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DVD/Blu-ray W. A. MOZART: MITRIDATE, RE DI PONTO – Live Mitschnitt aus der Staatsoper Unter den Linden 2022; Unitel

03.02.2025 | dvd

DVD/Blu-ray W. A. MOZART: MITRIDATE, RE DI PONTO – Live Mitschnitt aus der Staatsoper Unter den Linden 2022; Unitel

Szenisch-behäbiger Kostümschinken, musikalische Wundertüte!

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Im Jänner 1770 kamen die Mozarts per Kutsche in Mailand an. In diesem intensiven Lehrjahr hatte man den 14-jährigen „Tedesco“, finanziell bestens ausstaffiert, engagiert, für das Teatro Regio Ducale eine Oper zu schreiben. Das war die Geburtsstunde der Opera seria in drei Akten „Mitridate, Re di Ponto“ auf ein Libretto von Vittorio Amedeo Cigna-Santi nach der französischen tragédie „Mithridate“ von Jean Racine.

Zwei weitere Opern sollten in den darauffolgenden Jahren für Mailand folgen: „Ascanio in Alba“ und „Lucio Silla“. In dieser Zeit entstanden auch eine Reihe von Konzertarien, Kammermusik und nicht zu vergessen „Exsultate jubilate“. Wolfis Förderer in Mailand war der Generalgouverneur Graf Carl Firmian, in dessen Palais der blutjunge Musikus seine Fähigkeiten vor dem Mailänder Adel demonstrieren konnte. Und das offensichtlich mit großem Erfolg.

Im Herbst 1770 begann Mozart mit der Niederschrift von virtuosen Arien für die kapriziösen Primadonnen (besonders für Antonia Bernasconi als Aspasia) und Primo Uomini (Guglielmo d’Ettore als Mitridate, Kastrat Pietro Benedetti als Sifare). Ende Dezember fand die begeisterte Uraufführung statt. Nach einigen Aufführungen war Schluss und erst die Reanimierung bei den Salzburger Festspielen 1971 (mit Peter Schreier, Edda Moser, Arleen Augér, Helen Watts und Pilar Lorengar in den Hauptrollen; ein Mitschnitt dieser gekürzten Version ist einst bei Opera d’Oro erschienen) läutete eine Renaissance ein, die bis heute andauert.

Inhaltlich geht es um Politik, Liebe und Verrat im Fadenkreuz von familiären Auseinandersetzungen. Des Feldherrn Mitridates beide Söhne Sifare und Farnace trennt die Sympathie des einen für die Griechen, des andern für die Römer. Beide aber haben sich in Papas junge Verlobte Aspasia verliebt. Asapsia selber erwidert die Avancen des Sifare, Farnace wiederum ist Ismene der Tochter des Königs von Parthien, versprochen, will sie aber nicht. Die politische Illoyalität Farnaces sowie der offenkundige Verrat von Sifare und Aspasia führen dazu, dass Mitridate alle drei zum Tode verurteilt. Im dritten Akt stirbt Mitridate durch sein eigenes Schwert. Zuvor erkennt er noch Sifares Treue an und segnet den Bund mit Aspasia. Farnace hat nach einem Wechsel der Seiten die Römer besiegt und ihre Schiffe in Brand gesetzt. Der Vater verzeiht auch ihm. Die Oper endet mit einem kurzen Chor.

An der Staatsoper Unter den Linden fand die Neuinszenierung durch Satoshi Miyagi im Rahmen der Barocktage 2022 statt. Der historisierenden Ästhetik des japanischen Kabuki-Theaters (Bühnenbild Junpei Kiz, Kostüme Kayo Takahashi Deschene) nachempfunden, ist aber nichts dabei herausgekommen als starres Rampentheater, extrem formalistisch in vier mannshohen Ebenen aufgelöst. Ein „Wall-Designer“ (Eri Fukazawa) zeichnet für klischeehafte grafische Elemente von Bambus bis zur berühmten, in Pastellfarben kolorierten Silhouette des höchsten Berges Japans, dem Fuji-san, verantwortlich. Die pompös kitschigen Kostüme samt Drachenhelmen & Co sind alten Abbildungen von Samurai-Kämpfern nachempfunden. Dazwischen schwere Kimonos und viel Gold an den Köpfen der tapferen Damen. Eine Personenregie, die diesen Namen verdient, i.e. ein theatralisch erkennbares Beziehungsgeflecht der handelnden Akteure zueinander, ist nicht erkennbar. Alle Sängerinnen und Sänger absolvieren ihre halsbrecherischen Arien mit dem Gesicht zum Publikum gerichtet in starrer Körperpose. Sogar im Duett Sifare-Aspasia am Ende des zweiten Aktes ‚Se viver non degg’io‘ stehen die beiden Liebenden auf verschiedenen Ebenen und sehen einander nicht an. Wie Barockoper anders als langweiliges Rampentheater inszeniert werden kann, und zu ausufernden da capo Arien kleine Geschichten, kurzweilig mit Witz und Stückbezug, erzählt werden können, hat etwa Max Emanuel Cencic beim Festival Bayreuth Barock mehrfach vorgeführt. Da die Produktion, was die Bühnenaktion betrifft, kaum etwas hergibt – der Anfang und das Ende mit rauchend-brennenden Trümmerhaufen sowie der Schauspieler Ken Sugiyama, der einen hektisch mit Sonnenschirm umherlaufenden Diener mimt, bilden da keinen Ausreißer – hätte man sich bei der Publikation auf das Musikband beschränken können. Ach ja, fast hätte ich es vergessen: zur ‚Marcia‘ im ersten Akt gibt es noch ein kleines Soldatenballett.

