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DVD: DONIZETTI: DON PASQUALE – Gastspiel der Wiener Staatsoper im Volkshaus Mürzzuschlag, 30.3.1977; NAXOS

Für Feinspitze und Nostalgiker: Edita Gruberova, Luigi Alva, Hans Helm und Oskar Czerwenka on Tour in der österreichischen Provinz

30.08.2020 | dvd

DVD: DONIZETTI: DON PASQUALE – Gastspiel der Wiener Staatsoper im Volkshaus Mürzzuschlag, 30.3.1977; NAXOS

 

Für Feinspitze und Nostalgiker: Edita Gruberova, Luigi Alva, Hans Helm  und Oskar Czerwenka  on Tour in der österreichischen Provinz

 

Ab der Saison 1977/78 begann die Wiener Staatsoper als Teil der Bundestheater durch die nähere und fernere Provinz zu touren. Organisiert hat das die Arbeiterkammer Wien. Gespielt wurde damals in Gmunden, Krems, Enns, Villach, Bad Gastein, Güssing, Bad Ischl und auch in Mürzzuschlag in Stadttheatern, Kongresszentren, Volksheimen und sonstigen Sälen, wie Erich Seitter in seinem hochinformativen Aufsatz „Don Pasquale und Die Wiener Staatsoper on Tour“ zu berichten weiß. Ich selber erinnere mich an eine sehr gute Aufführung der Staatsoper von Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ in Hollabrunn im Oktober 1981 mit Lotte Rysanek als Gräfin, Franz Waechter als Graf  und Silvia Herman als Cherubino.

 

Zurück nach Mürzzuschlag, der steirischen Stahlstadt mit 9000 Seelen, wo Elfriede Jelinek geboren war und Johannes Brahms 1884 auf Sommerfrische weilte und Teile seiner vierten Symphonie schrieb. Am 30. März 1977 gibt es da eine kleine italienische Oper mit einer für heutige Verhältnisse MET-tauglichen Besetzung: Donizettis Buffa „Don Pasquale“. 

 

Gefilmt hat Video Direktor Wolfgang Lesowsky nicht nur drinnen, sondern auch die gesamte Anfahrt bis zum Heben des Vorhangs wurde dokumentiert. Während der Ouvertüre steigt der Zuseher mit in den rot-weißen “Huber-Reisen“ Bus zum Volkshaus nach Mürzzuschlag, wo das Ensemble in bester Laune oder doch verschlafen durch die idyllische Landschaft zuckelt. Das Bühnenbild wird aufgebaut, Requisiten zurechtgerückt, ein Blick in die Garderobe geworfen, das Ausverkauft-Schild auf das Besetzungsplakat geleimt. Das junge slowakische Koloratursternchen Gruberova blinzelt durch den Vorhang auf den vollen Saal mit typisch für die 70-er Jahre auftoupierten Galafrisuren. Dann darf das dreiaktige federleichte Dramma buffo aus dem Jahr 1842 in die erste Runde gehen. 

 

Auf der Bühne (Matthias Kralj Bühnenbild, Evelyn Frank Kostüme)

wird sich gleich eine Heiratsintrige um den alten geizigen Junggesellen Don Pasquale und seinen Tenorneffen Ernesto abspielen. Es herrscht optischer Realismus samt pseudo Jugendstilelementen, giftgrünen Kunstpflanzen und sonstiger Möblage im „Leiner-Barock“.  Das war auch 1977 nicht geschmackssicher, aber halt eine praktikable Reiseausstattung. So oder so ähnlich waren damals auch Aufführungen von Salonstücken im Burgtheater oder Operetten an der Volksoper ausstaffiert. 

 

Auf den Brettern tummelt sich eine Abordnung des Ensembles der Wiener Staatsoper. Nur der schon im Herbst seiner Karriere näselnde Luigi Alva in der Rolle des jugendlichen Liebhabers  Ernesto war Gast. Natürlich hatte der Peruaner Alva glanzvolle Zeiten hinter sich, u.a. wirkte in der Plattenaufnahme von Rossinis „Barbier von Sevilla“ an der Seite von Maria Callas als Graf mit. Zumindest technisch war Alva 1977  aber noch ein äußerst verlässlicher Sänger. 

 

Die Titelrolle des heiratswilligen Junggesellen im Johannistrieb war dem österreichischen Bass-Urgestein Oskar Czerwenka anvertraut, sein Hausarzt Malatesta war beim eleganten Hans Helm in sehr guten Händen. Wenngleich nach strengen Belcanto Maßstäben doch das eine oder andere Stilauge zugedrückt werden muss, sind da zwei Erzkomödianten und echte Bühnentiere am Werk, die das Stück mit prall bodenständigen Humor und stummfilmtauglicher Mimik wie am Schnürl abspulen lassen. Vor allem gelingt es Czerwenka als auch Helm, Figuren aus Fleisch und Blut mit all ihren seelischen Freuden und Nöten samt passenden Zwischentönen vor uns erstehen zu lassen. Auch Ex-Alberich Alois Pernersdorfer in der kleinen Rolle des Notars agiert vorzüglich.

 

Im Zentrum der Aufführung stand natürlich die junge Edita Gruberova, die damals in Wien in mehreren komischen Rollen reüssierte (Adele, Fiakermilli, Aminta). Ihre eigentliche Glanzrolle war ja die Zerbinetta, was gelegentlich nach all den Belcanto-Queen Rollen im letzten Viertel ihrer Karriere übersehen wird. 1977 war Gruberova eine bildhüsche Sängerin, darstellerisch mit einer untrüglichen Begabung für komische Rollen begabt. Ein zwitschernder Wirbelwind, ein Naturwunder an Bühnenpräsenz, erhöht der herb-süße Charme noch die darstellerische Wirkung. Die unglaubliche Wandlung von der schüchternen Klosterschülerin Sofronia zum zickig verschwenderischen Monster ist eines ihrer faszinierenden Kabinettstücke, die das Publikum zu Ovationen hinriss. Der Streit mit Pasquale im dritten Akt kulminiert in einer handfesten Watschen. Die glitzernden Koloraturen und spielerisch leicht anspringenden Höhen tun das ihrige, um über das Gesamtkunstwerk Gruberova am Sprung zur internationalen Karriere staunen zu können. 

 

Dirigent Héctor Urbón schlägt gleichermaßen Funken und melancholische Kantilenen aus der meisterlichen Partitur. Die kleinere Orchesterbesetzung bietet den Vorteil, dass das Kammermusikalische der Oper auch im Graben ausgesprochen gut funktioniert.

 

Fazit: Unbedingte Empfehlung für alle Gruberova-Fans und für diejenigen, die sich vom hohen Niveau des Ensembles der Wiener Staatsoper 1977 einen Eindruck verschaffen wollen. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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