DVD
Vincenzo Bellini:
NORMA
Royal Opera House Covent Garden, London, 2016
Opus arte
„Norma“ ist Bellinis greatest Hit, prachtvolle Musik, drei spektakuläre Hauptrollen und eine Handlung, die aus dem Druiden-Milieu einen eigentümlichen und nicht alltäglichen Reiz bezieht. Londons letzte Inszenierung dieses Werks hat sich dieses Religionsthema nicht als Dekoration, sondern als Interpretation hergenommen – in einer Art und Weise, wie es sich der katalanische Regisseur Àlex Ollé, einer der Direktoren von La Fura dels Baus, in Spanien hätte wohl nicht leisten können. Außerdem bewies er wieder (nicht als Erster, auch David Bösch und andere waren schon da), dass das Regietheater, für das ja letztendlich doch die Deutschen stehen, auch in London Einzug gehalten hat. Und dabei war doch gerade diese Stadt auf dem Theatersektor lange eine Hochburg der „Normalität“…
„Norma“ also, die Druiden-Priesterin, trägt nun auch ein Priester-Outfit wie Männer in der katholischen Kirche, Adalgisa hat einen Priesterkragen um, während Pollione, im Original einst als römischer Soldat gedacht, im soliden grauen Anzug daher kommt. Eine komplett andere Welt als die vorgesehene antike, die Religiosität ist auf schlimme Weise aufgeheizt, und die exzessive Ausstattung (nicht nur wegen einer Riesenschar von Gekreuzigten in flackerndem Licht) zeigt in ihrer opulenten Bewegtheit, dass La Fura dels Baus hinter dem Konzept steckt (Ausstattung: Alfons Flores und Lluc Castells). Ku-Klux-Klan erscheint in der Optik ebenso wie faschistisch anmutende Soldatenuniformen oder flotte moderne Hosen für die Damen zwischendurch. Es steckt schon sehr viel gewollte Provokation in dieser Interpretation, die nicht unbedingt einen sinnvollen Weg zu diesem Stück bahnt, wenn man auch eine Menge zu schauen bekommt.
Dafür steht mit Antonio Pappano ein leidenschaftlicher Dirigent am Pult, der für Covent Garden mehr und mehr das ist, was James Levine – mit noch öffentlich unbeflecktem Ruf damals – für die Met war: Der Mann, der alles kann und im Grunde alles gut macht.
Und wenn Joseph Calleja als Darsteller wieder einmal nicht viel zu bieten hat (und er wird es auch nicht mehr lernen), so macht seine Stimme ihn doch erneut zu einer akustischen Idealbesetzung, das wundervolle Timbre, die glanzvollen Höhen, die sichere Technik, die alle Register und Stimmfarben mit völliger Selbstverständlichkeit bedient.
Sonya Yoncheva hat mit der Norma von einer Absage der Netrebko profitiert, die – es ist zu vermuten – die Rolle mit schönerem Timbre vermutlich sinnlicher gesungen hätte. Nichtsdestoweniger ist die junge Bulgarin (die ihr „Casta Diva“ von einer Kanzel singt) hoch gespannt, wird in der Dramatik nur ganz selten kurzatmig, schleudert Koloraturen und Spitzentöne und gibt der Figur Dämonie, mehr als dass sie als liebende Frau überzeugte.
Eine gute Besetzung jedenfalls, was man leider von Sonia Ganassi nicht sagen kann. Man kennt sie meist an der Seite der Gruberova, die keine starke Gegenspielerin möchte, und diese Adalgisa lässt an Persönlichkeit und Reiz und folglich auch Überzeugungskraft einiges missen (schließlich soll man begreifen, dass Pollione sie Norma vorzieht) und ist auch stimmlich, eher hell timbriert, keinesfalls das benötige dritte Atout in der Besetzung.
Immerhin, die Londoner Presse, die teilweise den Abend „irritating“ fand, gab sich mit Dirigenten und Hauptdarstellern zufrieden, und wer die Aufführung per Video besucht, wird interessiert und wohl gleichfalls irritiert zusehen, aber weder Geld noch Zeit, die man investiert hat, für verloren achten. Oper sieht heutzutage meist so aus.
Renate Wagner
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Vincenzo Bellini:
NORMA
Norma – Sonya Yoncheva,
Pollione – Joseph Calleja,
Adalgisa – Sonia Ganassi,
Oroveso – Brindley Sherratt,
Flavio – David Junghoon Kim,
Clotilde – Vlada Borovko;
Conductor – Antonio Pappano,
Director – Àlex Ollé,
Associate director – Valentina Carrasco,
Set designer – Alfons Flores,
Costume designer – Lluc Castells,
Lighting designer – Marco Filibeck,
Orchestra of the Royal Opera House,
Royal Opera Chorus.
Royal Opera House, Covent Garden, London 2016