DVD LES FÊTES DE L‘HYMEN ET DE L‘AMOUR – bildmächtige Aufführung vom 6.10.2014 aus dem John F. Kennedy Center for the Performing Arts, Washington DC, NAXOS
Rameaus gewaltige barocke Opern- und Tanztheaterexperimente sind schon längst über Frankreichs Grenzen hinaus für allerlei Bühnen, wie hier in den USA, zu echten Publikumshits geworden. Ihren 20. Geburtstag feierte die Opernkompanie Lafayette nämlich mit zwei Aufführung von Rameaus heroischem Ballett „Les Fêtes de l’Hymen et de l’Amour“, am 6.10.2014 in der Konzerthalle des Kennedy Center, Washington, DC und am 9.10. im Jazz at Lincoln Center’s Rose Theater, New York.
Das dreiaktige Werk mit Prolog war 1747 im Auftrag des französischen Hofs aus Anlass der zweiten Heirat des Dauphins (Sohn Ludwig XV.) mit Maria Josepha von Sachsen entstanden. Librettist Louis de Cahusac hat die Handlung in ein mythisches Ägypten verlegt und den Theaterleuten so bis heute Gelegenheit gegeben, bildmächtig die Bühnenmaschinerie alle Stückeln spielen zu lassen. Sieben große Ballette gibt es zu bestaunen, Ensembles und Chöre haben ebenfalls ein gewichtiges Wort zu reden in diesem innovativen von Spezialeffekten, übernatürlichen Ereignissen nur so strotzenden Stück Musiktheaters. Da gibt es eine Szene, wo der Nil über die Ufer tritt – in Musik mit einem virtuosen zehnstimmiger Doppelchor samt Solisten und Orchester übertragen, sowie das einzige Sextett in einer Rameau-Oper überhaupt, dem ägyptischen Gott der Künste Aruéris entsprossen.
Ein kleines Beispiel, worum es geht? Im ersten Akt treffen Ägypter auf einen wilden Amazonenstamm. Aus Furcht versklavt zu werden, erklären die Frauen Osiris den Krieg. Aber Osiris erscheint als Friedensbote mit jeder Menge an Geschenken. Eine der Amazonen, Orthésie, verliebt sich in Osiris, eine andere, Mirrine, will den Kampf. Am Schluss siegt die Eintracht und es gibt ein öffentliches Liebesgeständnis. Die anderen Akte folgen einem ähnlichen Schema, widerstreitende Interessen, Arien, getanzte Divertissements, noch mehr Arien, Chöre und Schlussapotheose wiederum mit einem getanzten Tableau.
Erfreulich ist, dass die Musik nicht wie in Verdis Aida nach einer speziellen, wenngleich raffinierten so nichtsdestoweniger pseudoägyptischen Folklore klingt. Nein, auch für Ägypten hat Rameau die damals übliche Melange aus hochvirtuosen koloraturverzierten höfischen Gesängen im italienischen Stil, mächtigen Chornummer, rhythmisch raffinierten französischen Tanznummern idyllisch pastoralen Klängen inklusive (die Musik könnte auch zu einer Handlung, die in der Bretagne spielt, erfunden worden sein) zu einem faszinierenden Klanggesamtkunstwerk montiert.
Die Vorstellungen folgen der wissenschaftlichen Edition der Partitur unter der Leitung von Sylvie Bouissou. Die Operntruppe will ihre und der Oper Botschaft der in Frieden, Liebe und Schönheit vereinten Völker mit einem bunten Spektakel unter die Leute bringen. Drei verschiedene Tanzensembles und Choreographen (The New York Baroque Dance Company, Kalanidhi). Cance, The Seán Curran Company) wurden engagiert, um die Eigenart des Prologs und eines jeden Aktes (Osiris, Canope, Aruéris) auf spezifische Weise mit verschiedenen Stilrichtungen von Barock, Klassisch, Indisch bis zu Modern zum Ausdruck zu bringen.
Um es gleich auf den Punkt zu bringen, es wird besser getanzt als gesungen. Unter den zahlreichen Solistinnen und Solisten gibt es nur wenige, die wirklich stilistisch deklamatorisch bzw. von der Stimmschönheit her auffallen.
Die bisweilen an ein Broadway-Musical erinnernden Ballette samt den opulenten Kostümen (Jennifer Tardiff Beall) rechtfertigen diese Videoproduktion. Aber auch die doch ganz lustige Tatsache, dass eine barocke Huldigungsoper so viele parodistische Elemente aufweist und bisweilen mehr an eine Persiflage um die ewigen Fragen der Vorherrschaft von “Liebe/Ehe oder triebhaft tierisches Verlangen/Sex” erinnert. Selbst den so schön gefundenen Paaren erspart es Rameau musikalisch nicht, augenzwinkernd zuzuwinken. Als ob er sagte wollte, wer weiß, wie das ausgeht? Wunderbar.
Dr. Ingobert Waltenberger