DVD
DIE WELT DES WILLIAM SHAKESPEARE
TRAGEDIES
COMEDIES
HENRIAD
HAMLET / KING LEAR / OTELLO / CYMBELINE
Opus arte
Die Welt des William Shakespeare: eine kaum übersehbare Fülle von Theaterstücken aller Genres, von denen es fast alle vom 16./17. Jahrhundert ( Shakespeare starb 1616, vor zwei Jahren war sein 400. Todestag!) in unsere Zeit, auf unsere Bühnen geschafft haben. „Live“ den Überblick über Aufführungen zu behalten, kann man als ausgeschlossen betrachten, selbst wenn man sich auf eine Stadt – sagen wir London – beschränken wollte: Zu weit würden die einzigen Premierentermine auseinander liegen. Glücklicherweise kann sich der Theaterfreund anders behelfen.
THE GLOBE: SHAKESPEARE PUR
Es gibt Übertragungen, „Globe on Screen“ vor allem, die als DVDs vorliegen. Und wenn man sich die dickleibigen Kassetten mit „Tragedies“, „Comedies“ und „Henriad“ zulegt, dann hat man schon einen ganz großen Teil von Shakespeares Werk in großteils prächtigen Aufführungen zu Hause, die man sich in beliebiger Zusammenstellung zu Gemüte führen kann. Ein Unternehmen, das Wochen benötigt, selbst wenn man es ganz konsequent verfolgt. Ein Unternehmen, das sich mehr als lobt.
Bleiben wir bei den Aufführungen des „Globe“ zu Beginn (denn es gibt noch Ergänzungs-DVDs mit Aufführungen der Royal Shakespeare Company): Man hat den Rundbau des „Globe“-Theaters an der Themse wieder aufgebaut, möglichst so, wie es zu Shakespeares Zeiten aussah, und es wird vom Publikum bestens angenommen, das sich zu den Vorstellungen drängt. Jeder London-Besucher ist dabei, und wenn er nicht viel Geld hat, zwängt er sich in einen Stehplatz vor der Bühne, denn man sitzt nur (teurer und weiter hinten) im Halbrund herum.
Es ist ein Bretterverschlag, auf dem gespielt wird, dahinter gibt es (es funktioniert im Prinzip wie einst bei den römischen Freilichtbühnen) eine einstöckige Bühnenwand, die nicht nur bespielt, sondern auch je nach Bedarf gestaltet (meist mit passendem Stoff verhängt) wird: Der Großteil des „Bühnenzaubers“ geht von der reichlich eingesetzten Musik, von den bunten, charakterisierenden Kostümen – und der Phantasie des Zuschauers aus.
Damals wie heute setzt man im Globe auf „Shakespeare pur“, und das bedeutet Schauspieler, die mit seiner Sprache umgehen können – und das so souverän, geschmeidig und vor allem natürlich, als wäre all das nicht vor 400 Jahren, sondern heute geschrieben. Dass dieser Dichter so viel von Menschen verstand wie sonst nur wenige – das vermittelt so gut wie jedes Shakespeare-Stück, wenn es so gespielt wird, dass es die Zuschauer erreicht. Wenn man die 20 Stücke der drei Globe-Kassetten (als Draufgabe hat man noch „Doctor Faustus“ von Zeitgenosse Christopher Marlowe dazu gegeben) gesehen hat, dann weiß man: Die scheinbar „historisierende“ Aufführungspraxis des Globe ist in ihrer Lebendigkeit eine durchaus heutige.
