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DVD Massenet: WERTHER (Zürich 2017)

26.03.2018 | dvd

DVD
Massenet: WERTHER
Zürich 2017
Accentus Music

Wer nach dieser DVD greift, tut es vermutlich in erster Linie um des Titelhelden willen: Juan Diego Flórez ist nun Mitte 40 und weiß genau, dass er nicht in alle Ewigkeit die Rollen des italienischen Belcanto-Fachs singen kann (und will), für die er berühmt geworden ist – mit dieser schlanken, klaren, hellen Tenorstimme und den bombensicheren hohen und höchsten Tönen, noch über das hohe C hinaus. Die Ansprüche an diese Rollen liegen vor allem in der Technik wenn auch gelegentlich wie beim Bauerntölpel Tonio in der „Regimentstochter“ oder bei Nemorino im „Liebestrank“ Ansprüche an die Vis Comica gestellt werden. Aber Florez kann und will mehr, und der Züricher „Werther“ ist wieder ein Schritt in die richtige Richtung.

Es ist eine anspruchsvolle Partie mit berüchtigt schwierigen Übergängen, es ist sehr viel, Verschiedenes und Berühmtes zu singen, und auch ein Liebender darzustellen, der in den Tod geht – da ist Glaubwürdigkeit gefragt. Florez, der seine schlanke, jugendliche Silhouette bewahrt hat, ist stimmlich auf der Höhe der Anforderungen, so ein romantischer Franzose singt sich anders als die Italiener, sein Tenor bietet jetzt volleren, sinnlicheren Schmelz. Strahlende Höhen und verschwebende Piani verweisen auf die exzellente Technik, mit der er schon immer seine Karriere bestreitet. Und er kann die geforderten Gefühle auch mit der Stimme ausdrücken, die Liebe, die Verzweiflung, das Sterben – auch wenn er damit vielleicht manchmal an seine Grenzen kommt. Das „Pourquoi me réveiller“ sang er jedenfalls mit solcher Intensität, dass das Züricher Publikum in einen Beifallssturm ausbrach.

Er muss seinen Liebenden allerdings in einer Inszenierung abliefern, wie wieder typisch dafür ist, was Regisseure den Künstlern und dem Publikum zumuten. Es ist Tatjana Gürbaca am Werk, die in Wien letzten Dezember den künstlichen „Ring“ am Theater an der Wien zusammen gebastelt hat und von der man weiß, wie sehr sie ihre oft uneinsichtigen Ideen liebt.

Sie stellt „Werther“ in ein reizlos kaltes Bürgerzimmer, das als Einheitsbühnenbild fungiert (Klaus Grünberg), wo der sterbende Werther dann irgendwann in der Diele liegt, während draußen Schnee fällt. Hier tummelt sich eine schreckliche, parodistische Bürgerlichkeit, und in der Kinderschar befindet sich auch eines im Rollstuhl – politisch korrekt. Was ein Fest im Freien sein soll, wird von einer Schar alter Frauen unter blumigen Rüschenhäubchen, die starr im Raum sitzen, frequentiert. Die Lichtgestaltung, für die auch der Bühnenbildner zuständig ist, taucht das Geschehen mal in lila, mal in blaues Licht, wohl um es von der Realität abzuheben – eine Realität, die so hässlich ist, dass man nicht versteht, wie ein Romantiker wie Werther sich hier herein verlieren und hier verlieben kann…

Juan Diego Florez ist das vordringlichste Opfer der Regie, und man kann nur bewundern, wie er alle Anforderungen exekutiert (vielleicht nicht wirklich mit Begeisterung, oder?) – ob er mit einem Indianerfederschmuck am Kopf geschmückt wird oder eine Liebesarie zu einer wirklich mikrigen Puppe singen muss, die er in der Hand hält, ob er mit einem Waschschaff agiert oder Luftballonen – nun, seine Charlotte muss ja auch einmal große gelbe Putzhandschuhe tragen… wie so oft bei dieser Regisseurin geht es darum, das Geschehen so tief wie möglich herunterzuziehen, als ob diese Oper tatsächlich etwas mit Küchenarbeit zu tun hätte.

Anna Stéphany als Charlotte ist einer jener Mezzos, die mehr wie ein Sopran klingen, und keinesfalls ein junges Mädchen, das einen jungen Mann entzücken muss. Als verheiratete Frau legt sie an Überzeugungskraft zu, die Briefszene gelingt intensiv. Mélissa Petit (die 2017 auf der Bregenzer Seebühne die Micaela gesungen hat) war eine Sophie mit leichter, hübscher Stimme, die anderen Darsteller mussten albern agieren und konnten solcherart nicht wirklich beeindrucken.

Dass am Ende, während Werther stirbt, ein uraltes Paar in der Wohnküche tanzt (mit dem Indianerkopfschmuck und dem Krönchen, die Werther und Sophie früher getragen haben), mag der Regisseurin tiefgründig vorgekommen sein, im Grunde ist es nur das übliche, absichtsvolle Getue, das auf die Aufmerksamkeit des Feuilletons schielt.

Cornelius Meister am Pult nahm die Musik manchmal sehr langsam, was vor allem für Werther eine Anstrengung bedeutet hätte – wäre es nicht Juan Diego Florez, der so sehr in dieser Rolle drinnen stand, dass ihm nicht passieren konnte, Und man ihm bald eine jener schönen, romantischen Inszenierungen wünschen würde, wie Kaufmann sie in Paris und New York singen durfte… Bis dahin geben sich die Fans allerdings zweifellos mit dieser DVD zufrieden.

Renate Wagner

 

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