Jahren so beeindruckend wie eh und je. Und signifikant für das Gesamtwerke und das Spezialinteresse eines Komponisten – war es damals der „Oedipus“, der den Mittdreißiger interessierte, hat der Endfünfziger bekanntlich 2010 bei den Salzburger Festspielen seinen „Dionysos“ herausgebracht. Faszination durch die Antike. Und in beiden Werken spielen Texte von Friedrich Nietzsche eine wichtige Rolle…

Damals, 1987, war es also die Gestalt des „Ödipus“, die Rihm faszinierte, das Libretto schrieb er sich selbst nach Sophokles in der Hölderin-Übersetzung, nach Nietzsches Oedipus-Fragment und Heiner Müllers Ödipuskommentar. Eineinhalb pausenlosen Stunden, am 4. Oktober 1987 schwarzweiß aufgezeichnet, inszeniert von Götz Friedrich, dessen Bedeutung für die Deutsche Oper Berlin, die er 1981 bis 2000 als künstlerischer Leiter prägte, gar nicht hoch genug anzusetzen ist.

Manchmal hat man tatsächlich das Gefühl, als könne dieses Werk, wenn man es heute produzierte, genau so aussehen wie damals. Denn die Ästhetik (Ausstattung: Andreas Reinhardt, archaiisierend plus Gegenwartsgewänder) wirkt – wohl durch ihre Abgehobenheit – überhaupt nicht gestrig: Man erinnert sich beispielsweise an Reimanns „Medea“ an der Wiener Staatsoper, bei deren Uraufführung 2010 man ganz ähnliche Mittel der Umsetzung fand wie Friedrich vor mehr als einem Vierteljahrhundert… Zusammen gefasst gesagt: Das ist auch heute noch höchst eindrucksvoll.

Rihm hat das Geschehen auf wenige Figuren und auf jenen Punkt des Geschehens reduziert, wo der Titelheld als reifer Mann stufenweise zur Erkenntnis seiner unschuldsvoll begangenen Schuld gelangt – und wofür er sich selbst bestraft, indem er sich die Augen ausreißt… Gnadenlos.

Rihms Musik ist bei aller Atonalität von Anfang bis zum Ende fesselnd, eine „Moderne“, die nicht ins Theoretische abrückt, sondern sehr wohl der dramatischen Gestaltung fähig ist. Das realisierte Dirigent Christopher Prick mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin so genau wie spannend.

Bariton Andreas Schmidt, damals gerade 27, der später neben dem klassischen Repertoire immer auch als großer Liedersänger und Spezialist für die Moderne galt, wirkt keinesfalls zu jung für die konzentriert tragisch-dramatische Rolle. Den auch gesanglich so beeindruckenden Künstler gibt es in der heutigen Musikwelt noch immer, von Emily Golden, die hier mit bemerkenswertem Mezzo die Jokaste verkörpert, hat man – wenn man nicht Berliner Opernbesucher war – nie gehört und findet sie auch nicht im Internet (und das will etwas heißen). Schwager Kreon (William Pell) erbt den Thron, William Dooley gibt den Seher Tiresias, William Murray den Hirten, und den klassischen Chor hat Rihm auf 16 Einzelstimmen aufgeteilt.

Dass die technische Qualität der Produktion trotz ihres Alters vorzüglich ist, bedeutet, dass die Freude über (und Bewunderung für) diese Wiederbegegnung (Erstbegegnung) mit einem großen Opernwerk keine Abstriche kennt.

Renate Wagner

 

 

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