DIE TRAGÖDIEN
Titus Andronicus
Cast: William Houston, Indira Varma, Obi Abili, Matthew Needham, Ian Gelder
Director: Lucy Bailey
Romeo and Juliet
Cast: Adetomiwa Edun, Ellie Kendrick, Philip Cumbus, Penny Layden
Director: Dominic Dromgoole
Julius Caesar
Cast: George Irving, Tom McKay Anthony Howell, Luke Thompson, Catherine Bailey
Director: Dominic Dromgoole
Macbeth
Cast: Joseph Millson, Samantha Spiro, Stuart Bowman, Billy Boyd, Gawn Grainger
Director: Eve Best
Antony and Cleopatra
Cast: Clive Wood, Eve Best, Jonathan Bonnici, Philip Correia, Jolyon Coy
Director: Jonathan Munby
Christopher Marlowe: Doctor Faustus
Cast: Paul Hilton, Arthur Darvill Charlotte Broom, Michael Camp, Richard Clews, Nigel Cooke, Jonathan Cullen
Director: Matthew Dunster
Fünf Shakespeare-Stücke in den „Tragödien“ (weil solche, die wir vom Inhalt her als „Tragödien“ einstufen würden wie „Der Kaufmann von Venedig“ und eigentlich auch „Der Sturm“, dann bei den „Comedies“ zu finden sind) – das bietet die volle Bandbreite der Möglichkeiten. In „Romeo und Julia“ (mit einem „schwarzen“ Romeo) gewöhnt man sich daran, dass der Anteil der farbigen Darsteller auf englischen Bühnen nicht nur groß, sondern selbstverständlich ist. Man kann überhaupt auf ein schier endloses Reservoire von Darstellern zurückgreifen, die Shakespeare souverän bewältigen – großteils (natürlich nicht alle) ungemein exakte Sprecher, vor allem die ältere Generation hat Shakespeare im kleinen Finger. Sie atmen geradezu mit der Sprache, und wo Pathos klingen soll, klingt es auch und gehört dazu. Es ist ein Teil der lockeren Selbstverständlichkeit des Ganzen. Wobei man nie vergessen darf, dass es sich bei aller scheinbaren Direktheit natürlich um hoch stilisiertes Theater handelt.
Die Schauspieler, die man hier sieht, haben in den seltensten Fällen mehr als regionalen Ruhm gewonnen (es gibt nur einige wenige), aber ihren Shakespeare können sie: Sie steigen in die Rollen, und in den „Globe“-Aufführungen (aber nur in diesen) rückt keinerlei „Interpretation“ sie von ihren Figuren ab: Sie spielen, was Shakespeare geschrieben hat, und tun es bewundernswert. Sie können auch fechten und kämpfen, tanzen und singen, bewegen sich mit choreographischer Exaktheit…
Das reicht von jugendlichem Überschwang, der in Tragik kippt („Romeo and Juliet“) bis zu den schockhaften, durchaus ausgespielten Exzessen, die Shakespeare in seinem extremsten Stück, „Titus Andronicus“, auf die Bühne brachte – wahrlich, er und kein anderer hat das „Theater der Grausamkeit“ erfunden, mitsamt dem brutal-kruden Humor, den die Aufführung auch schonungslos bedient.
Gespielt wird im allgemeinen in Kostümen der Shakespeare-Zeit, jene Renaissance, die man aus den Gemälden der Elizabethanischen Ära kennt, wobei es durchaus zu Differenzierungen kommt – locker ein Tuch über die Schulter des Renaissance-Wams gehängt (manchmal, nicht immer), und man ist in Rom bei „Julius Caesar“. Noch bunter wird es bei „Antony and Cleopatra“, denn da spielt die „Ägyptomanie“ in der Ausstattung stark mit, versprüht Exotik und Dekadenz. Eve Best (sie kennt man aus dem Film „The King’s Speech“ als Wallis Simpson) ist da eine laszive, herausfordernde Cleopatra – und war dem spannenden „Macbeth“ eine exzellente Regisseurin (wobei die in allen Stücken wunderbar passende Musik hier die Highland-Dudelsack-Klänge benützte). Ja, und wie gesagt, den „Doctor Faustus“ gibt es in der „Tragödien“-Box als opulente Draufgabe.
