Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DVD BO HOLTEN: GESUALDO SHADOWS – eine moderne Barockoper in drei Akten

Live Aufnahme aus der Funen Oper Odense, 4.11.2016 - DACAPO Records

07.01.2019 | dvd

DVD BO HOLTEN: GESUALDO SHADOWS – eine moderne Barockoper in drei Akten

Live Aufnahme aus der Funen Oper Odense, 4.11.2016 – DACAPO Records

 

Das Leben und Schaffen des exzentrischen Renaissanceprinzen Carlo Gesualdo, neurotischer Avantgarde-Komponist von polyphonen Madrigalen und Motetten, Mörder aus Eifersucht, faszinierte seinerseits Kunstschaffende aller Art. Im 20. Jahrhundert von Stravinsky wiederentdeckt, diente der Gesualdo-Stoff etlichen zeitgenössischen Komponisten von Salvatore Sciarrino, Alfred Schnittke über Franz Hummel bis zu Marc-André Dalbavie als Vorlage eigener Schöpfungen. 

 

Auch der dänische Originalklangpionier, Dirigent und Komponist Bo Holten reiht sich in diese Tradition. Auf ein Libretto von Eva Sommerstad Holten hat Holten eine faszinierende Kammeroper montiert, in der das sonderbare Leben des Gesualdo exemplarisch in drei Stationen abläuft: der Mord in Neapel 1590, Ferrara 1595 und das Schloss in Gesualdo 1613. Die Kunstfigur der titelgebenden „Schattenwesen“, Nick Shadow in Stravinskys ,The Rake‘s Progress‘ nachempfunden, kleidet sich in vielerlei Gestalten: Als da wären in Gesualdos eigenes gutes oder schlechtes Gewissen, seinen Assistenten Scipione Stella oder Gesualdos Onkel Carlo Borromeo, Chefideologe der Gegenreformation und bestimmender Treiber des Konzils von Trient. All diese Schatten verfolgen den seismographisch seine Welt in Klang wandelnden Komponisten, in direkter Konfrontation offenbart sich seine Seele, sein innerster (An-)Trieb, als auch tiefste und dunkelste Emotionen. Bo Holten hat eine Musik zwischen den Zeiten geschrieben, wobei er die Kühnheit der Renaissancevorlagen handwerklich gekonnt ins 21. Jahrhundert transponiert. Einflüsse des Impressionismus und des Minimalismus sind auszumachen, wenngleich der Duktus der Musik, ihre Düsternis und bisweilen deklamatorischer Charakter von den komplexen Netzen mehrstimmiger Vokallinien durchdrungen sind. 

 

Der siebenstimmige Madrigalchor Musica Ficta schlägt die Brücke zu acht Originalkompositionen und damit der von Holten ohne jeden Anflug von historisierendem Kitsch geschriebenen Musik. Die Choristen übernehmen zudem weitere Rollen, auch sie den Gesetzen der pulsierend doppelbödigen Theaterwelt zwischen Schein und Sein, Realität und Wahn unterworfen. 

 

Ein horizontal und vertikal in mehrere Ebenen gegliedertes, wandelbares Podium – überwiegend in blaues Licht getaucht – genügt der Regisseurin Deda Christina Colonna als Szene. Davor spielt das Concerto Copenhagen auf historischen Instrumenten unter der Leitung von Bo Holten kundig auf. Die Besetzung in zurückhaltend, die Renaissance-stilisierenden Kostümen wird vom ausdrucksstarken blondschopfigen Sängerdarsteller Gert Henning-Jensen in der Titelpartie angeführt. Er durchlebt dieses nach unseren Begriffen kaum erstrebenswerte Leben intensiv in verschiedensten Szenen und ist die zwei Stunden der Oper ununterbrochen auf der Bühne. 

 

Und was hat Gesualdo nicht alles durchmachen müssen: Der Tod des einzigen älteren Bruders erspart ihm wenigstens das Schicksal, einer angedachten Kirchenkarriere nach dem Vorbild des Onkels folgen zu müssen. In Neapel flammt seine Liebe zur Musik auf.  Zur Sicherung der dynastischen Nachfolge wird Carlo mit seiner bereits zweimal verwitweten, jedoch ‚fruchtbaren‘ Cousine Maria d’Avalon (von der wunderbar timbrierten lyrischen Sopranistin Hanna Kapp als auch der Chor und die Solisten elin gesungen) zwangsverheiratet. Zum Missfallen der schönen, nach Freiheit strebenden Maria verliebt sich Carlo zwar in sie, verbringt seine Zeit aber doch lieber mit Musik als am häuslichen Herd. Sie tröstet sich ihrerseits ausgiebig und jahrelang mit ihrem ehemaligen Schwager Fabrizio Carafa (Rasmus Kure Thomsen). Als Gesualdo die beiden in flagranti erwischt, tötet der rasend Eifersüchtige beide gemeinsam mit einen gedungenen Killer. 

 

Vier Jahre später kommt Carlo ins musikalische Paradies Ferrara, um Leonora d’Este (allzu leichtgewichtig Ann-Christin Besser Ingels) zu heiraten. Statt sich der Politik und päpstlicher Diplomatie zu widmen, verhält er sich bizarr, mal aufbrausend, mal melancholisch stets jedoch unberechenbar gegenüber Leonora und dem Hofstaat. Am Ende des zweiten Aktes wird er vom Hof verstoßen. 

 

In seinem Schloss in Gesualdo, 100 km östlich von Neapel gelandet, verfällt Carlo zunehmend in Depressionen, Dämonen suchen ihn heim, er verfällt Magie und Hexerei. Carlo gründet ein Vokalensemble, sammelt und veröffentlicht seine Musik. In der Oper stirbt er, selbst der Musik überdrüssig, mit einem Schatten über ihm. Der war wohl der einzig treue Begleiter.

 

Musiziert wird insgesamt auf sehr hohem Niveau, das zehnköpfige Instrumentalensemble als auch der Chor und die Solisten sorgen für wunderbar poetische, lyrisch einprägsame aber auch erschütternde aufwühlende Momente. Die Inszenierung folgt den Gesetzen des Kammerspiels, das heißt wenig Bühnenaktion, dafür eine starke Personen- und Bewegungsregie. Der Videomitschnitt (Cubus Film) verwöhnt mit vielen Nahaufnahmen.

 

Diese Oper zählt zu den interessanteren musikalischen Auseinandersetzungen mit der Ikone Gesualdo und ist ein Hit im umfangreichen (sieben sind es bis dato) Opernschaffen des Bo Holten.  

 

Dr. Ingobert Waltenberger 

 

 

Diese Seite drucken