Dafür erfreut die musikalische Seite mit einer veritablen Sängersensation und einem mehr als fitten Ensemble, das die bis in schwindelnde Höhen reichenden, dem damaligen Zeitgeist entsprechenden Vokal-Fantastereien des jungen Mozart gepfeffert mit funkelnden Koloraturfeuerwerken ins rechte Licht zu rücken vermögen.

Allen voran der samoanische Tenor Pene Pati in der Titelrolle. Mit glasklarer Artikulation, fließenden Legatobögen, dramaturgisch durchdachten Verzierungen (nein, er ist keine Gesangsmaschine), heldischer Attacke und tollen Höhen trumpft er nicht nur in der fuchtigen Arie ‚Quel ribelle, e quell‘ingrato‘ auf, sondern fasziniert schon ab der Auftrittsarie ‚Se di lauri il crine adorno‘. Stammsitz, Projektion, Atemtechnik, allesamt fulminant. Mitridate, ein stolzer, zerrissener Charakter, als Vater wohl ein Versager, als Feldherr und Taktiker am Ende, aber mit seiner humanistischen Botschaft des Verzeihens und Aussöhnens immer aktuell, erhält so aus den Vokalgirlanden heraus Sinn und Tiefgang. Atemberaubend und besser als die meisten, die sich an dieser Partie bisher auf Tonträgern versucht haben. Ausgenommen Michael Spyres auf der Aufnahme, die Mark Minkowski bei Erato vorgelegt hat, mit dem Pati in dieser Rolle auf Augenhöhe agiert, jedoch die vom Timbre her rundere Stimme hat.

Besetzungsgleich mit dem zitierten Album aus dem Jahr 2021 sind in der Aufführung an der Staatsoper Unter den Linden auch der französische Countertenor Paul- Antoine Bénos-Dijan als Farnace und die pastos orgelnde Mezzosopranistin Adriana Bignani Lesca in der Hosenrolle des Arbate. Bénos-Dijan hat mit ‚Venga pur, minacci e frema‘ eine der schönsten Arien des Stücks zu singen, die er mit dunkel gefärbtem, ruhig und elegant geführtem Counter zelebriert.

In der anspruchsvollen, mit Verzierungen und Akuti aller Art gespickten Rolle der zwischen drei Männern stehenden Aspasia brilliert die Schweizer Koloratursopranistin Ana Maria Labin. Nichts scheint ihr zu schwer zu sein. Ob gewaltige Intervallsprünge, rasante Koloraturen, Fiorituren oder sonstiger vokaler Zierrat, alles läuft wie am sprichwörtlichen Schnürl. Die stratosphärisch gelegenen Höhen meistert sie mit bravouröser Leichtigkeit. Als ihr geliebter Sifare, den sie am Schluss auch bekommt, ist die Mezzosopranistin Angela Brower aufgeboten. Stimmlich saftig, persönlich reizend und voller natürlichem Charme verkörpert sie den schwärmerisch verliebten jungen Mann.

Bleiben noch die französisch-zypriotische lyrische Sopranistin Sarah Aristidou als Farnace verpochende Ismene und der aus Madagaskar stammende Tenor Sahy Ratia als Marzio lobend zu erwähnen.

Marc Minkowski leitet das französische, auf historischen Instrumenten musizierende Ensemble Les Musiciens du Louvre mit Verve, detailverliebt und einer gewissen Ruppigkeit, wobei sich der transparente Klang mehr an französischer clarté als an italienischer Geschmeidigkeit orientiert. Ihm gelingt nichtsdestotrotz der nötige lebendige Kontrast zur auf der Bühne vorherrschenden Statik.

Fazit: Eine szenisch langweilige Aufführung, die durch brillante Gesangsleistungen und ein wissendes Orchester für sich einnimmt. Ist doch was!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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