DIE KOMÖDIEN
The Comedy of Errors
Cast: Matthew Needham, Simon Harrison, Hattie Ladbury
Director: Blanche McIntyre
The Taming of the Shrew
Cast: Samantha Spiro, Simon Paisley Day
Director: Toby Frow
Love’s Labours’s Lost
Cast: Philip Cumbus, Trystan Gravelle
Director: Dominic Dromgoole
A Midsummer Night’s Dream
Cast: Michelle Terry, Pearce Quigley
Director: Dominic Dromgoole
The Merchant of Venice
Cast: Jonathan Pryce, Dominic Mafham
Director: Jonathan Munby
Much Ado About Nothing
Cast: Eve Best, Charles Edwards
Director: Jeremy Herrin
As You Like It
Cast: Naomi Frederick, Jack Laskey, Dominic Rowan
Director: Thea Sharrock
Twelfth Night
Cast: Mark Rylance, Roger Lloyd Pack, Stephen Fry
Director: Tim Carroll
The Merry Wives of Windsor
Cast: Christopher Benjamin, Serena Evans, Sarah Woodward
Director: Christopher Luscombe
All’s Well That Ends Well
Cast: Janie Dee, Sam Crane, Ellie Piercy
Director: John Dove
Measure for Measure
Cast: Dominic Rowan, Kurt Egyiawan
Director: Dominic Dromgoole
The Tempest
Cast: Roger Allam
Director: Jeremy Herrin
Bei den Komödien scheint der Anteil (heiterer) Musik noch größer, die Kostüme wirken noch bunter, die Körpersprache noch akrobatischer, die Turbulenzen noch verrückter, der Humor noch schamloser – etwa in schier endlosen stummen Szenen, in denen Diener vor sich hin albern… Man arbeitet verstärkt mit den Dialekten, die schließlich auch das soziale Panorama widerspiegeln, (keine Frage, dass man sich diese Produktionen alle auf Englisch ansehen muss), und die Darsteller scheinen vor Temperament zu platzen, zumal in den Stücken, die auf den ersten Blick simpler erscheinen als andere. Und da die Aufzeichnungen auch immer wieder ins Publikum schwenken, wird klar, welchen „Volksfest“-Charakter diese Aufführungen live entwickeln, wo sich die Darsteller auch immer wieder einmal unter die Zuschauer mischen können…
Bei den berühmten, auch hierzulande immer wieder gespielten Werken, sieht man – zu Inszenierungs-Vergleichszwecken – noch genauer hin: Der „Sommernachtstraum“ mit seiner Wald-Dekoration, ein Element, das auch auf die Kostüme übergreift (da gibt alles allerlei Mystisches, Geweihe auch), und vor allem der „Kaufmann von Venedig“, der in Jonathan Pryce auch einen film-berühmten Hauptdarsteller hat. Wie spielt er den Shylock? Nein, nicht wie bei uns – keine Schläfenlocken, gar kein Gejüdel, optisch von den anderen Kaufleuten nicht zu unterscheiden, ein cooler Geschäftsmann, der auch so argumentiert, wenn er Menschenfleisch herausschneiden will. Er hält seine elegante Distanz von den anderen – und lässt unterschwellig die Verachtung fühlen, die er für sie empfindet. Schlechtweg atemberaubend…
Eine der verrücktesten Produktionen gilt „Twelve Night“, bei uns als „Was ihr wollt“ bekannt, denn hier sind alle Frauenfiguren (Viola, Olivia, Maria) mit Männern besetzt – nicht nur eine Hommage an die Shakespeare-Zeit, wo bekanntlich keine Frauen auf der Bühne geduldet wurden, sondern auch ein abgründiger, geradezu irrwitzer Spaß (wenn etwa Mark Rylance, den man auch aus dem Kino kennt, die Olivia geradezu als erstarrte Trauerweide hinstellt). Dafür wird Malvolio nicht so gnadenlos herunter gemacht wie in deutschsprachigen Aufführungen üblicherweise, sondern dieser alte Herr ist in seiner Lächerlichkeit geradezu rührend…
Wie auch der Sir John Falstaff („The Merry Wives of Windsor“) nicht, wie bei uns meist, überdick und überpolternd daherkommt, sondern in Gestalt von Christopher Benjamin durchaus knochentrockenen Humor verbreitet. Am Ende wird hier mit Gesang und Tanz eine Art „Masque“ der Elizabethanischen Zeit entfaltet.
Im „Sturm“ (mit Roger Allam als gänzlich unpathetischem Prospero) wird klar, wie viel etwa die berühmte Aufführung von Peter Brook den schlichten Vorgaben verdankt, mit denen die Theatermacher des „Globe“ so souverän umgehen.
Fazit: Wie Shakespeare Menschen vorführen kann, in ihren tiefen Gefühlen und in ihrer Lächerlichkeit, wie er immer wieder die Beziehungen zwischen Mann und Frau auslotet (und die Frauen dabei gar nicht unbedingt den kürzeren ziehen), wie nichts, aber schon gar nichts Menschliches und Unmenschliches ihm fremd ist… das zeigen diese Aufführungen. Ja, keine Frage, das ist der größte Dramatiker aller Zeiten.
