DVD / Deutsche Grammophon
Thomas Adès
THE TEMPEST
Metropolitan Opera, November 2012
Selten hat eine moderne Oper auf Anhieb mehr Jubel geerntet als „The Tempest“, die Umsetzung von Shakespeares „Sturm“ durch den britischen Komponisten Thomas Adès (Jahrgang 1971). Der Jubel begann schon bei der Londoner Uraufführung 2004 und hat sich nach der New Yorker Produktion noch verstärkt. Der Komponist (kaum zu glauben, dass er etwas so Großartiges schuf, als er gerade 30 und wenig darüber war!) stand am Dirigentenpult, Robert Lepage inszenierte und Simon Keenlyside sang die zentrale Rolle des Prospero, die er schon bei der Uraufführung kreiert hatte. Das Endergebnis, nun auf DVD, ist schlechtweg atemberaubend.
„Der Sturm“ ist zwar ein gewaltig philosophisches Stück, aber ebenso ein gewaltig buntes, vitales noch dazu – zumal, wenn Prospero, der vertriebene Herzog von Mailand, auf seiner Insel nicht als weiser alter Mann haust, sondern wie Simon Keenlyside geradezu als Barbarenfürst, halbnackt, mit Tätowierungen bedeckt, Feder im Haar, Speer in der Hand und äußerst ungemütlicher Laune: eine rundum großartige Leistung, und wenn Keenlysides Bariton manchmal eine Spur trocken klingt, hier ist Belcanto nicht angesagt. Obwohl, und auch das wird schnell klar, ein Großteil des Werks für zeitgenössische Moderne musikalisch wohl verdaulich ist (die Inspiration durch mannigfaltige Klassik wird überhaupt nicht versteckt), nur manchmal (etwa den zirkusartigen Gurgelkünsten des Ariel) dann doch unangenehm ins Ohr schrillt – aber andererseits als Koloratur-Virtuosenstück, das angeblich bis zum hohen G geht, dann wiederum besonders fasziniert. Aber im Großen und Ganzen ergeht es einem bei Adès wie bei Birthwistle: Innerhalb kürzester Zeit ist man ganz in der Musik „drinnen“, wie man von den klassischen Meistern der Opernkunst nicht stärker gefesselt werden kann.
Aber da ist ja noch der szenische Teil der Aufführung. Der „Sturm“ beginnt mit dem titelgebenden Sturm zu „aufgeregter“ Musik, und der Schiffbruch wird herrlich mit jenen Mitteln erzählt, die man etwa auch von Peter Brook kennt, wallende blaue Tücher als wildes Meer, allseits heftige Bewegtheit, der Versuch, sich auf einem Kronleuchter zu retten – kurz, Robert Lepage, der ja auch den Met-„Ring“ zu einem szenischen Erlebnis gemacht hat, packt alle seine Künste aus, um eine großartige „Show“ zu inszenieren, wobei der die raffinierten Künste seiner „Ex Machina“-Truppe ebenso benützt wie schlichten Theaterverstand. Der umgebende Raum der Insel ist übrigens das Innere der Mailänder Scala mit ihren Logen – Oper in der Oper.
Der „Sturm“ ist voll von herrlichen Fabelwesen, und Lepage lässt den Luftgeist Ariel (Audrey Luna liefert die dazugehörige Kehlkopf-Akrobatik) auch fliegen, reizt den schaurigen Caliban (Alan Oke) ebenso aus wie die komischen Figuren (etwa Iestyn Davies als Trinculo).
Miranda, die Tochter von Prospero, wird von Isabel Leonard, dem führenden Mezzo der Met, sehr mädchenhaft liebenswert gesungen, ihr Liebster Ferdinand ist Alek Shrader, ein klassischer lyrischer Tenor. Dazu kommen in Hauptrollen noch Toby Spence als jener böse Antonio, der seinen Bruder Prospero vom Thron vertrieben hat, und William Burden als König von Neapel, der Vater von Ferdinand. Das Ganze dauert zwei Stunden, wie sie kurzweiliger und abwechslungsreicher kaum sein könnten.
Übrigens: Die Wiener Staatsoper hat diese Produktion mitfinanziert – das bedeutet, dass Wien dieses Werk in dieser großartigen Umsetzung sehen wird: Damit ist der Erfolg gesichert.
Renate Wagner