HENRIAD
Richard II
Cast: Charles Edwards, Henry Everett, William Gaunt, Jonny Glynn, David Sturzaker, William Chubb, Sasha Waddell, Sarah Woodward
Director: Simon Godwin
Henry IV Part I
Cast: Roger Allam, Jamie Parker, Oliver Cotton, Sam Crane, Barbara Marten, William Gaunt, Paul Rider, Jason Baughan, Danny Lee Wynter, Christopher Godwin, Joseph Timms, Lorna Stuart, Sean Kearns, Daon Broni
Director: Dominic Dromgoole
Henry IV Part II
Cast: Roger Allam, Jamie Parker, Oliver Cotton, Barbara Marten, William Gaunt, Paul Rider, Jason Baughan, Lee Wynter, Patrick Brennan, Sam Crane, Christopher Godwin, Joseph Timms, Lorna Stuart, Phil Cheadle
Director: Dominic Dromgoole
Henry V
Cast: Brid Brennan, Graham Butler, Nigel Cooke, Giles Cooper, Sam Cox, Kurt Egyiawan, Matthew Flynn, David Hargreaves, Beruce Khan, James Lailey, Nathan Medina, Brendan O’Hea, Chris O’Shea, Jamie Parker, Paul Rider, Olivia Ross, Chris Starkie, Lisa Stevenson, Roger Watkins
Director: Dominic Dromgoole
Was wir als die „Königsdramen“ verstehen, vom zweiten bis zum dritten Richard, dreimal Henry dazu, sehen die Briten anders. Die „Henriad“ widmet sich nur dem Haus von Lancaster, der Roten Rose, also König Richard II., Heinrich IV. und Heinrich V. (warum man die anderen Lancasters, Heinrich VI und VII nicht mitnimmt, weiß man nicht) – mit Richard III. ging ja bekanntlich die Sonne Yorks und der Weißen Rose auf. Er fehlt natürlich empfindlich als einer von Shakespeares grandiosesten „schwarzen Helden“ (aber da kann man notfalls auf den unübertrefflichen Sir Laurence Olivier zurückgreifen, den es auch auf DVD gibt).
Mit Charles Edwards als faszinierendem Richard II., der die Überforderung klar macht, in einer Welt voll Unsicherheit und Intrigen König zu sein, beherrscht diesmal Roger Allam als der gar nicht so lustige Falstaff einen Teil des Geschehens von „Heinrich IV.“, wo Jamie Parker vom „Prince Hal“ hier zum „Henry V.“ im nächsten Stück reift, wie man íhn sich vorstellt. Und der das Stück am Ende mit einer absolut hinreißenden Werbeszene um seine französische Prinzessin Catherine (Olivia Ross) krönt.
DIE ROYAL SHAKESPEARE COMPANY:
SHAKESPEARE HEUTE
Die Royal Shakespeare Company ist der Gegenentwurf zu dem, was im „Globe“ gezeigt wird. Bietet dieses „Shakespeare pur“, so ist das andere Ensemble (einst 1960 von dem kürzlich verstorbenen Peter Hall gegründet) im Sinn von „Shakespeare heute“ unterwegs. Zuhause ist man vor allem im Shakespeare-Ort Stratford-upon-Avon, wenn man sich nicht auf Tournee befindet. Gespielt wird auf einer Raumbühne und in dem Sinn, wie wir deutsches Regietheater erleben – die Werke strikt in die Gegenwart geholt, in Kostüm, Ambiente und Verhalten der Menschen. Das gibt unterschiedliche Ergebnisse – aber durchaus spannende.
Wenn etwa „Hamlet“ ganz „schwarz“ ist, die meisten Hauptdarsteller mit Farbigen besetzt, womit ein Hauch von Exotik das Geschehen durchsetzt und man sich nicht in Dänemark, sondern in einem totalitären afrikanischen Land wähnt – Afrika-Folklore schimmert in den Stoffen und Accessoirs, die Theater-auf-dem-Theater-Szene wirkt wie eine regelrechte Afrika-Parodie, der finale Kampf findet mit Stöcken statt (allerdings stand Hamlet mit einer Pistole hinter dem betenden Claudius und erwog, ihn zu töten…)
„King Lear“ ist der großartige Antony Sher, der – wie man es sich auch in einer Inszenierung hierzulande vorstellen könnte – am Ende im Irrenhaus landet, von Krankenschwestern umgeben. Auch hier ist Shakespeares „grausames Theater“ schonungslos realisiert, und immer wieder macht dieser Dichter klar, wie man sich in seiner Beurteilung von Menschen irren kann, wenn man die Elemente Macht und Gier nicht entsprechend berücksichtigt…
In „Otello“ ist auch Jago ein Schwarzer, was seinem Haß eine neue Dimension gibt, und alles dreht sich um die blonde Desdemona, wobei wir uns auch hier in einer gegenwärtigen Welt befinden, ein Militärlager, wo zur Unterhaltung in der Disco Rap und Hip-Hop herrschen…
„Cymbeline“ schließlich ist in eine düstere Halbwelt der Fetzen- und Unterwäsche-Träger versetzt, in der König Cymbeline zu einer Königin geworden ist und um die Macht mit den Mitteln der Verbrecherwelt des Kinos gekämpft wird – durchsetzt mit echten filmischen Horrorelementen. Näher kann man an die Gegenwart gar nicht heranrücken. Und doch: Auch das ist Shakespeare.
IM VERGLEICH
Nun gibt es Produktionen, die sowohl in Aufführungen des Globe wie der Royal Shakespeare Company als Aufzeichnung vorliegen. Die Vergleiche erzählen von der Mannigfaltigkeit der Theaterlandschaft.
Die Römerstücke
2017 hat die RSC in ihrer Saison in Stratford einen Schwerpunkt auf Römerstücke gelegt – und mit der Interpretation von „Julius Caesar“ überrascht (und die Presse auch enttäuscht), weil Regisseur Angus Jackson so gar keine „moderne Übersetzung“ des Stücks unternahm, sondern gewissermaßen ein stilisiertes Rom auf die Bühne stellte, mit Togen, römischen Uniformen, den Fetzen des römischen Volks, historisierend rund um ein zentrales Podest, auf das Treppen hinauf führen. Zwar verhandeln die Römer untereinander wie Politiker von heute und Andrew Woodall liefert das Porträt eines Hochmütigen, rundum gibt es viel düstere Beleuchtung, Donner und Blitz und Schlachtenwirbel, eine brutale Ermordung nicht nur Caesars, sondern später auch von Cinna dem Poeten durch das Volks (irrtümlich, wie man weiß), aber die modernen Bezüge von Politik und Betrug, Macht und Mord wollten sich nicht einstellen. Dass ausgerechnet die RSC die Modernisierung verweigerte und so „blandly conventional“ war, wollte nicht in die Köpfe der Kritiker.
Die „römische Saison“ wurde mit „Antony and Cleopatra“ in der Regie von Iqbal Khan fortgesetzt, der etwas von „ägyptischer“ Optik brachte, aber nicht annähernd das Augenfest, das man im Globe für dieses Stück entfesselt hat. Doch auch hier ist Cleopatra das absolute Atout der Aufführung: Die aus der Karibik stammende Josette Simon, von der Presse gefeiert als „a Cleopatra to die for“ (was Antony ja auch tut, hier sogar ziemlich grausam ausgespielt), ist schön, klug, sexy, intrigant, faszinierend und wirkt wie eine moderne Frau, die man von Alexandria sofort nach London oder eher noch ins glitzernde New York versetzen könnte – dagegen ist Antony Byrne so ganz durchschnittlich, rotbärtig normal, dass ein bisschen das Feuer des abgründigen Traumpaares fehlt. Dennoch: Auch das ist keine „moderne“ Aufführung, aber wo Schauspieler das Feuer anzünden, wird man über die Optik nicht rechten.
(Heuer im Herbst, September 2018, wird Ralph Fiennes als Antony auf die Bühne des National Theatre in London steigen – davon hätte man dann auch gerne eine DVD…)
Königsdramen
Auch die jüngsten Umsetzungen von einigen von Shakespeares Königsdramen sind historisierendes Kostüme-Theater, wobei es dann an den Darstellern ist, ihre Figuren als grundlegende, immer gültige Charakterstudien zu formen. So ist der Titelheld in „Richard II.“ ein Mann, der ein Amt quasi geschenkt bekam und ihm nicht gewachsen ist – und David Tennant, in England sehr populär, liefert eine atemberaubend faszinierende Studie eines eitlen Schnösels und dessen geistiger Zerrüttung. Mit dieser schillernden Exzentrik, mit geradezu zelebriterter Schauspielkunst mischt er das ganze „Rosenkriege“-Mittelalter mit Roben und Rüstungen, Intrigen und Schlachten auf.
„Henry V“ ist ein Königsdrama, das die Geschichte von „Prinz Hal“ aus den vorangegangenen Stücken weiter erzählt. Nun ist er wahrlich zum König gereift, „Shakespeares Darling“, der Strahlemann, wie ihn Laurence Olivier gespielt hat, Kenneth Branagh, wenngleich schon etwas problematischer, auch. Und Alex Hassell ist keinesfalls der a priori positive Typ, da feuert keiner begeisternd seine Soldaten an, dieser König hat Probleme, doch er siegt, tut es überzeugend – und auch hier gewinnt er am Ende, wenn er um seine französische Prinzessin (bezaubernd: Jennifer Kirby) wirbt, als unsicherer Liebender ungeahnten Charme. Freilich ist Oliver Ford Davies in weidlich heutigem Gewand als „Chorus“ der vielleicht faszinierendste Aspekt des Abends, einer, der immer wieder kommt und eine Geschichte erzählen kann, wie man Geschichten erzählt, so dass man ihm mit Faszination folgt. Dass das Königsdrama in spärlichem Raum von den Kostümen angedeutet aussieht wie ein solches und nicht wie eine Bürogeschichte – ob das ein Rückschritt ist, muss jeder selbst beurteilen. Unsere Politiker gehen ja schließlich nicht persönlich aufs Schlachtfeld wie die Herrscher bei Shakespeare… Und man tut sich ja auch mit den komödiantischen Szenen, die hier saftig ausgespielt werden, in den alten Gewändern leichter.
Die „Komödien“
Wir würden den „Kaufmann von Venedig“ nicht als Komödie betrachten, die „Zwei Herren aus Verona“ hingegen doch, aber hier ist die RSC dann wieder auf der Höhe ihrer zeitgemäßen Interpretation.
Der „Merchant of Venice“ des Globe Theatre hat den faszinierenden Jonathan Pryce als Shylock zu bieten, die RSC kommt dem Publikum mit Makram J. Khoury in dieser Rolle genau so interessant – zumal, wenn man weiß, dass dieser Schauspieler eigentlich ein Palästinenser ist. Und weit mehr „Jude“ als Pryce, mit dem ausgeprägten Akzent des „Ausländers“, mit der charakteristischen Körpersprache, den Handbewegungen – und einer genau nach zu vollziehenden Entwicklung. Einer, der sich zu Beginn gerne jovial geben möchte, um in dieser eitlen, ganz heutigen venezianischen Kaufmannswelt akzeptiert zu werden, der aber dann, als es ans Eingemachte geht, auch böse werden kann und es nicht länger verbergen will… da wird die Außenseiterproblematik hart und knapp an die Spitze getrieben. Regisseurin Polly Findlay hat einige Rollen (vor allem bei den Frauen) ganz „gegen den Strich“ besetzt und gibt dem Abend inszenatorisch auch einige Wendungen ins Absurde (wenn etwa der Narr Lanzelot Gobbo mit Clownsmaske herumirrt), aber es bleibt immer die packende Umsetzung von einem von Shakespeares schmerzlichsten Stücken.
Wenn die „Two Gentemen of Verona“ im Ambiente einer italienischen Trattoria beginnen, passende Musik inbegriffen, erwartet man nichts Böses – eine Komödie eben. Junge Leute von heute, Rucksacktouristen, und ältere, besser gekleidete Herrschaften – die üblichen verworrenen (samt jungen Frauen, die sich als Männer verkleiden) Liebesgeschichten, aus denen nicht so schnell Heiratsachen werden, denn Regisseur Simon Godwin begnügt sich nicht mit Komik (samt Hund auf der Bühne). Da driftet man in andere Welten ab, nicht nur in Discos, sondern in Slums, Brutalität, Kriminalität, und die Düsternis in der Komödie macht wieder einmal klar, wie viele Schichten in Shakespeare doch stecken. Und die Theatermacher graben und graben erfolgreich danach.
Renate Wagner